Rhöner Nebel. Friederike Schmöe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Friederike Schmöe
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783839263006
Скачать книгу
beinahe gegen ihn geprallt.

      »Hat Anja Ihnen das nicht erzählt?«

      »Was denn?«

      Die Gruppe war vorausgegangen und in der Küche verschwunden. Von fern drang Schwester Romanas Organ zu ihnen heraus.

      »Kirsten ist tot.«

      »Ach du Schreck.«

      »Ja. Sie starb während ihres sozialen Jahres. Eine Tragödie war das. Echt. Ich hätte nie gedacht …« Sein Blick verlor sich in der Vergangenheit.

      »Sie hätten nie gedacht?«

      »Ach, sei’s drum. Ist müßig.« Ein trauriges Lächeln spielte um seine Lippen. »Wollen Sie nicht die Küche bestaunen?« Damit eilte er auf seinen langen Beinen davon.

      Katinka hatte Mühe, dass sie hinterherkam.

      *

      11.

      Letztlich ist stets das Geld das Problem. Sogar im Kloster.

      Der Unterhalt des Hauses war und ist zu kostspielig. Müssen wir unser Zuhause wirklich aufgeben? Das Leben erscheint mir so aussichtslos. Abgeschoben werden, in ein Altersheim für Nonnen. Darf das unser Ende sein?

      Wir haben uns ins Zeug gelegt, mit den veränderten Bedingungen umzugehen, haben Häuser und Besitz verkauft, das Geld in Fonds angelegt, alles gemacht, was die Berater vorschlugen, ohne genau zu verstehen, was wir da taten. Ist es nicht besser, die Dinge auf sich beruhen zu lassen? Muss man jeden Dreck wieder unter dem Teppich hervorkehren? Ist es nicht barmherziger, wenn er sich dort festtritt? Alle haben zurück in ihr Leben gefunden. Warum es erneut auseinanderreißen?

      Nichts hat uns sattelfest gemacht. Kein Gebet, keine Vernunftentscheidung, kein Zähneknirschen.

      Ich habe geahnt, dass diese Feier keine gute Sache sein wird. Es wäre angemessener, wenn wir beteten für die, die wir vernichtet haben, ohne es zu wollen. Wie eigenartig das Leben mit uns Menschen spielt! Oder spielt Gott mit uns?

      Heiliger Geist,

      Geist der Weisheit und der Einsicht

      Geist der Erkenntnis und der Frömmigkeit

      Geist der Gottesfurcht

      Geist des Glaubens und der Hoffnung

      Geist der Liebe

      *

10.2.1988

      12.

      Es schneite. Der Winter wollte kein Ende nehmen. Mähling hatte den Motor gehört und trat ans Esszimmerfenster. Schob die Gardine ein wenig zur Seite. Tatsache. Horweg. Unangemeldet. Er ließ den Store fallen, aber Horweg hatte ihn bereits erspäht und machte keinen Hehl daraus. Gönnerhaft winkte er Mähling zu. Vor ein paar Tagen hatte die Nachbarin gesagt: »Sie bekommen ganz schön oft Besuch von drüben! Dass die ihre Leute so oft rauslassen.«

      Die alte Wagner, zum Henker! Die hatte vorne und hinten Augen. Natürlich war ihr aufgefallen, dass immer derselbe Wartburg auf der Auffahrt parkte. Mähling begann zu schwitzen. Seine Frau war bei ihrer Schwester. Wenigstens hatte er freie Bahn.

      Er ging zur Tür und öffnete, ehe Horweg klingelte.

      »Herr Horweg!« Er bemühte sich um einen fröhlichen Klang. Ein netter Überraschungsbesuch unter Freunden. Wer würde an diese Version glauben? Horweg bestimmt nicht.

      »Es tut mir leid, dass ich so unangekündigt hereinschneie. Im wahrsten Sinne des Wortes. Was für ein Wetter! In der Rhön oben steckt man beinahe fest. Wenigstens waren die Schneepflugfahrer fleißig. Auf beiden Seiten.« Er grinste.

      »Kommen Sie rein.« Mähling führte ihn ins Arbeitszimmer. »Darf’s ein Drink sein?«

      »Da sage ich nicht Nein.«

      Mähling goss Bourbon in zwei schwere Tumbler.

