Syltwind. Sibylle Narberhaus. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sibylle Narberhaus
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783839266045
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      »Ich habe ihn kurz überflogen«, bestätigte Nick. »Wie ich Ihren Ausführungen entnehmen kann, gehen Sie weder von einer natürlichen Todesursache noch von einem Unfall aus.«

      »Korrekt, beides können wir definitiv ausschließen, ebenso einen Suizid.«

      »Da sind Sie absolut sicher?«, hakte Uwe vorsichtig nach, was er im selben Moment bereits bereute.

      Am anderen Ende der Leitung konnte man hören, wie der Rechtsmediziner die Luft scharf einsog, bevor er zu einer Antwort ansetzte.

      »Aufgrund meiner langjährigen Erfahrung, Herr Wilmsen, kann ich Ihnen mit an 100 Prozent grenzender Sicherheit sagen, dass im vorliegenden Fall von einem Fremdverschulden auszugehen ist.«

      »Bitte, Herr Dr. Luhrmaier, ich wollte Ihre Expertise in keiner Weise infrage stellen«, versuchte Uwe, die Wogen zu glätten.

      »Das Opfer ist nicht ertrunken, was man auf den ersten Blick hätte vermuten können, sondern war bereits tot, als er ins Wasser gelangte«, präzisierte Dr. Luhrmaier, ohne auf Uwes Einwand näher einzugehen. »An seinem Körper befinden sich zudem eindeutige Schleifspuren, was den Schluss zulässt, dass er eine erhebliche Strecke über harten Untergrund gezogen wurde, bevor er im Wasser gelandet ist. Druckstellen an den Handgelenken unterstreichen diese Annahme.«

      »Hm. Als er gefunden wurde, trieb er bäuchlings im Hafenbecken«, resümierte Uwe vor sich hin, während er vergeblich an der Verpackung eines Schokoriegels zerrte. Das Rosinenbrötchen gehörte längst der Vergangenheit an.

      »Natürlich tat er das. Eine Wasserleiche schwimmt niemals auf dem Rücken. Mir war nicht bewusst, dass Ihnen diese Tatsache neu ist, Herr Wilmsen.« Die Genugtuung in Dr. Luhrmaiers Stimme war unüberhörbar. »Sehen Sie«, fuhr er fort, »wäre der Mann beim Kontakt mit dem Wasser am Leben gewesen, hätte ich eine starke Überdehnung der Lungenbläschen feststellen müssen, die auf extreme Atembewegungen zurückzuführen sind. Dies ist aber definitiv nicht der Fall, da er – wie ich bereits erwähnte – schon tot war. Darüber hinaus waren keinerlei Überbleibsel des sogenannten Schaumpilzes in den Atemwegen festzustellen, der bei einer Wasserleiche üblich sind. Normalerweise …«

      »Klingt nicht besonders appetitlich, daher verzichten wir gern auf nähere Details, wenn es nicht unbedingt notwendig ist«, unterbrach ihn Uwe, dem es endlich gelungen war, den Schokoriegel aus seiner widerspenstigen Ummantelung zu befreien.

      »Ist es nicht.« Es entstand eine kurze Pause, wobei neuerlich unverkennbar war, dass nach Uwes Bemerkung eine leichte Verstimmung in Dr. Luhrmaiers Tonfall mitschwang. Nick schenkte seinem Kollegen umgehend einen strafenden Blick, den dieser jedoch lediglich mit einem müden Schulterzucken erwiderte.

      »Wussten Sie übrigens, dass man in Salzwasser langsamer ertrinkt als in Süßwasser? Im Grunde unerheblich, das Ergebnis ist dasselbe«, meldete sich ihr Gesprächspartner zurück. Doch seine Worte klangen, als spräche er eher zu sich selbst als mit den Beamten.

      »Nein, das wussten wir nicht. Klingt auf jeden Fall interessant. Doch was hat in unserem Fall zum Tode geführt?«, erkundigte sich Nick, um einen versöhnlichen Ton bemüht.

      »Genickbruch«, erhielt er die prompte Antwort.

      »Genickbruch? Daran bestehen keine Zweifel?«, wiederholte Nick überrascht.

      »Nicht die geringsten. Es stehen zwar noch einige Laboruntersuchungen aus, aber die ändern nichts an der Todesursache. Tut mir leid, wenn ich Sie mit dieser schnöden Tatsache enttäuscht haben sollte. Womit haben Sie denn gerechnet?«

      »Ehrlich gesagt, weiß ich es nicht«, gab Nick zu und rieb sich den Nacken.

