Sammelband 4 Krimis: Mordgeflüster in Venedig und drei andere Krimis. A. F. Morland. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: A. F. Morland
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Зарубежные детективы
Год издания: 0
isbn: 9783745204407
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des Hemds wieder.

      „Sie werden Blasen an den Händen kriegen“, sagte Lydia.

      „Das macht nichts. Ich habe ja eine Krankenschwester bei mir. Mir kann nichts passieren. Ich hoffe, Sie können schwimmen.“

      „Haben Sie etwa vor, das Boot in der Mitte des Sees zum Kentern zu bringen?“

      „Um Sie hinterher retten zu können. Keine schlechte Idee“, sagte er schmunzelnd.

      „Ich kann schwimmen. Wenn es sein muss, schneller als Sie.“

      „Ich liebe sportliche Frauen“, erklärte der Mann.

      „Es gibt wohl nur sehr wenig, wofür Sie sich nicht begeistern können.“

      „Da haben Sie recht.“ Er wurde ernst. „Krieg ist zum Beispiel etwas, das ich aus tiefstem Herzen verabscheue.“

      „Es gibt sehr viele, die so denken.“

      „Und trotzdem bringen die Menschen einander Tag für Tag um. Mal in Afrika. Mal in Südamerika. Mal in Vietnam.“

      Er ruderte eine Weile schweigend weiter, lächelte dann und meinte, es wäre nicht der richtige Moment für so ernste Gedanken.

      Ab und zu versteckte sich die Sonne hinter Wolken, aber Lydia glaubte nicht, dass es Regen geben würde. Weit draußen, dort, wo sie ganz allein waren, ließ der junge Araber die Ruder los. „Ich denke, das reicht“, sagte er.

      „Reicht wofür?“, fragte Lydia.

      „Ich wollte mit Ihnen ganz allein und ungestört sein. Hier draußen sind wir es. Es gibt nur uns beide, Sie und mich. Ich finde das sehr schön. Über uns der Himmel, die Sonne. Um uns herum das stille, tiefe Wasser. Keine Probleme. Keine störenden Einflüsse. Wir können uns völlig aufeinander konzentrieren.“

      „Wozu?“

      Er hob die Schultern. „Sie müssen nicht, wenn Sie nicht wollen ... Darf ich mich neben Sie setzen?“

      „Wozu?“, fragte Lydia wieder.

      „Ich wäre Ihnen gern nahe.“ Er hob die Hände. „In allen Ehren - versteht sich.“

      Sie nickte, und als er aufstand, wackelte das Boot so stark, dass Lydia aufquietschte.

      „Seien Sie vorsichtig! Wollen Sie, dass wir kentern?“

      Er lachte. „Ich dachte, Sie würden besser schwimmen als ich.“

      „Aber nicht mit dem Kleid.“

      Er setzte sich neben sie, und es hätte ihr nichts ausgemacht, wenn er den Arm um sie gelegt hätte, aber das tat er nicht. Tief zog er die Luft ein, bevor er sagte: „Herrlich ist es hier draußen. Am liebsten würde ich nie mehr zurückrudern.“

      Lydia schmunzelte. „Und wovon würden Sie leben?“

      „Ich weiß es nicht. Über so banale Dinge zerbreche ich mir nicht den Kopf.“

      „Sie sind ein Träumer.“

      „Manchmal. Wenn ich in der richtigen Stimmung bin. Sie regen mich zum Träumen an, Lydia. Ich darf Sie doch Lydia nennen.“

      Sie hatte nichts dagegen. Aber sie hatte Angst vor der Zukunft, die ihr nichts Erfreuliches bringen konnte. Da war eine junge, aufkeimende Freundschaft, ein gewisses Verlangen, die Sehnsucht nach Liebe und Zärtlichkeit. Aber die Zeit dafür war befristet - mit nur zwei Wochen.

      Und, dann ...

      Trennung, Schmerz, Tränen.

      Warum musste sie ausgerechnet diesem Mann begegnen? Warum musste es ausgerechnet der Sohn eines Scheichs sein? Wieso konnte es nicht ein Mann sein, der länger als zwei Wochen bei ihr blieb? Ein Mann, der ihr eine Freundschaft mit Zukunft bieten konnte.

      Diese Freundschaft hatte keine Zukunft. Man kann keine Freundschaft über mehrere tausend Kilometer aufrechthalten. Täglich ein Brief, vielleicht auch ein Anruf - im ersten Monat. Vielleicht auch noch im zweiten. Dann weniger Briefe, weniger Telefonate. Und nach einem halben Jahr? Das Ende ...

