Sechs utopische Thriller. Conrad Shepherd. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Conrad Shepherd
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Научная фантастика
Год издания: 0
isbn: 9783745202267
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gekämpft.

      »Was ist mit euch beiden?«, rief Haan von der Maschine herüber. »Wenn ihr soweit seit, dann können wir!«

      Sie gingen hinüber.

      Conroy wandte sich an den Dolpo-Pa. »Ich sollte jetzt wohl besser meine Verkleidung anlegen, oder?«

      Tsamcho nickte und zerrte ein Kleiderbündel aus der Kanzel. Es enthielt die landestypische Tracht der Tibetaner: grobe Wolljacke, Schuba und Mütze aus Schaffell sowie ein paar Rohlederstiefel. Conroy zog sich rasch um und zeigte sich Haan.

      »Und, wie mache ich mich?«

      Der Pilot und Schmuggler hatte seine Zweifel.

      »Na ja. Aus einiger Entfernung wird keinem etwas auffallen, denke ich mal. Am besten ist, Sie schmieren sich bei der nächsten Gelegenheit Dreck ins Gesicht. Sie sind zu sauber, Mann!«

      Conroy grinste. »Ich werde dran denken. Versprochen.«

      Tsamcho und Conroy kletterten in die Kanzel, dann schob sich Haan nach vorne auf den Pilotensitz. Er aktivierte das Instrumentenbrett und rief die holographische Karte auf, danach wandte er sich an Tsamcho.

      »Und Sie sind sicher, dass die Grenzpatrouille uns in Ruhe lassen wird?«

      Der Dolpo-Pa nickte zuversichtlich. »Die Patrouille sollte den Phoksando-Pass eigentlich täglich kontrollieren, aber in letzter Zeit ist die Gegend für sie zu unsicher geworden. Der Grenzposten besteht nur aus einem Zug mit zehn Mann und einem Unteroffizier. Sie haben nur vier Kampfbuggys zur Verfügung, von denen einer oder zwei durch die Kälte ständig ausfallen. Ihre Basis ist in der Nähe von Rudok. Aber diese Patrouillen machen mir weniger Sorgen...«

      »Sondern?«

      »Es ist die chinesische Luftwaffe. Sie führt östlich von unserer Route regelmäßig Aufklärungsflüge durch, seit dort permanente Manöver abgehalten werden.«

      »Hoverjäger?«, fragte Conroy.

      »Stimmt genau.« Tsamcho schlug mit der flachen Hand auf die Armlehne seines Kontursitzes. »Eine schöne Maschine, diese Vertidyne, aber ist sie auch den Jägern gewachsen?«

      »Das reicht jetzt, Tsamcho«, mischte sich Haan ein. »Lassen Sie sich versichert sein, dass diese Maschine viel mehr ist, als Sie glauben. Sie werden es vielleicht sogar herausfinden. Heute noch. Wer weiß...« Haan lehnte sich noch einmal aus der Kanzel. »Erwarte mich in etwa vier Stunden zurück!«, rief er Parimandu zu. Dann löste er die Bremsen und erhöhte etwas die Drehzahl der Hubrotoren. Die Titanjalousien unter den Rotorblättern waren nach hinten gerichtet und übten Druck auf die Maschine aus. Langsam schwebte sie, zwei Handbreit über dem Hallenboden, ins Freie.

      Der Pilot und Waffenschmuggler kontrollierte ein letztes Mal die Instrumente.

      Sekunden später blieb der Erdboden unter ihnen zurück. Haan erhöhte schlagartig die Leistung der Motoren und zog den Steuerknüppel an den Bauch. Der Hoverjet schwang sich empor und in die Schlucht hinein. Zu beiden Seiten rasten hohe Felswände an der Besatzung vorbei. Riesig und drohend ragten die Bergwände vor ihnen auf. Haan ließ die Vertidyne höher und höher steigen, dann änderte er den Schubvektor – und die Maschine jagte mit einer Höllenfahrt zwischen zwei Gipfeln hindurch zu einem anderen Pass hinüber.

      *

      Mehr und mehr gewann Conroy den Eindruck, sich auf dem Mond zu befinden anstatt auf der Erde. Auf allen Seiten ragten gewaltige, schneebedeckte Gipfel empor, zwischen denen sich Ray Haan mit wahrhaft traumwandlerischer Flugkunst seinen Weg suchte. Trotz der Tatsache, dass es nach Mitternacht war. Über den Bergspitzen funkelten die Sterne wie Diamanten auf schwarzem Samt – viel heller und strahlender, als Conroy sie jemals im Weltraum erlebt hatte.

      Die »Mondlandschaft« schien kein Ende zu nehmen.

      Mehr als einmal sackten sie in Luftlöchern bedrohlich tief durch.

