Rhöner Nebel. Friederike Schmöe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Friederike Schmöe
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783839263006
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werde sehen, was ich tun kann.«

      »In spätestens vier Wochen.« Horweg erhob sich ebenfalls. »Immer wieder eine Freude, mit Ihnen Geschäfte zu machen, mein Freund.«

      *

18.5.2018

      13.

      Die Hausführung endete nach einem Marsch durch sämtliche Stockwerke in der Kapelle, einem hellen Raum mit blauem Deckengewölbe, der im Stil des naiven Bauernkatholizismus gehalten war. Katinka meinte sich zu erinnern, dass dieser Begriff von Schwester Romana mit einem spöttischen Lächeln ausgesprochen worden war. Das Geburtstagskind blühte sichtlich auf. Mit ihren 80 Jahren entfaltete die Schwester eine Energie, die Katinka im Augenblick völlig abging. Sie sehnte sich nach einer Pause von den vielen Eindrücken und nach einer Stunde Ruhe, in der sie über Anja und ihre wahren Beweggründe, eine Detektivin zu engagieren, nachdenken konnte. Die Gruppe löste sich auf, einige wollten einen Spaziergang unternehmen, andere ihre Zimmer beziehen.

      »Nicht vergessen, um 16 Uhr ist die Andacht, danach Abendessen!«, rief Schwester Romana in die Runde.

      Katinka stöhnte leise. Von einem Programmpunkt zum nächsten getrieben zu werden, war ihre Sache nicht. Während der Hausführung war sie weiter bei Tobias Gebsen geblieben, obwohl dieser auf ihre Frage nach der geheimnisvollen Kirsten hin nachgerade verstummt war. Jedes Wort musste sie ihm aus der Nase ziehen. Nun hastete er davon, ängstlich darauf bedacht, nicht wieder in ein Gespräch verwickelt zu werden. Anja wechselte ein paar Worte mit Gitta Krone und verließ ebenfalls die Kapelle.

      Katinka ging ihr nach. Im zweiten Stock angekommen, zögerte Anja kurz, bevor sie den Schlüssel in die Zimmertür schob. Sie gab sich einen Ruck und sperrte auf. Als sie die Tür schließen wollte, drückte Katinka dagegen und trat mit Anja in das Zimmer.

      »Frau Riedeisen, ich reise ab. Ich stelle Ihnen einen halben Tag und die Fahrtkosten in Rechnung. Das war es dann.«

      »Wie bitte?« Anjas Gesichtsausdruck, eben noch schroff, geriet zu einer erschrockenen Grimasse.

      Katinka schloss die Tür hinter sich und sank auf den Stuhl vor dem Schreibtisch. Schweigend sah sie zu, wie ihre Klientin nach Worten rang.

      »Was ist denn los?«, brach es schließlich aus Anja heraus.

      »Das wüsste ich auch gern. Warum haben Sie mich als Begleitperson verpflichtet? Worum geht es Ihnen wirklich? Ich kann so nicht arbeiten.«

      »Ich wollte nur eine Begleitung.«

      »Da hätten Sie wer weiß wen mitnehmen können. Einen Ihrer Söhne oder eine echte Freundin. Warum mich?«

      »Ist das so wichtig? Sie passen bis morgen auf mich auf. Das ist alles, was ich will, und ich bezahle dafür.«

      »Sind Sie in Gefahr? In dem Fall brauche ich Fakten. Ansonsten kann ich Sie nicht beschützen und setze meinen guten Namen aufs Spiel.« Katinkas Handy gab Laut. Sie zog es aus der Tasche. Eine Antwort von Hardo zu dem Foto, das sie vor Stunden geschickt hatte. »Sapperlot«, schrieb er. Sonst nichts. Katinka steckte das Smartphone weg.

      »Ich verstehe nicht«, murmelte Anja.

      »Wer kann Ihnen gefährlich werden, Frau Riedeisen? Und in welcher Weise?«

      Anja rang die Hände. »Niemand, glaube ich. Aber … ich fühle mich unwohl hier.«

      »Vorhin hatten Sie ein angeregtes Gespräch mit Gitta Krone. Da wirkte nichts feindselig. Auch nicht im Kontakt mit den Schwestern Romana und Gertrudis. Geschweige denn Ihr kleiner Flirt mit Süderbeck. Also, was ist der Punkt?«

      Anja ging zum Fenster. Sie schlüpfte aus ihrem Blazer, warf ihn aufs Bett. »Sie haben sich doch einverstanden erklärt mit meinem Auftrag. Warum setzen Sie mich jetzt unter Druck?«

      Katinka hatte einen Grundsatz. Sie ließ sich nicht auf Psychodiskussionen ein.

      »Wer war Kirsten, Frau Riedeisen?«

      Anja fuhr herum. Ihr Gesicht war käseweiß.

