Sechs utopische Thriller. Conrad Shepherd. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Conrad Shepherd
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Научная фантастика
Год издания: 0
isbn: 9783745202267
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Aber dann zuckte er die Schultern. In seinem Leben hatte er so viele Gefahren überstanden, warum sollte das jetzt anders sein? Es war kaum vorstellbar, dass er in so kurzer Zeit so weit gekommen war. Weniger als 24 Stunden noch, und er würde sich erneut an einem Ort befinden, der so ganz anders sein würde, als der, an dem er sich im Augenblick aufhielt.

      Kurz kam ihm Ray Haan in den Sinn, und er fragte sich, ob der Waffenschmuggler wohl den Rückflug geschafft hatte. Plötzlich musste er lächeln. Das war wirklich ein Mann, mit dem er wieder einmal ein Glas zusammen trinken wollte.

      Dann überfiel ihn schlagartig die Müdigkeit und verdrängte jeden klaren Gedanken an den morgigen Tag. Nachdrücklich schloss er das Fenster, zog sich rasch aus und legte sich unter die dicken Wolldecken.

      Er blies die Lampe aus und gähnte. Dann starrte er zur Decke hinauf, spürte, wie sich seine strapazierten Muskeln entspannten, und schlief kurz darauf ein.

      12. Kapitel

      Der Wind peitschte die Schneevorhänge weniger heftig gegen den Hang, und im Windschatten der hohen Felsbrocken war es zeitweilig sonderbar still.

      Die kleine Karawane hatte eine Rast eingelegt. Conroy lehnte mit dem Rücken an einem Stein und war mit seinen Gedanken allein. Im ersten Licht des frühen Morgens waren sie von Salhée aufgebrochen und hatten die gefahrvolle Reise über den alten Trampelpfad den Berg hinauf angetreten. Sie waren sechs Stunden ununterbrochen aufgestiegen, als das Wetter umschlug und binnen Minuten starker Schneefall einsetzte. Das Schneetreiben war zeitweilig so stark gewesen, dass ihre Führer beschlossen hatten, eine Rast einzulegen, bis das Schlimmste überstanden war.

      Jetzt sagte der SY.N.D.I.C.-Agent: »Wenn wir uns nicht bald auf den Weg machen, dann erreichen wir nicht einmal den Startplatz. Das Wetter wird doch besser. Was hält uns noch?«

      Tinlé, einer der Führer, kauerte grinsend neben Tsamcho, kaute an einem Stück rohen Jakfleisches und blickte in das Schneetreiben. Er schüttelte den Kopf. »Das Wetter wird eher schlimmer als besser, weißer Mann. Eigentlich sollten wir hier kampieren und erst morgen weiterziehen. Der Platz ist gut.«

      »Nichts da«, bestimmte Tsamcho, der Conroys Miene richtig deutete. »Wir gehen weiter. Wenn wir den Weg über die Bergflanke weitermarschieren, stoßen wir genau auf das Ringmo-Plateau. Dort befindet sich eine alte Schutzhütte. In ihr können wir Unterschlupf vor dem Wetter finden und uns ausruhen. Ich bin sicher, am Abend lässt der Sturm nach. Es sind nur noch wenige Kilometer.«

      Tinlé zuckte die Schultern. »Wie Ihr meint, Herr. Alles steht bei Buddha.«

      Zehn Minuten später verließ die kleine Karawane den geschützten Rastplatz.

      Tinlé führte den Zug an, der zweite Bergführer bildete die Nachhut. Tsamcho und Conroy stapften in der Mitte des Zugs. Die Jaks sanken tief in den Schnee ein. Morton Conroy hielt den Kopf gegen den böigen Wind gesenkt und war mit der Frage beschäftigt, wie die Tiere bei diesen Verhältnissen mit nahezu traumwandlerischer Sicherheit den Pfad zu finden imstande waren.

      Der Wind war wieder stärker geworden – ganz wie Tinlé vorhergesagt hatte – Schnee und Eis bedeckten die Gesichter der Männer mit einer dicken Schicht.

      Der Sturm pfiff ihnen um die Köpfe und biss in ihre Gesichter, bis die Haut so gefühllos wurde, dass man keinen Schmerz mehr spürte. Stunden schienen zu verstreichen.

      Conroy duckte sich vor einem wütenden Windstoß. Sein Verstand arbeitete nur noch mit halber Kraft; krampfhaft hielt er sich an dem kurzen Seil fest, das ihn mit dem voraustrottenden Jak verband. Er war sich sicher, sollte das Tier ins Leere treten, er würde ihm folgen. So schnell würde er gar nicht mehr reagieren können.

