Er kam nicht mehr hoch.
Conroy kauerte sich auf seinem Sitz zusammen. Verzweifelt zerrte er an seiner Handfessel, die es ihm unmöglich machte, dem Unheil zu entkommen.
»Tsamcho!«, brüllte er gegen den wütenden Lärm an, den die Tibetaner vollführten.
Und wieder: »Tsamcho!«
Verzerrte, hasserfüllte Gesichter starrten ihn an. Hände krallten sich in seine Schuba. Einem Hirten schlug er die freie Faust ans Kinn – doch da explodierte bereits seine Hirnschale.
Seine Welt versank in einem endlosen Abgrund der Finsternis
11. Kapitel
Zögernd tastete sich sein Bewusstsein aus dem schmerzerfüllten Dunkel herauf ans Licht. Mühsam schlug er die Augen auf.
Er fror erbärmlich, obgleich ein dickes Schaffell über ihn ausgebreitet lag. Sein Kopf platzte fast. Ihm war speiübel. Seine Zähne klapperten. Sein Gesicht war schweißnass. Undeutlich registrierte er, dass jemand mit einem Becher neben ihm kniete. Er spürte, wie ihm die Tasse an die Lippen gesetzt wurde; gierig trank er das schrecklich schmeckende Gebräu, das ihm der Unbekannte einflößte.
Er wollte sich aufsetzen, doch eine dunkle Hand drückte ihn nieder. »Machen Sie sich keine Sorgen«, sagte eine Stimme auf Englisch, die ihn entfernt an jemanden erinnerte, den er kennen sollte. »Es ist nur die Bergkrankheit, die Sie erwischt hat, mehr nicht. Schlucken Sie diese Pille, sie wird Ihnen helfen...«
Eine Hand steckte ihm die Pille in den Mund und ließ ihn noch einmal trinken, um sie hinunterzuspülen.
»W-Was ist mir?«, murmelte er mit geschlossenen Augen. Was immer die Pille enthalten mochte, das Zeug half jedenfalls Die Kopfschmerzen waren wie weggeblasen, und eine wohlige Wärme breitete sich in seinem Körper aus.
»... es ist nur die Höhenkrankheit. Versuchen Sie zu schlafen. Morgen früh geht es Ihnen schon wieder viel besser...«
Die letzten Worte bekam Conroy schon gar nicht mehr mit; er war eingeschlafen.
Als er das nächste Mal erwachte, lag er auf einem Bett in der Ecke eines fensterlosen Raumes. Von der Mitte der niedrigen Decke hing eine Butterlampe. In ihrem flackernden, unsteten Lichtschein starrten ihn Götter- und Dämonenfratzen von den Wänden herab an. Entsetzt schloss die Augen. Erst jetzt hörte er die leise, monotone Stimme. Er öffnete die Augen wieder und sah einen Mönch in einem gelben Seidengewand und mit tibetanischer Spitzmütze in der Ecke sitzen. Die Kugeln des Gebetskranzes glitten ihm durch die knotigen Finger. Die Fratzen der Dämonen und Götter, die Conroy so erschreckt hatten, blickten ihn von einer uralten Seidentapete herab an.
Jetzt unterbrach der Mönch sein Gebet, erhob sich und kam auf ihn zu. Er war unglaublich alt. Die Pergamenthaut seines gelben Gesichtes war von tausend Falten und Runzeln durchzogen. Weise, unergründliche Augen sahen Conroy an. Dann glitt ein leises Lächeln über das Greisengesicht, er wandte sich ab, schob den Wandteppich am Fußende des Lagers beiseite und ging durch einen niedrigen Torbogen hinaus.
Conroy fühlte sich ausgeruht. Auch seine Kopfschmerzen waren weg.
Er warf die grob gewebten Schafwolldecken, mit denen er zugedeckt war, beiseite und schwang die Beine aus dem Bett. Im selben Augenblick öffnete sich der Wandteppich wieder und Tsamcho trat ein. Der Dolpo-Pa trug das selbe Gewand und die Schuba, die er auch beim Herflug getragen hatte. Er lächelte.
