Rhöner Nebel. Friederike Schmöe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Friederike Schmöe
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783839263006
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      Turteltauben! Katinka lief zu ihrem Italiener. Als sie mit den Reisetaschen zurück zum Haus ging, sah sie, wie Anja und Martin weiter angeregt miteinander sprachen. Die beiden hatten offenbar schnell wieder einen Draht zueinander gefunden.

      »Suchen Sie Ihr Zimmer?« Ein beinahe zwei Meter großer, durchtrainierter Mann in schwarzer Motorradkluft stand hinter der Eingangstür und fuhr mit einem ölverschmierten Finger über eine Liste, die an der Wand hing.

      »Zwei Zimmer, um genau zu sein«, erwiderte Katinka. »Katinka Palfy und Anja Riedeisen.«

      »Ich habe meine Brille vergessen. Palfy, das könnte hier sein.« Er kniff die Augen zusammen.

      Unheimlich blaue Augen. Und buschige Augenbrauen. Wie besonders haarige Raupen, dachte Katinka. Der Typ Mann, der sie ansprechen würde, hätte sie nicht Hardo. Wobei sie erleichtert war, heute einmal nicht seine düstere Laune aushalten zu müssen. Seit jemand in der Polizeidirektion Mist gebaut hatte und intern kein Stein auf dem anderen blieb, war er zu einem grantigen Verdrießling mutiert. Katinka konnte zwar verstehen, dass ihm der ganze Ärger an die Nieren ging. Das machte es für seine Mitmenschen jedoch nicht einfacher.

      Sie stellte sich neben den Easy Rider. »Da haben wir es ja: Palfy 201 und Riedeisen 202«, sagte sie leichthin.

      »Finden Sie auch den Namen Gebsen auf der Liste?«

      »Gebsen, Tobias.« Katinka tippte mit dem Finger auf den Eintrag. »Dritter Stock, 301.«

      »Danke.« Er lachte. »Ich dachte immer, es wäre peinlich, die Lesebrille aus der Westentasche zu ziehen. Mittlerweile habe ich den Eindruck, es ist viel peinlicher, wenn man sich ständig einen Vorleser suchen muss.«

      »Da ist was dran. Sie waren Zivi hier, oder?«

      »Sie sind gut informiert. Vor 30 Jahren. Und Sie?«

      »Ich bin Begleitperson. Meine Freundin leistete hier ihr freiwilliges soziales Jahr ab. Sie heißt Anja Riedeisen, früher Mähling.«

      »Anja ist gekommen? Wahnsinn! Das waren Zeiten!«

      Katinka musterte den Mann neugierig. Der sprichwörtliche Hüne. Mit riesigen Füßen. Mindestens Schuhgröße 47. Richtige Elbkähne.

      »Echt?«

      »Klar! Die Rhön schweißt zusammen, müssen Sie wissen!« Er grinste. »Na, dann ziehe ich mal ein. Zum Glück nur für eine Nacht.« Er hievte einen Rucksack hoch. Katinka wünschte sich, er bliebe noch ein paar Minuten hier stehen.

      »War es so schlimm damals?«

      »Nein!« Er winkte ab. »Überhaupt nicht. Meistens jedenfalls nicht.«

      *

27.9.1987

      8.

      Als hätte er nicht genug Sorgen. Kleine Kinder, kleine Sorgen. Große Kinder … Sei’s drum. Eduard Mähling rieb sich die Hände. Wenigstens aus den andauernden Geldproblemen hatte er einen Ausweg gefunden. Zufälle gab es, die hätte sich niemand ausdenken können. Nun allerdings wurde der Boden unter seinen Füßen heiß. Er selbst war der Einzige, dem es auffiel. Horweg sah die Sache naturgemäß anders. Und van Cuun erst! Dieser Spinner mit seinem Mercedes in Goldmetallic.

      Nein, es lag nicht an dem Wagen. Van Cuun hatte ihm oft genug erläutert, dass es in seiner Branche ein Vorteil war aufzufallen. Man müsste eben nur richtig auffallen, hatte van Cuun gesagt und sich über diesen vermeintlichen Witz kaputtgelacht.

      Mähling fand weder den Wagen noch van Cuun noch den Witz lustig. Aber er hatte sich saniert. Durch Typen wie Horweg und van Cuun.

      Mähling zog die Arbeitszimmertür zu. Seine Tochter war nicht mehr im Haus. Das große Kind ging eigene Wege. Und seine Frau hatte sich im Laufe der Ehe daran gewöhnt, dass ihr Mann nicht zu sprechen war, wenn er sich im Arbeitszimmer verschanzte. Störungen waren nicht zu erwarten.

      Er goss sich einen Whiskey ein. Das ledrige Aroma stieg ihm angenehm in die Nase. Doch seltsamerweise beruhigte der Duft ihn heute nicht im Geringsten. Er steckte in Schwierigkeiten.

