Syltwind. Sibylle Narberhaus. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sibylle Narberhaus
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783839266045
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Dann begann er, die Teilnehmerliste durchzugehen und rief jeden namentlich auf. Im Anschluss schilderte Bastian den geplanten Ablauf des ersten Tages im Detail.

      »Okay, das wär’s fürs Erste. Wenn für den Moment von eurer Seite keine weiteren Fragen bestehen, würde ich euch gern als Erstes den Bootsanleger zeigen und euch mit den geltenden Sicherheitsbestimmungen auf dem Gelände vertraut machen. Wenn ich bitten darf!«

      Er machte eine ausholende Handbewegung, und wir folgten ihm die Stufen hinunter zu den Stegen, an denen die Boote angelegt hatten.

      »Machst du Urlaub auf der Insel?«, fragte er mich auf dem Weg dorthin.

      »Nein, ich habe das Glück, hier zu wohnen und zu arbeiten, bin jedoch keine echte Sylterin«, stellte ich klar.

      »Das sind mittlerweile die wenigsten. Das ist erst mein zweiter Sommer auf Sylt, aber mir gefällt es ausgesprochen gut hier. Unsere Segelschule hat übrigens auch Einzelstunden im Angebot, falls du Interesse haben solltest«, ließ er mich mit einem schelmischen Grinsen wissen.

      »Was du nicht sagst«, erwiderte ich amüsiert über diesen offensichtlichen Flirtversuch.

      »Gerade für Berufstätige wie dich kann das durchaus von Vorteil sein. Ich kann im Anschluss gern nach einem Termin sehen, wenn du magst«, legte er nach.

      »Sehr entgegenkommend.« Ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen, denn mit seinem Verhalten war exakt das eingetreten, was Britta prophezeit und ich als überholtes Klischee abgetan hatte. Der Punkt ging eindeutig an meine Freundin. Gedanklich sah ich sie bereits vor mir mit zufriedener Miene und Siegerfaust.

      »Bastian, fahren wir heute noch mit dem Boot raus?«, erkundigte sich eine Teilnehmerin und sah ihn verzückt an.

      »Nein, das steht erst morgen auf dem Stundenplan. Heute machen wir nur Trockenübungen an Land.« Er zwinkerte ihr zu, was augenblicklich eine Gesichtsrötung bei ihr auslöste.

      Wir folgten im Gänsemarsch unserem charmanten Segellehrer den schmalen Weg direkt am Wasser entlang. Dabei war zu erkennen, dass jede der Anlegestellen über einen kleinen Steg, der ein Stück ins Wasser reichte, verfügte und mit einer Nummer versehen war. Schließlich blieb Bastian an einem Boot stehen und wandte sich an die Gruppe.

      »So, ich erkläre euch kurz, was ihr im Vorfeld wissen müsst, wenn ihr euch an Bord eines Bootes begebt. Bei Fragen meldet euch bitte.«

      Während ich Bastians Ausführungen lauschte, wanderte mein Blick immer wieder zwischen den vertäuten Booten hin und her. Das Wasser schwappte in mehr oder weniger gleichmäßigen Bewegungen gegen den Rumpf eines der Segelboote unmittelbar neben mir. Allein bei dem Anblick des schaukelnden Gefährts bekam ich ein flaues Gefühl im Magen. Sofort erwachte die Erinnerung an einen Mallorca-Urlaub mit meinen Eltern, bei dem ich auf der Luftmatratze seekrank geworden war, und fragte mich, ob die Teilnahme an einem Segelkurs tatsächlich eine gute Idee war.

      »Gibt es hierzu Fragen?« Bastians Stimme holte mich schlagartig zurück in die Gegenwart.

      »Wo sind denn hier die Toiletten, junger Mann?«, erkundigte sich eine Mittfünfzigerin mit ausgeprägt hessischem Dialekt.

      »Im Clubhaus. Durch den Haupteingang, dann ist es ausgeschildert«, erklärte Bastian und deutete zu dem grauen Holzbau. »Wenn keine weiteren Fragen bestehen, schlage ich vor, wenden wir uns dem theoretischen Teil zu. Dazu folgt mir bitte alle nach drinnen ins Clubhaus.«

      Auf dem Weg dorthin sah ich aus dem Augenwinkel etwas im Wasser liegen. Ich blieb stehen und lehnte mich neugierig ein Stück nach vorne, um besser sehen zu können, als beinahe mein Herzschlag aussetzte.

      »Pass auf, Anna! Sonst fällst du womöglich ins Wasser, und ich muss dich gleich retten, was ich natürlich gern tue«, witzelte Bastian neben mir.

      »Wir müssen sofort die Polizei rufen«, sprach ich so leise, dass die anderen mich nicht hören konnten.

      »Hey, war nur Spaß, deswegen …« Er sprach nicht weiter, sondern starrte auf die Stelle im Wasser, auf die ich deutete.

