Rhöner Nebel. Friederike Schmöe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Friederike Schmöe
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783839263006
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haben uns 30 Jahre nicht gesehen«, jammerte Anja, während sie in einer Aufwallung von Entschlossenheit ihre Handtasche unter den Arm klemmte. »Und er ist verheiratet! Meine Güte, wie viel Zeit vergangen ist.«

      »Haben Sie nie versucht, Kontakt zu ihm aufzunehmen?«

      »Nein, irgendwie ergab sich nie der richtige Moment. Anscheinend funktionierte unsere Beziehung nur hier oben. Nach dem Abitur leistete er seinen Zivildienst, nicht weit von hier, ich studierte in München, also …«

      »Anja?«

      Der Schlaks mit den Locken kam auf sie zu.

      »Jetzt hat er das Rennen gemacht«, murmelte Katinka. »Geschwindigkeit ist alles.«

      »Martin?«

      »Verdammt, ist das lang her!« Martin Süderbecks Gesicht rötete sich, als er Anja linkisch umarmte und schließlich an den Schultern packte, um sie ein Stück von sich wegzuhalten. »Du hast dich überhaupt nicht verändert!«

      »Das habe ich überhört.« Sie lachte.

      Er wandte sich an seine Frau, die ihm nachkam. »Carola, das ist Anja, ich habe dir von ihr erzählt. Anja hatte das Abitur schon in der Tasche, als sie hier ihren Freiwilligendienst antrat.«

      »Während du gepaukt hast, was du all die Jahre verpasst hattest«, vollendete seine Frau. »Faulpelz! Ich kenne die Geschichte.« Mit einem freundlichen Lächeln drückte sie Anja die Hand. Sie war sehr groß, fast so eine lange Latte wie ihr Mann. Ihre perfekten Beine steckten in weißen Jeans. Das Haar trug sie in einem schicken, kinnlangen Schnitt, den der Wind hartnäckig sabotierte. »Hi. Ich bin Carola.«

      »Freut mich, freut mich.« Anja zeigte auf Katinka. »Das ist meine Freundin Katinka Palfy. Ich hatte keine Lust, alleine zu kommen.«

      »Bist du verheiratet?«, fragte Martin Süderbeck rundheraus.

      »Nicht mehr. Und die Kinder gehen längst eigene Wege.«

      »Das können wir von unseren Wirbelwinden leider nicht sagen, was?« Martin Süderbeck legte seiner Frau den Arm um die Schultern. »Wir waren einfach spät dran.«

      »Du warst spät dran«, betonte seine Frau. »Ich nicht.«

      Katinka schüttelte den beiden die Hand. »Freut mich, Sie kennenzulernen.«

      »Haben Sie zufällig auch Internatserfahrung?«, wollte Martin wissen.

      »Nicht die Bohne«, antwortete Katinka.

      »Sie Glückliche!«

      »Tu nicht so!« Carola gab ihrem Mann einen Klaps auf den Po. »Dir hat es hier gefallen, das hast du mir selbst erzählt.«

      Er zwinkerte. »Wer wird so kaltschnäuzig sein, seiner Frau zu widersprechen! Meine Mutter war jedenfalls erleichtert, als ich endlich das Abitur in der Tasche hatte. Da es keinen Vater gab, hing alles an ihr. Der kiffende Jungspund, der in der Gosse landet, wenn er die Schule schmeißt, das war ihr Schreckensszenario, wenn es um meine Zukunft ging. Inzwischen kann ich ihre Ängste verstehen.«

      »Rundum geläutert«, lästerte Carola. »Ich besorge uns einen Sekt.« Sie machte sich von ihrem Mann los und ging davon.

      »Bist du jemals wieder hier gewesen seit 1988?«, wandte Martin sich an Anja.

      »Nein. Nie.«

      »Was sich in der Zwischenzeit geändert hat! Man mag es kaum glauben. Ich habe noch auf dem Schirm, wie ich am ersten Tag als Schüler instruiert wurde, die Grenze zu meiden. Stimmt es, dass die Nonnen im Sommer ihre Zelte abbrechen?«

      Anja nickte. »Soweit ich weiß.«

      Ein unbehagliches Schweigen senkte sich herab.

