Syltwind. Sibylle Narberhaus. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sibylle Narberhaus
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783839266045
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sie aus Pudding. Der Mann war zwar nicht der erste Tote, den ich in natura gesehen hatte, trotz allem konnte und wollte ich mich nicht an derartige Anblicke gewöhnen müssen. Ich war Landschaftsarchitektin und keine Kripobeamtin. Wie auch bei meinem letzten Kontakt mit einem Toten – damals hatte Pepper eine Leiche buchstäblich ausgegraben – verspürte ich zunehmend ein unangenehmes Gefühl in der Magengegend aufsteigen.

      »Du hast recht, die Verletzung ließe sich auf einen Schlag mit einem stumpfen Gegenstand zurückführen«, mutmaßte Uwe und kratzte sich nachdenklich den Vollbart.

      »Die Tatwaffe zu finden, könnte sich als schwierig erweisen«, stellte Nick fest.

      »Da stimme ich dir vollkommen zu. Sieh dir das Hafengelände an!« Er machte eine ausholende Armbewegung. »Hier wimmelt es förmlich von potenziellen Tatwaffen, wenn ich mich so umsehe. Das gleicht einer Suche nach der berühmten Nadel im Heuhaufen.«

      »Die Verletzung könnte ebenso beim Sturz ins Wasser entstanden sein. Vielleicht ist er gegen einen harten Gegenstand gestoßen, den Steg vielleicht, daraufhin ist er ohnmächtig geworden, ins Wasser gefallen und schließlich ertrunken. Oder er war bereits tot, als er ins Wasser geworfen wurde«, meldete ich mich zu Wort.

      »Willst du für uns die Ermittlungen übernehmen?«, fragte Uwe und legte den Kopf leicht schief.

      Ich merkte, wie mir augenblicklich die Röte ins Gesicht schoss. »Entschuldigt bitte, ich wollte mich nicht einmischen.« Hilfe suchend sah ich zu Nick, dessen Mundwinkel amüsiert zuckten.

      »Das war nicht böse gemeint, Anna. Dieselben Fragen stellen wir uns natürlich auch«, zeigte sich Uwe versöhnlich.

      »Über den genauen Tathergang wird uns letztendlich der Rechtsmediziner aufklären«, fügte Nick hinzu. »Wichtiger wäre momentan zu wissen, um wen es sich bei dem Toten handelt.«

      »Ansgar!«, rief Uwe einen der uniformierten Polizisten zu uns herüber.

      »Moin, zusammen. Uwe, was gibt’s?«

      »Habt ihr mittlerweile etwas über die Identität des Toten herausfinden können? Kennt ihn zufällig jemand auf dem Hafengelände?«

      »Fehlanzeige. Von den Befragten vor Ort kennt ihn niemand. Papiere hatte er nicht bei sich, jedenfalls haben wir nichts dergleichen gefunden. Die können natürlich irgendwo auf dem Meeresgrund liegen«, überlegte er.

      »Schade, das hätte uns einiges an Arbeit erspart.« Uwe strich sich resigniert über den Bart.

      »Tut mir leid, dass ich dir nicht mehr bieten kann. Vielleicht ist er draußen vor der Küste von einem der Schiffe über Bord gegangen. Wäre immerhin ein Szenario. Ich kann mich bei den Reedereien umhören, ob ein Passagier oder ein Besatzungsmitglied seit Kurzem vermisst wird«, schlug Ansgar vor.

      »Wie ein Fischer oder Hafenarbeiter sieht er seinem Kleidungsstil nach zu urteilen nicht unbedingt aus. Tja, wer weiß. Ich wäre dir jedenfalls dankbar, wenn du das übernehmen könntest. Danke, Ansgar.« Dann wandte sich Uwe seinem Kollegen Nick zu, der den Toten nachdenklich betrachtete und sich den Nacken rieb. »Was geht dir durch den Kopf?«

      »Seinem Zustand nach zu urteilen, liegt er noch nicht allzu lange im Wasser«, vermutete Nick.

      »Ich bin gespannt, was Dr. Luhrmaier und sein Team herausfinden werden«, warf Uwe ein.

      »Das ist der Rechtsmediziner, den ich im Fall des ermordeten Bauunternehmers kennengelernt habe, oder?«, fragte ich nach.

      »Ja, er ist ein Genie auf seinem Gebiet, menschlich gesehen kann er allerdings verdammt anstrengend sein«, erwiderte Uwe und zog eine vielsagende Grimasse.

      »Dann will ich euch nicht länger aufhalten«, beschloss ich, verabschiedete mich von den beiden Männern und brach auf zu meinem Auto.