      »Scheiße!«, presste er leise hervor.

      Neben dem Segelboot trieb eine leblose Person im Wasser.

      »Was ist denn los?«, erkundigte sich ein Mann aus der Gruppe und reckte neugierig den Kopf.

      »Nichts weiter, geht schon mal alle vor, wir kommen gleich nach«, versuchte Bastian, weitere Gruppenmitglieder davon abzuhalten, von unserer Entdeckung Kenntnis zu erlangen. Doch es war zu spät. Der spitze Aufschrei einer Teilnehmerin ließ den Rest der Gruppe aufhorchen. In Windeseile scharten sie sich um die Fundstelle am Steg. Bastian hatte alle Hände voll zu tun, seine Segelschüler zum Gehen zu bewegen.

      »Bitte geht zum Clubhaus! Wir werden umgehend die Polizei verständigen, sie wird sich um alles kümmern«, versuchte er dem drohenden Chaos Herr zu werden und schenkte mir einen verzweifelten Blick.

      »Bastian hat recht. Wir sollten dort warten und keine eventuell wichtigen Spuren vernichten«, versuchte ich mich in Überzeugungsarbeit.

      Während sich die Gruppe tatsächlich zurückzog, holte ich mein Handy aus der Tasche und wählte Nicks Nummer. Es dauerte nicht lange, bis er abnahm.

      »Sweety, bist du in Seenot geraten und brauchst Hilfe?«, scherzte er, bevor ich etwas sagen konnte.

      »Nein. Ich fürchte, in diesem Fall kommt ohnehin jede Hilfe zu spät.«

      Kurze Zeit später hatte sich ein Großaufgebot der Polizei am Hörnumer Hafen eingefunden, und der Fundort der Leiche war großräumig abgesperrt worden. In der Zwischenzeit hatte sich zudem eine größere Ansammlung Schaulustiger gebildet, die das Geschehen mit neugierigen Blicken und gereckten Hälsen interessiert verfolgte. Der Tote war aus dem Wasser geborgen worden und lag nunmehr auf einem der Stege. Ein Notarzt beugte sich gerade über ihn. Ich stand in unmittelbarer Nähe und wartete auf Nick, während Uwe und er mit dem Arzt sprachen.

      »Der Mann ist tot, da kann ich nichts mehr machen«, hörte ich den Notarzt in sachlichem Ton sagen und konnte erkennen, dass er im Begriff war, seine Sachen zusammenzupacken.

      »Das ist unschwer zu erkennen«, brummte Uwe missmutig vor sich hin, den Blick auf den Toten gerichtet.

      »Vermutlich«, fuhr der Notarzt ungefragt fort, »ist er ins Wasser gefallen und ertrunken. Ich habe keine auffälligen Wunden feststellen können. Die Schramme im Gesicht stammt vermutlich von dem Sturz ins Wasser. Bestimmt hat er heute Nacht ordentlich gefeiert und ist anschließend betrunken dort drüben ins Hafenbecken gefallen.« Er deutete in südliche Richtung. »Die Strömung hat den Leichnam dann bis hierher getrieben. Das wäre nicht das erste Mal, dass solche Missgeschicke vorkommen. Die Leute sind einfach zu leichtsinnig im Umgang mit Alkohol. Das erleben wir während der Saison öfter, als uns lieb ist.« Die Verbitterung in seiner Stimme war unverkennbar.

      »Die Obduktion wird eine eindeutige Klärung ergeben«, überging Nick den Einwand des Arztes.

      »Er könnte ebenso vollkommen nüchtern gewesen sein und ist versehentlich gefallen. Vielleicht ist er aber auch absichtlich gestoßen worden?«, stellte ich zur Diskussion.

      Der Arzt fixierte mich einen kurzen Augenblick lang mit seinem bohrenden Blick, doch dann winkte er resigniert ab. »Sie lesen zu viele Krimis, junge Frau«, konterte er. »Was meinen Sie, was ich in meiner Laufbahn alles schon erlebt habe. Ich könnte ein Buch darüber schreiben.« Dann zog er mit einem Ruck den Reißverschluss seiner Tasche zu und richtete sich schwerfällig auf. Sein linkes Knie machte ihm beim Aufstehen erkennbar zu schaffen. »So, ich glaube, meine Anwesenheit ist nicht länger erforderlich. Ich widme meine Zeit lieber lebendigen Patienten. Viel Erfolg bei der Ursachenforschung!« Mit diesen Worten trottete er zu seinem Wagen, wobei er das linke Bein leicht schonte, was ein humpelndes Gangbild vermittelte.

      »Komischer Kauz«, bemerkte Uwe und blickte ihm mit gerunzelter Stirn nach. »Wie beurteilst du die Situation, Nick? Haben wir es mit einem Verbrechen zu tun?« Er sah seinen Freund und Kollegen erwartungsvoll an.

      »Auf Anhieb