      Nein, so stellte sich Lydia die Beziehung zu einem Mann nicht vor.

      Er sprach wieder über seine Heimat. Sie hörte seine Worte kaum, war zu sehr mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt, lauschte nur dem angenehmen Klang seiner Stimme, der sie einhüllte und umschmeichelte.

      Ihnen fiel nicht auf, dass mehr und mehr Wolken aufzogen. Sie vermissten die Wärme der Sonne nicht, denn eine andere Sonne strahlte in ihnen und wärmte sie auf eine wunderbare Weise. Erst als ein kühler Wind aufkam, blickte der junge Araber hoch, und da grollte auch schon der erste Donner.

      Lydia zuckte heftig zusammen. Sie mochte keine Gewitter, hatte Angst vor Blitzen. Erst neulich hatte ein einziger Blitz fünf Menschen erschlagen. Das Unglück ereignete sich nicht einmal zwanzig Kilometer vom Mondsee entfernt. Eine kleine Marktgemeinde hatte einen Wandertag veranstaltet, und die Teilnehmer waren von einem rasch aufziehenden Gewitter überrascht worden. Es hatte in einer alten Zeitung gestanden, die Lydia im Wohnheim gefunden hatte. Acht Personen hatten unter einer mächtigen Eiche Zuflucht gesucht, und genau dort hatte der „Mörderblitz“, wie der Berichterstatter ihn genannt hatte, eingeschlagen. Fünf Menschen waren auf der Stelle tot gewesen.

      Man stellt sich bei Gewitter nicht unter einen Baum, heißt es. Man hält sich bei Gewitter aber auch nicht in der Mitte eines Sees auf, dachte Lydia aufgeregt. Wir sind für den Blitz eine lebende Zielscheibe. Großer Gott, wie konnten wir nur das Herannahen des Gewitters übersehen?

      Harun Achbar stand auf. Das Boot schwankte wieder heftig. Lydia Fersten hielt den Atem an und biss sich auf die Lippe. Ziemlich blass war sie jetzt.

      „Machen Sie sich keine Sorgen“, keuchte der junge Araber. „Ich bringe Sie sicher zurück.“

      Wie konnte er ihr so etwas versprechen? Hatte er ein Sonderabkommen mit Allah?

      Er griff nach den Rudern und beugte sich weit vor. Rasch setzte er die flachen Ruderblätter ins Wasser und zog sie kräftig durch. Ernst und verbissen ruderte er, während sich der Himmel mehr und mehr verdunkelte und der Sturm, der die Seeoberfläche kräuselte, immer stärker wurde.'

      Ein Blitz flammte auf, und Lydias Herz übersprang einen Schlag. Sie sehnte sich nach Bergesfelden zurück.

      „Ist Ihnen kalt?“, fragte der junge Araber.

      „Nein.“

      „Hängen Sie sich trotzdem mein Jackett um“, verlangte er, und die Krankenschwester gehorchte.

      Der freundliche, idyllische Mondsee verwandelte sich in ein böses Ungeheuer. Wellen schlugen wild gegen das kleine Boot und Spritzwasser klatschte herein.

      Lydia klammerte sich an den Bootsrand und blickte immer wieder ängstlich zum Himmel hoch. Der Wind wurde zum Sturm, fast schon zum Orkan, und er kam von Bergesfelden her. Unermüdlich kämpfte Harun Achbar dagegen an, aber Lydia hatte den Eindruck, dass sie kaum vom Fleck kamen. Die ersten Regentropfen fielen. Schwer, groß, kalt. Jeder Tropfen, der Lydia traf, war wie ein Schlag.

      „Es hat keinen Zweck!“, schrie die blonde Krankenschwester. „Sie vergeuden sinnlos Ihre Kraft, Harun! Rudern Sie mit dem Wind!“

      „Dann entfernen wir uns noch mehr von unserem Ausgangspunkt.“

      „Das macht nichts. Wichtig ist nur, dass wir so bald wie möglich an Land kommen.“ Sie musste schreien, damit Harun Achbar sie verstand. Das Unwetter nahm beängstigende Ausmaße an.

      Der Araber setzte die Ruder ein. Eines drückte er nach vorn, während er das andere zurückzog. Auf diese Weise drehte er das Boot, und wenig später ruderte er wie wild mit dem Wind. Nun kamen sie sehr schnell vorwärts.

      Der Regen wurde dichter. Sturmböen schüttelten das kleine Boot und trieben es auf einen schmalen Schilfgürtel zu. Harun Achbar versuchte nicht, es zu verhindern, sondern nutzte die Kraft