      Alles hatte mit einem offiziellen Geschäft mit der DDR begonnen. Er belieferte das Wirtschaftsministerium in Ostberlin mit seinen Papierprodukten. Auf der Leipziger Messe hatte er das eingefädelt. Er wollte eigentlich vorfühlen, ob er in der DDR produzieren lassen könnte. Zu einem Bruchteil der Kosten, die er im Westen decken musste. Letztlich war alles anders gekommen. Er hatte gut verkauft. Vor allem Fotopapier. Hochwertiges. Wofür die da drüben so viel Fotopapier benötigten – Mähling war es gleichgültig. Hauptsache, er ging nicht in Insolvenz. Kurz darauf interessierte sich der Osten außerdem für seine Schreibmaschinen. Die gute alte Brother. Mit Korrekturband und Speicherfunktion, ganze drei Seiten konnte die im Gedächtnis behalten! Nicht alle wollten auf Computer umsteigen, obwohl immer mehr Leute das Maul aufrissen und taten, als wäre so ein Rechner das Ende aller Geheimnisse des Planeten. Mähling glaubte nicht an das neue Zeitalter. Die Handhabung war viel zu kompliziert, es würde lange dauern, bis Otto Normalverbraucher die Technik anwenden konnte. Insofern investierte er lieber in die Schreibmaschine, da lief alles ganz intuitiv. Wie man es kannte. So wollte die Masse der Kunden es haben.

      Als Unterhändler hatte Horweg gute Arbeit geleistet. Der Ostberliner hatte Mähling seinerzeit sogar in Fulda besucht. Bei einem Drink in Mählings Arbeitszimmer war ihm die Kohlezeichnung von Degas aufgefallen.

      Ich hätte nichts sagen sollen, dachte Mähling. Hätte Horweg doch denken sollen, es wäre wirklich ein Degas.

      Stattdessen hatte Mähling aufgekracht. Hatte sich sicher gefühlt, auch ein bisschen geschmeichelt. Horweg war jemand, der einem anderen Honig ums Maul schmieren konnte. Damals, 1985.

      Die Zeichnung sehe aus wie ein Degas, hatte Mähling gesagt. In Wirklichkeit handelte es sich um eine außerordentlich gut gemachte Kopie.

      Eine Fälschung? Wie Horweg ihn angesehen hatte. Seine spitze Nase, die schwarzen Augen! Richtig gelodert hatten die.

      Wenn man so wolle, könnte man es eine Fälschung nennen, hatte Mähling geantwortet, und der folgende Schluck Whiskey hatte ein Brennen in seinem Magen ausgelöst.

      Wie der Drink jetzt. Er stellte das Glas weg.

      Horweg hatte ihm aus dem Stegreif eine Idee unterbreitet und um Stillschweigen gebeten, bis er sich nach oben abgesichert hätte. Für Mähling wäre mit Sicherheit ein guter Nebenverdienst drin. D-Mark, selbstverständlich. Dabei hatte Horweg Mähling freundlich zugenickt. Mit einem lauernden Ausdruck im Gesicht. Der ließ Mähling heute noch einen kalten Schauer über den Rücken laufen.

      Zwei Monate später hatte Horweg erneut in Fulda Station gemacht. Seinen Wartburg parkte er selbstbewusst auf Mählings Auffahrt. Dem war so viel Offenheit unangenehm, er wollte nicht, dass die Nachbarn mitbekamen, dass er Besuch von drüben hatte. Später fragte ihn tatsächlich jemand danach. Mähling redete sich mit einem angeblichen Verwandten seiner Frau heraus.

      Er müsse verstehen, erläuterte Horweg. Da gäbe es Leute in der Nomenklatura, die seien weit aufgestiegen, aber eben nicht bis ganz an die Spitze. Trotz Ehrgeiz und Talent. Trotz guter Kontakte. Irgendwie reichte es nicht. Diese Leute suchten sich anderweitig Bestätigung. Ob Mähling das nachvollziehen könne?

      Mähling nickte und merkte, dass er in die Falle gegangen war. Er kannte sich mit Verhandlungsstrategien aus. Wer einmal Ja sagte, kam aus der Schleife nur schwer heraus. Zudem saß ihm der Schreck des Beinahe-Bankrotts noch im Nacken, den er allein durch die Extrageschäfte mit Ostberlin abgewendet hatte. Wer weiß, wie lange diese Beziehungen bestehen würden!

      Ob Mähling Kontakt zu dem Fälscher herstellen könne?

      Mähling reagierte geschickt. Der Künstler sei eine zarte Seele. Nicht fürs raue Geschäftsleben geschaffen.

      Horweg verstand. Natürlich, so waren sie halt, diese Künstler. Joviales Lachen. Noch ein Drink.

      Worum es Herrn Horweg denn ginge?

      Sie kamen ins Geschäft. Fälschungen von Kunstwerken