      Aufgrund des Leichenfundes und der damit einhergehenden Maßnahmen wie Spurensicherungen und Zeugenbefragungen war der heutige Segelkurs abgesagt und auf einen späteren Zeitpunkt verschoben worden. Als ich mich dem Parkplatz näherte, blieb mein Blick an einem dunkelblauen Golf hängen, vor dessen Fahrertür etwas Längliches auf dem Boden lag. Neugierig ging ich darauf zu und erkannte im Näherkommen, dass es sich um eine Parkscheibe handelte. Vermutlich befand sie sich im Ablagefach der Tür und war dem Fahrer beim Aussteigen herausgefallen. Ich hob sie auf und bemerkte dabei, dass die Tür nicht fest verschlossen war. Daraufhin warf ich einen Blick ins Innere des Wagens und erkannte im Fußraum und auf dem Beifahrersitz unzählige leere Getränkeflaschen aus Kunststoff, die alle fein säuberlich in Einkaufsbeuteln aus Baumwolle verpackt waren. Ansonsten befand sich der Wagen innen wie außen in einem sehr gepflegten Zustand. Kurzerhand umfasste ich den Türgriff der Fahrertür, die sich ohne Weiteres öffnen ließ. Als ich gerade die Parkscheibe auf den Fahrersitz legen wollte, bemerkte ich, dass der Schlüssel im Zündschloss steckte, und fragte mich, warum jemand sein Fahrzeug unverschlossen auf einem großen Parkplatz inmitten des belebten Hafenviertels abstellte. Der Besitzer musste doch befürchten, sein Wagen könnte gestohlen oder zumindest beschädigt werden. Ich sah mich nach dem Fahrer um, konnte jedoch niemanden weit und breit entdecken, der sich dem Fahrzeug zugehörig fühlte. Die Situation erschien mir zusehends suspekter, und plötzlich schoss mir ein Gedanke durch den Kopf.

      Kapitel 3

      »Moin«, brummte Steen, als er die Küche betrat und sich auf einen der Stühle am Küchentisch fallen ließ. Er wirkte unausgeschlafen, sein Haar war vom Duschen noch feucht.

      »Moin, mein Junge! Du bist früh dran heute.« Onno Larsen schraubte den Deckel der Thermoskanne auf und ließ Kaffee in die bereitgestellte Tasse laufen. »Trink erst mal einen ordentlichen Schluck, der weckt die müden Lebensgeister. Und dann iss!«

      »Mir bleibt nicht viel Zeit zum Frühstücken, ich muss zum Training«, gab der junge Mann zurück und setzte den dampfenden Becher vorsichtig an die Lippen, während er mit der anderen Hand in den Brotkorb griff.

      »Hier wird ordentlich gegessen. Schließlich brauchst du Kraft und Energie, wenn du den feinen Pinkeln vom Festland Paroli bieten willst!«

      »Lass gut sein, Opa! Ich verhungere schon nicht. Außerdem nehme ich an einem Wettbewerb teil und ziehe nicht in den Krieg«, erwiderte Steen und legte eine Scheibe Käse zwischen die beiden Hälften des Brötchens, bevor er es zuklappte und hineinbiss.

      »Wie du meinst. Ich will nur dein Bestes.«

      Eine Weile saßen sich die beiden Männer über ihre Teller gebeugt gegenüber, ohne ein Wort miteinander zu wechseln.

      »Was ist denn mit dir passiert?« Steen hatte den Kopf gehoben und seinen Großvater zum ersten Mal an diesem Morgen richtig ins Antlitz gesehen. Nun ruhte sein Blick auf dessen Gesicht, in dem eine erhebliche Schramme zu erkennen war. Schorf hatte sich an der Stelle gebildet, umgeben von einer blauvioletten Verfärbung.

      Doch Onno Larsen winkte ab. »Keine große Sache, ich habe mich unglücklich gestoßen.«

      »Wobei?«, hakte Steen nach.

      »Wie gesagt, kein Drama«, wich sein Großvater der Frage aus.

      »Verdammt!« Steen schlug mit der flachen Hand auf die Tischplatte, sodass das Geschirr klapperte und sein Großvater erschrak. »Hör endlich auf damit! Du machst alles nur schlimmer. Oma wird nicht wieder lebendig, sieh das doch endlich ein!« Mit diesen Worten sprang er abrupt auf, schnappte sich den letzten Bissen Brötchen und verließ hastig die Küche.

      »Steen! Junge! Warte!«, versuchte Onno Larsen, seinen Enkel aufzuhalten, aber der junge Mann hatte das Haus bereits verlassen, was durch die lautstark ins Schloss krachende Haustür bestätigt wurde. Onno Larsen stieß einen lang gezogenen Seufzer aus und begann, den Frühstückstisch abzuräumen. Wenn sich nicht bald etwas änderte, würde er auch noch seinen Enkel verlieren, das war ihm bewusst. Das zu verhindern, lag allein in seiner Hand.

      Auf der Westerländer Promenade knatterten bunte Fahnen im Wind und zerrten an ihrer Befestigung, als wollten sie sich mit aller Macht von ihren Fesseln befreien. Musik dröhnte vielerorts aus den aufgestellten Lautsprechern. Überall