»Wie geht es Ihnen, Doktor – oder soll ich Oberleutnant Morton Conroy sagen?«
Conroy grinste matt. »Sie wissen...?«
»Ja«, bestätigte Tsamcho. »Schon länger. Nachdem ich die Aufregung mitbekam, die Mr. Devlin an den Tag legte, als ich ihm die Nachricht Professor Auborns an diesen Professor Coulson übergab, wurde mir bald klar, dass bald jemand kommen würde, um sich in diesem Laborkomplex umzusehen, der allgemein als Basis Alpha bekannt ist – auch bei uns aufgeklärten Tibetanern. Die Eile, mit der Sie den Flug zum Kloster Lhakpa betrieben, machte klar, dass nur Sie derjenige sein konnten, der in das Hochtal eindringen wollte. Außerdem«, und jetzt lächelte er entschuldigend, »habe ich Mr. Poul Devlin belauscht – ungewollt – wie er einige Gespräche mit New Washington führte. Deshalb meine Kenntnisse über Ihren militärischen Rang. Aber – Sie haben mir immer noch nicht gesagt, wie es Ihnen geht.«
»Den Umständen entsprechend gut«, antwortete Conroy. »Ich habe nicht mal mehr Kopfschmerzen, obwohl der Schlag nicht von schlechten Eltern gewesen sein muss, der mich ins Land der Träume schickte.«
»Wir haben Sie so gut es ging verarztet; auch gegen Ihre Höhenkrankheit haben wir etwas unternommen.«
»Der Trick mit der Prozession draußen vor dem Kloster war nicht schlecht, Tsamcho.«
Der Dolpo-Pa zuckte die Schultern. »Sie hatten das Maschinengewehr, diese Gatlingkanone, deshalb mussten wir uns etwas einfallen lassen. Ich bin froh, dass alles glatt gegangen ist, dass niemand von meinen Leuten getötet wurde.«
»Wie haben Sie eigentlich so rasch das Kloster erreicht?«
»Ich bin die ganze Nacht durch gelaufen, um rechtzeitig hierherzukommen. Ich wusste ja, dass man Sie nach Tschangu zu diesem Schlächter Xiang bringen würde. Da mussten sie hier vorbeikommen.«
Conroy nagte an der Innenseite seiner Unterlippe. »Sie sind alle tot, nicht wahr? Auch der Russe?«
Tsamcho nickte. »Natürlich. Ob Söldner oder Russe. Für mein Volk sind sie Kollaborateure, unterscheiden sich in nichts von den Chinesen. Für uns waren sie Feinde. Schließlich haben wir Krieg. So ist das nun mal. Ich hätte aber die Männer auch nicht mehr aufhalten können. Es war schon schwierig genug, Ihnen das Leben zu retten.«
»Vielen Dank dafür«, sagte Conroy matt.
»Sie brauchen mir nicht zu danken. Ich habe nur eine Schuld zurückgezahlt. Wissen Sie noch? Draußen am See hat nur Ihr rasches Handeln mein Leben gerettet.«
»Sie haben die Waffen und meine Ausrüstung gefunden, nehme ich an? Sie waren auf der Ladefläche des Fahrzeugs.«
»Ja. Meine Leute nehmen sie gerade auseinander. Kommen Sie doch mit. Drüben haben wir ein Feuer und heißen Tee. Es ist zwar nur tibetanischer Tee, aber ich fürchte, Sie müssen sich noch eine Weile damit begnügen.«
»Überhaupt kein Problem«, wehrte Conroy ab. »Ich war schon mal in Ihrem Land, müssen Sie wissen, als ich auf den Uranfeldern von Rungmar Thok gegen die Chikoms gekämpft habe. Ich schätze Ihren Tee.«
Tsamcho schob den Wandteppich an der Tür beiseite.
Sie traten in einen viel größeren Raum mit hoher Decke und winzigen, schießschartenähnlichen Fenstern, die sehr hoch angebracht waren.
Die modernen Schnellfeuerwaffen lagen auf einem großen Holztisch. Fünf kurzbeinige Tibetaner waren mit viel Eifer und Sachkenntnis dabei, sie zu reinigen und zusammenzusetzen.
»Sie scheinen etwas davon zu verstehen«, bemerkte Conroy zu Tsamcho, »Ihre Leute.«
Der Dolpo-Pa nickte. »Es sind qualifizierte Waffentechniker.«
Auf