      Nach Ewigkeiten kamen sie an einer Felsnadel vorbei, die wie ein regungsloser Wächter im weißen Nichts stand. Nach Tinlés Worten musste die Schutzhütte nicht mehr weit sein. Aber »weit« war in dieser weißen Hölle ein relativer Begriff, konnte Minuten bedeuten oder Stunden. Unter Umständen eine Ewigkeit.

      Plötzlich trotteten die Jaks schneller – und kurz darauf tauchte die Hütte aus dem Schneetreiben auf.

      Sie war niedrig. Aus groben Steinblöcken errichtet. Mehr eine Höhle, halb unter einen überhängenden Felsen gebaut. Aber sie bot Schutz vor dem Wetter, wenn auch das Platzangebot sehr beschränkt war – die Tiere nahmen mehr als die Hälfte des vorhandenen Raums ein.

      Conroy hockte sich eine Ecke und sah zu, wie die beiden Jaktreiber ein Feuer aus den vorhandenen Vorräten machten. Bald dampften ihre Pelzmäntel in der Wärme.

      Draußen heulte der Sturm und häufte Schneewehen an den Mauern auf. Es war erst Nachmittag, aber bereits so dunkel, dass man ohne Licht nichts sah. Tinlé entzündete eine Butterlampe und stellte sie in die Nische gegenüber dem Eingang. In ihrem trüben Lichtschein kochten sie heißen Tee.

      Der Wind heulte zeitweise so ohrenbetäubend um die Hütte, als käme er geradewegs aus der tiefsten Hölle. Ein gespenstisches Requiem für all jene, die hier oben auf dem Dach der Welt ihr Leben gelassen hatten. Conroy schüttelte sich unwillkürlich. Dann hockte er sich zu den anderen ans Feuer und trank kochendheißen Tee.

      »Sie vermuten, dass sich eine Katastrophe in Basis Alpha zugetragen haben könnte«, sagte Tsamcho plötzlich auf englisch, »nicht wahr?«

      Conroy verschluckte sich fast, so unerwartet kam die Frage.

      »Es hat den Anschein«, erwiderte er zurückhaltend. »Allerdings – in einem Labor geschehen immer wieder mal Unfälle. Wahrscheinlich ist bei den Experimenten etwas schiefgelaufen.« Er verschwieg dem tibetanischen Adeligen seine tatsächlichen Vermutungen.

      Tsamcho lächelte nachsichtig. »Kommen Sie, Morton. Sie vergessen, dass ich kein Hirte bin. Und selbst den könntet Ihr Männer aus dem Westen nicht mehr so ohne weiteres hinters Licht führen. Auch wir Nomaden sind inzwischen in der Lage, einen Computer zu bedienen und uns in der virtuellen Welt zu bewegen, lassen Sie sich das gesagt sein. Es muss einfach mehr dahinterstecken.« Tsamcho nahm einen Becher Tee von Tinlé entgegen. Dann wandte er sich wieder Conroy zu. »Weiß Gott, der westliche Verstand ist so etwas Kompliziertes, dass ich ihn manchmal beim besten Willen nicht begreifen kann.«

      Morton grinste und sagte: »So ergeht es mir mit dem östlichen.«

      Tsamcho seufzte. »Habe ich Ihnen übrigens schon gesagt, dass ich in Oxford auch Russisch studiert habe? Ich habe also verstanden, was dieser Agent des Eurasischen Commonwealth gesagt hat. Und Begriffe wie Schwarzschild-Radius, Entropie, Einstein-Rosen-Brücke oder Kerr-Tunnel sagen mir zumindest, dass es sich offensichtlich um Schwerkraftforschungen handelt, die man in der Basis Alpha betreibt.«

      »Ausgeschlossen ist nichts«, versetzte Conroy, »doch das werde ich erst wissen, wenn ich in der Basis bin.« Er legte sich auf den Rücken, den Kopf auf seinem Reisesack, und zog die Pelzschuba bis ans Kinn. »Wann sagen Sie, wird der Schneesturm aufhören?«

      »Noch vor Mitternacht.«

      »Ich denke, ich werde jetzt ein bisschen schlafen.«

      Als er erwachte, starrte er eine Weile zu der niedrigen Decke auf und versuchte sich zu erinnern, wo er eigentlich war. So viele Plätze hatte er in so kurzer Zeit gesehen. Nur – wo war er jetzt?

      Die Erinnerung kam ganz plötzlich. Er setzte sich auf. Die beiden Führer schienen zu schlafen; die