      Dann, als sie von einer Schlucht in eine andere überwechselten, hätte Conroy schwören können, dass der Hoverjet backbords die Felswand berührte. Aber Haan zeigte keine Reaktion. Seine Hände lagen so ruhig und sicher wie zuvor auf den Flugkontrollen.

      Ein andermal rutschten sie gerade noch so über einen Bergrücken hinweg; Schnee stäubte hoch; hinter dem Vertidyne bildete sich eine lange Wirbelschleppe aus Eiskristallen. Schneebretter lösten sich unter dem Schalldruck der Rotoren.

      Ein kleiner See glitzerte im Mondlicht, nicht mehr als hundert Meter unter ihnen. Er verschwand nach hinten, als hätte es ihn nie gegeben.

      »Da!«, übertönte Tsamchos Stimme das Brüllen der Hubrotoren. Er deutete nach vorn. »Der Phoksando-Pass!«

      Der gewaltige Pass lag vor ihnen. Steil stieg er geradewegs in den Himmel und schien kein Ende nehmen zu wollen.

      Haan erhöhte den Aufwärtsschub; die Maschine stieg, aber im gleichen Maß stieg auch das Gelände unter ihnen an. Es war wie in einem Angsttraum.

      Mit angehaltenem Atem wartete Conroy auf den Aufschlag, der unweigerlich kommen mußte. Doch er wartete zum Glück vergeblich. Nichts geschah. In der lächerlich geringen Höhe von nur zehn Metern überwanden sie den Scheitelpunkt des Passes. Auf der Backbordseite glitten dunkle Felswände an ihnen vorüber, auf der Steuerbordseite weißfunkelnde Gletscher. Das Gelände fiel wieder leicht – und unter ihnen erstreckte sich, so weit der Blick reichte, ein dunkles, vereistes Hochplateau.

      Im fahlen Licht der Instrumentenbeleuchtung sah Conroy das Grinsen auf Haans Gesicht.

      »Es wird Sie vielleicht interessieren, Doktor, dass wir uns in diesem Augenblick über Tibet befinden!«, rief der Waffenschmuggler. »Ich werde eine kleine Kursänderung vornehmen, um Rudok und der Basis der Grenzpatrouille nicht zu nahe zu kommen. Es hat keinen Sinn, unser Kommen auch noch anzukündigen.«

      Die Vertidyne beschrieb eine scharfe Kehre nach Westen und kam dann wieder in die Waagerechte. Der Ausblick war überwältigend. Bis zum Horizont erstreckte sich eine einförmige Steppe. Hier und da zeichneten sich Schluchten und Taleinschnitte als schwarze Schatten ab, da das Mondlicht nur die flachen Teile des Landes beschien.

      Während Haan den hochfrisierten Hoverjet in einen weiten Talkessel steuerte, warf Conroy einen Blick auf die Schirmanzeigen. Das Außenthermometer zeigte beinahe vierzig Grad unter Null. Unwillkürlich schauderte er. Eine rein subjektive und rationell nicht nachvollziehbare Empfindung; in der Kabine war es wohlig warm.

      Conroys Blick richtete sich nach Westen, wo weitere eisbedeckte Gipfel in den nächtlichen Himmel ragten, von tiefen Einschnitten unterbrochen. Etwas fesselte seine Aufmerksamkeit. Es schien, als stießen Lichtfinger ultrastarker Scheinwerfer in die Nacht.

      Conroy tippte Tsamcho auf die Schulter. »Was ist das?«, machte er den Dolpo-Pa aufmerksam.

      »Das Tor zur Hölle«, kam dessen knappe Antwort.

      »Merkwürdiger Name für einen Pass«, meinte Conroy.

      »Der Pass heißt auf den Karten Thok Po«, gab ihm Tsamcho zu verstehen, »aber das, was dahinterliegt, bezeichnen wir als das ›Tor zur Hölle‹!«

      »Weshalb?«

      »Unsere Schamanen warnen davor, dass dort sich die Hölle öffnen würde, um die ganze Erde zu verschlingen.«

      »Im Ernst?« Conroy war versucht zu lachen. Eine mögliche Erklärung für die tibetanische Bevölkerung, dachte Conroy, und vermutlich durch geschickte Propaganda verbreitet. Pekings Agitatoren verstanden ihr Handwerk. In jeder Hinsicht.

      Der SY.N.D.I.C.-Agent hatte längst erkannt, dass sich hinter dem Pass Basis Alpha befand; während Tsamcho redete, hatte er die Karte auf dem Pilotendisplay konsultiert. Die Koordinaten stimmten mit denen überein, die er über die Lage der Basis von Angus Santana erhalten hatte.

      »Natürlich nicht«, erwiderte jetzt Tsamcho. »Wir aufgeklärten