      »Ich glaube, ich helfe Ihrer Frau mal beim Servieren«, entschuldigte sich Katinka, Anjas panischen Blick ignorierend. Wofür fürchtete sich die Frau? Süderbeck würde ihr bestimmt nicht vor all den Leuten an die Wäsche gehen. Im Davonschlendern hörte sie, wie Martin sagte:

      »Bist du wirklich Lehrerin geworden?«

      »Bin ich. Deutsch und Geografie. Und du?«

      »Architekt.«

      »Wahnsinn.«

      »Findest du?«

      »Ich wusste nicht, dass du dafür ein Faible hattest.«

      Katinka grinste. Die beiden würden sich zweifellos zusammenraufen. Carola kam ihr entgegen, zwischen ihren Fingern steckten vier Sektgläser.

      »Befreien Sie mich?«, lachte sie.

      »Das ist mein drittes heute. Allmählich steigt mir der Schampus zu Kopf.« Katinka nahm ihr zwei Gläser ab.

      »Halb so wild. Manche gesellschaftlichen Anlässe kann man sowieso nur betrunken ertragen.« Sie schien es als Witz gemeint zu haben. Wie zur Bestätigung trank sie ein Glas in einem Zug zur Hälfte leer. »Schön hier.«

      »Im Frühling …«, begann Katinka.

      »… ist es überall schön. Trinken wir auf den Frühling!«

      »Zum Wohl!« Katinka stieß mit ihr an. Carola war stark geschminkt, eine dicke Schicht Make-up verbarg erste Fältchen um die Augen.

      »Martin war total aufgekratzt, als er die Einladung zu diesem Geburtstagsfest bekam. Er war wirklich seit 30 Jahren nicht mehr hier. Seine Mutter ist vor fünf Jahren gestorben. Sie lebte in Bad Königshofen, das ist nicht weit von hier. Wir haben sie oft besucht, aber Martin hatte nie Lust, bei der Gelegenheit ins Gebirge raufzufahren.«

      »Anja konnte sich auch nie zu einem Besuch aufraffen.«

      »Merkwürdig, nicht wahr?« Carola sah träumerisch in die Ferne. »Ich treffe mich jedes Jahr mit meinen alten Klassenkameraden.«

      »Ihr Mann hat gar keinen Kontakt zu seinen früheren Mitschülern?«

      »Er fühlte wohl keine starke Zugehörigkeit zu ihnen, weil er erst später in die Klasse kam.«

      »Kann sein.« Katinka mochte keinen Small Talk, doch wenn sie schon sonst nichts zu tun hatte, schadete es nicht, in die Dynamiken hinter den Beziehungen einzusteigen.

      »Wie halten Sie es mit Nonnen?« Carola kippte das zweite Glas.

      »Was meinen Sie?«

      »Hatten Sie jemals mit Nonnen zu tun?«

      »Ich lebe in Bamberg, da gibt es ausreichend.«

      »Wirklich?«

      »Wo wohnen Sie denn?«

      »Im Taunus. Als die Kinder kamen, sind wir aufs Land gezogen. Vorher lebten wir in Frankfurt. Ich bin von Haus aus ein Großstadtmensch. Und Martin arbeitet immer noch in dem Architekturbüro, wo er nach dem Studium angefangen hat. Jedenfalls: In Frankfurt sind Nonnen Fehlanzeige.«

      Katinka lachte. »Bayern tickt da wohl anders.«

      »Kann sein. Ich werde mal nach den Mädchen sehen.« Carola nickte Katinka zu und ging davon.

      Einige der Gäste machten sich mittlerweile zu ihren Autos auf, um ihr Gepäck zu holen. Manche schienen bereits ihre Zimmer bezogen zu haben und gaben Hinweise, wer wo untergebracht war.

      Katinka ging zu Anja und Martin zurück.

      »Nach der Sache mit Kirsten war nichts mehr so, wie es vorher war«, sagte Anja gerade mit gesenkter Stimme.

      »Ihr habt euch super verstanden, oder?«

      »Sie war die beste Freundin, die ich je hatte. Ich hätte es nicht geschafft, noch einmal herzukommen. Nach allem, was war …«

      »Noch ein Gläschen?«, unterbrach Katinka, während sie Anja das zweite Sektglas hinhielt.

      Anja unterbrach sich abrupt. »Gern.«

      »Ich hole unser Gepäck und sehe mal, wo wir schlafen«, sagte Katinka