      »Zum Wohl!«

      »Auf die Feindbilder!« Horwegs Augen blitzten. »Was wären wir ohne sie, nicht wahr, Eduard?«

      Mähling hob sein Glas. »Was führt Sie zu mir?«

      »Meine Kunden warten. Es geht um einen fähigen Beamten des Ministeriums für Staatssicherheit. Er musste bei einer Beförderung leider in die zweite Reihe treten. Tja, zu schade, dass es nur eine beschränkte Anzahl hoher Positionen gibt und zu viele Kandidaten mit herausragenden Talenten, die eine Beförderung verdienen.«

      Horweg trug seine Worte so überzeugt vor, dass Mähling sich fragte, ob der Mann wirklich an diesen Mist glaubte.

      »Sie haben Angst, dass der Übergangene Druck macht, wenn er nicht mit einem gleichwertigen Bonus beschwichtigt wird«, sagte er ruhig.

      Horweg lehnte sich zurück. Sein Haar war zu lang für einen DDR-Kader. Er agiert in einer Grauzone, dachte Mähling. Ein zu smarter, zu cleverer Typ. Der sich in alle Richtungen absichert. Eine schillernde Schmeißfliege.

      »Lassen Sie mich ehrlich sein, Eduard. Sie zögern nun schon recht lang.«

      »Der Künstler braucht mehr Zeit.«

      »Für eine simple Kohlezeichnung, die er streng genommen bloß abpausen musste?«

      Mähling schwitzte noch mehr. Spaßend hob er den Zeigefinger: »Lassen Sie das um Gottes willen nicht den Künstler hören.«

      Horweg beugte sich vor. Er wusste um die Macht des Schweigens. Nachdenklich drehte er den Tumbler in seinen feingliedrigen Fingern, während er angelegentlich den Perserteppich musterte. »Bei euch im Westen nagen die Künstler am Hungertuch. Der arme Poet. Der arme Maler.«

      Mähling erwiderte nichts. Er ließ sich auf das Kräftemessen ein. Ihm blieb nichts anderes übrig. Dass Künstler Mimosen seien, diese Ausrede hatte er längst überstrapaziert. Er wollte aussteigen aus diesem Geschäft, aber er war zu ängstlich. Wenn das Ministerium für Materialbeschaffung in Ostberlin sein Fotopapier nicht mehr wollte, stünde er da. Zumal ihm in der Folge auch das Geld aus dem Business mit Horweg abginge. Ein Sechsjähriger könnte ausrechnen, dass er bis zum Sommer pleite wäre.

      »Ich will damit sagen«, fuhr Horweg fort, als Mähling keine Anstalten machte, etwas zu erwidern, »ich kann mir nicht vorstellen, dass der Mann den guten Verdienst einfach so in den Wind schreibt.«

      »Vermutlich arbeitet er darüber hinaus noch für andere. Ich kann ihn nicht drängen, das ist die Basis meiner Zusammenarbeit mit ihm. Ansonsten macht er dicht. Dann war es das.«

      Horweg ließ die braune Flüssigkeit im Glas schwappen. »Eduard. Ich darf Sie doch Eduard nennen, nach allem, was wir in der Vergangenheit miteinander ausgehandelt haben? Männer wie wir können die Welt verändern, mein Freund.«

      Verändere erst mal dein absurdes Land da drüben, dachte Mähling. Er hätte sich nie auf Horweg einlassen dürfen. Der Mann war mit allen Wassern gewaschen und würde nicht davor zurückscheuen, Opfer zu bringen. Man wusste genug über die Machenschaften der Stasi, über die »Zersetzung« unliebsamer Bürger, die man kaputtmachte, indem man ihre sozialen Beziehungen zerstörte, ihnen die wirtschaftliche Lebensgrundlage nahm, sie wegsperrte. Leute wie Horweg hatten diesen menschenverachtenden Irrsinn perfektioniert.

      »Sie haben doch einen Sohn. Nicht?«

      »Ich habe eine Tochter.« In Mählings Innerem wurde alles ganz leer und kalt.

      »Eine Tochter, aber auch einen Sohn. Ihre Frau weiß nichts davon, wie?«

      Die folgende Stille knallte gegen Mähling wie eine Druckwelle. Du dreckiges Arschloch, dachte Mähling. Er stand auf. Lauernd sah