      »Was …«

      »Sie, Tobias Gebsen und Kirsten waren Freunde. Sie hatten alle ein Jahr oder etwas mehr im Internat zu verbringen, alles war neu für Sie drei. Zu Beginn des Schuljahres unternahmen Sie ab und zu etwas gemeinsam, fuhren nach Mellrichstadt, gingen in die Disko. Und hernach brach das ab. Gebsen sagte, es hätte am Wetter gelegen, in diesen Breiten ist es im Herbst oft umständlich, bei überfrierender Nässe oder Schnee am Abend kilometerweit über die Höhen zu fahren. Außerdem verliebten Sie sich in Martin. Ein netter Kerl übrigens.«

      Anja schluckte. Sie starrte auf Katinkas Füße. Die fühlte das Bedürfnis, mit den Zehen zu wackeln.

      »Also blieben Tobias und Kirsten allein übrig. Die beiden verliebten sich. Und? Wo war das Problem?«

      »Es gab kein Problem«, erwiderte Anja heiser.

      »Tobias und Kirsten verstanden sich später nicht mehr so gut. Die Abgeschiedenheit, der Umstand, dass für beide ein neuer Lebensabschnitt in einer fremden Umgebung begann, führte sie zu Beginn zusammen. Nach einer Weile trug das nicht mehr.«

      »Kirsten war wie ich im pädagogischen Dienst. Sie wollte später vielleicht Theaterpädagogik studieren. Ihre Mutter war Dramaturgin am Theater in Würzburg.« Anjas stieß sich vom Fenster ab, setzte sich aufs Bett. Nachdenklich strich sie über die Decke. »Fühlt sich genauso an wie damals. Dicke Federbetten. Die haben mich anfangs erdrückt. In den kalten Winternächten war ich doch sehr dankbar darum. Die Heizung funktionierte zwar gut, aber sie wurde ab zehn Uhr abends ausgestellt und sprang erst morgens um fünf wieder an.«

      Katinka wartete. Waren Menschen erst einmal ins Reden gekommen, hörten sie so schnell nicht mehr auf.

      »Kirsten verguckte sich ziemlich schnell in Tobias. Zuvor hatte sie eine harte Trennung von ihrem vorherigen Freund vollzogen. Dann knallte es schnell wieder.«

      »Sie verstanden sich gut, Sie beide?«

      »Total. Wie Seelenverwandte. Ich musste nur ein Thema antippen, sofort stimmte Kirsten ein. Wir empfanden die Welt beide gleich. Wollten etwas besser machen. Raus aus der Enge des Elternhauses. Bei mir war es der dominante Vater, der zu viel verbot. Für Kirsten war es anders: Ihre Mutter war antiautoritär eingestellt. Sie feierte viele Erfolge in ihrer Theaterwelt, hatte unzählige Freunde und Bewunderer, war stets von kreativen Typen umgeben. Kirsten verspürte den inneren Zwang nachzuziehen, sich beweisen zu müssen. Dass sie auch etwas schaffte. Auf einem anderen Gebiet als die Mutter.«

      Katinka dachte, dass junge Menschen um die 20 sich alle endgültig von ihrem Elternhaus lösen, ihren eigenen Weg finden mussten. Der Erfolg bestand ja gerade darin, es ohne Hilfe zu schaffen. Vom Innenhof drang Stimmengewirr herauf. Eine Wolke verschleierte kurz die Sonne.

      »Kirsten hatte das Zimmer, in dem Sie jetzt wohnen. Ich dieses. Wir beide lebten allein auf diesem Stock, die anderen Zimmer waren schon nicht mehr bewohnt. Ich fürchtete mich oft, wenn ich bei Kirsten im Zimmer saß und spät nachts zu mir rüber wollte. Bloß über den Gang zu gehen, war unheimlich.«

      »Das Ehepaar Krone, wo wohnten die?«

      »Im anderen Haus, bei den älteren Schülern. Sie hatten eine eigene große Wohnung. Luden die Kollegen ab und zu ein, zu Bier und Brotzeit. Ab der Oberstufe gab es keine Schlafsäle mehr, die Schüler wohnten in Zweibettzimmern, hatten sogar eine kleine Teeküche zur Verfügung.«

      »Und hier im Haus?«

      »Im ersten Stock befanden sich das Direktorat mit Vorzimmer, außerdem die Schwesternzimmer. Da hat sich bis heute nichts verändert. Allerdings gab es noch einen Mädchenschlafsaal auf der ersten Etage. Die Jungen der Unter- und Mittelstufe verteilten sich über den dritten Stock. Sechs Kinder pro Schlafsaal. Kirsten und ich waren morgens für das Wecken zuständig. Wenn wir die Nacht durchdiskutiert hatten, über Gott und die Welt, schleppten wir uns halb tot um 6.15 Uhr nach oben. Oder nach unten.« Sie lachte auf. Allmählich nahm ihr Gesicht wieder Farbe an.

      »Es muss doch noch andere