      »Der Tote war übrigens Raucher, doch das ist in diesem Fall unerheblich. Genickbruch ist eindeutig die Todesursache. Jemand muss mit brachialer Gewalt gehandelt haben. Das Opfer muss sich gewehrt haben, denn ich habe erhebliche Abwehrmerkmale an dessen Oberkörper und außerdem Würgemale entdeckt sowie winzige Mengen von Fremd-DNA unter den Fingernägeln. Sie stammen vermutlich vom Täter. Der Tote hat nicht allzu lange im Wasser gelegen, denn die Nägel haben noch nicht begonnen, sich abzulösen.«

      Uwe hielt mitten im Kauen inne, verzog angewidert das Gesicht und legte den angebissenen Schokoriegel beiseite. Angesichts dieser Vorstellung war ihm der Appetit gründlich vergangen.

      »Dann könnte es im Vorfeld zu einem Streit gekommen sein, der anschließend in einer handgreiflichen Auseinandersetzung endete, in dessen Verlauf wiederum der tödliche Genickbruch erfolgte«, versuchte Nick, den Tathergang zu rekonstruieren.

      »So könnte es gewesen sein, jedenfalls klingt es plausibel, wenn man die Verletzungen betrachtet«, stimmte Dr. Luhrmaier Nicks Theorie zu.

      »Können Sie uns nähere Angaben zum Todeszeitpunkt geben?«, wollte Uwe wissen.

      Dr. Luhrmaier antwortete nicht sofort, stattdessen konnte man im Hintergrund deutlich das Rascheln von Papier hören. »Meinen Untersuchungen zufolge ist der Tod in der Frühe eingetreten, ungefähr gegen fünf Uhr morgens. 100-prozentige Sicherheit gibt es nicht. Ansonsten finden Sie alles ausführlich beschrieben in meinem Bericht, der Ihnen vorliegt. Wenn Sie für den Moment keine dringenden Fragen haben, würde ich unser Gespräch an dieser Stelle gern beenden. Ich muss gleich in die Klinik.«

      »Oh, ich hoffe, Sie sind nicht erkrankt?«, bemerkte Uwe.

      »Ich?« Dr. Luhrmaier gab einen kurzen Lacher von sich. »Nein. Ich muss ein Gutachten zu einem angeblichen Arbeitsunfall anfertigen.«

      »Angeblich?«

      »Richtig gehört, Herr Wilmsen. Die Verletzungen des Opfers stimmen nicht mit seiner Aussage überein.«

      »Vermutlich will er die vereinbarte Versicherungssumme kassieren«, warf Nick ein.

      »Möglich, in diesem Punkt sind die Leute erschreckend erfinderisch, daher ist an dieser Stelle meine Expertise gefragt. Im Übrigen habe ich nicht ausschließlich mit Toten zu tun, wenn Sie das bislang angenommen haben sollten. Zu meiner Klientel gehören sowohl die Lebenden als auch die Toten. Das bringt Abwechslung in den Alltag!« Ein erneuter Lacher entsprang seiner Kehle. »Nun dann. Viel Erfolg bei der Verbrecherjagd, die Herren!« Ehe die beiden Beamten etwas erwidern konnten, hatte Dr. Luhrmaier das Gespräch für beendet erklärt und aufgelegt.

      »Was war denn mit unserem Doktor heute los?«, fragte Uwe verdutzt.

      »Du kennst ihn doch, manchmal ist er eben etwas seltsam.«

      »Etwas? Mir geht seine Besserwisserei auf die Nerven.« Uwe zog eine Grimasse und stopfte sich anschließend vor lauter Frust den Rest seines Schokoriegels in den Mund, den er mit einem Schluck Kaffee hinunterspülte.

      »Wenden wir uns lieber unserem Fall zu.«

      »Gute Idee. Was wissen wir bislang über das Opfer?«

      »Der Mann heißt Richard Münkel, ist 47 Jahre alt, lebte in einer kleinen Wohnung zur Miete am Rande von Westerland. Vor ungefähr vier Monaten hat er sich arbeitslos gemeldet«, zählte Nick mit Blick auf seine Notizen die Fakten der Reihe nach auf.

      »Familienstand?«, unterbrach ihn Uwe. »Vielleicht stammt der Täter aus dem familiären Umfeld?«

      »Ich war noch nicht fertig. Münkel ist ledig und hat keine Kinder, die Eltern sind beide vor Jahren verstorben. Eine Lebensgefährtin oder -gefährten konnte ich ebenfalls nicht ausfindig machen. Keine Vorstrafen. Das ist alles, was sich in der Kürze der Zeit zusammentragen ließ.«

      »Gut, gut«, grummelte Uwe vor sich hin und spielte gedankenverloren mit einem Kugelschreiber in seiner Hand. »Wovon hat er zuletzt gelebt? Gibt es Informationen zu seinem Job oder letzten Beschäftigungsverhältnis?«

      »Und ob! Da kommst du nie drauf!«

      »Nun lass die Ratespielchen, Nick, und komm auf den Punkt!«

      »Er hat eine Ausbildung zum Butler absolviert.«

      »Wie bitte?«

      »Du hast richtig gehört, Richard