Und Tom, das erkennt Maja sofort, könnte das gefährden.
Sie steigen in einen der Mannschaftswagen. Maja rutscht neben Tom auf die Bank.
»Bist du mit dem Auto gekommen?«, fragt sie und gibt der Schiebetür einen Schubs.
»Mit meinem VW-Bus. Er parkt in der Drottninggatan.«
»Okay, und weißt du schon, wo du übernachtest?«
»Im Bus?« Tom grinst sie schief an. Es steht ihm gut, das Grinsen.
Maja schmunzelt. Ihm ihr Sofa anzubieten erscheint ihr zu aufdringlich, auch wenn sie es gerne getan hätte. »Das Arkipelag Hotel ist recht gut und nicht so teuer. Es liegt an der Ecke Drottninggatan und Alamedan.«
»Alamedan? Ach, wirklich?«
Maja tippt sich an die Stirn. »Stimmt, in der Straße hast du früher gewohnt. Wie konnte ich das vergessen.«
»Bin lange nicht mehr hier gewesen«, murmelt Tom. Er sieht an ihr vorbei aus dem Fenster und danach schnell auf seine Hände. Gerade passieren sie die schmalste Stelle von Karlskrona. Es ist die einzige Verbindung vom Festland zur Hauptinsel, auf der die Innenstadt liegt. Zu beiden Seiten der Straße schimmert blau das Meer. Rechts ist einer der vielen Jachthäfen zu sehen und links die dicht bebaute Schäreninsel Långö. Eine herrliche Aussicht.
Jedoch anscheinend nicht für Tom. Maja hat genau gesehen, wie eine Art von Bitternis sein Gesicht für den Bruchteil einer Sekunde verdunkelt hat. Auch jetzt hält er seinen Blick gesenkt, und seine Haltung wirkt beinahe verkrampft, als wolle er irgendetwas da draußen ignorieren oder verdrängen. Er scheint Probleme zu haben.
Maja schweigt verständnisvoll. Sie hat nicht erwartet, dass er ihr gleich sein Herz ausschüttet, erst recht nicht vor den fremden Kollegen.
»Gibt es sonst etwas Neues?«, fragt er nach einer Weile.
»In Karlskrona?«
»Nein, beim Fall.«
Maja erzählt ihm, dass sie ab heute eine Meldung übers Radio senden lassen, mit der nach Christina Nowak gesucht wird. Vielleicht hat sie jemand gesehen oder sogar per Anhalter mitgenommen. Die Videoüberwachung an den Bahnhöfen Karlskrona und Hultsjö wollen sie später noch überprüfen.
»Was ist mit einem Hubschrauber?«, fragt Tom.
Maja schüttelt den Kopf. »Das würde nicht viel bringen, dort gibt es hauptsächlich Wald, wie du weißt. Und der ist zu dicht. Da hilft selbst eine Wärmekamera nicht viel. Dafür ist es den Technikern gelungen, das Handy der toten Tochter zu knacken. Darauf ist ein reger WhatsApp-Verkehr zu lesen, hauptsächlich mit einer gewissen Jenny. Weißt du, wer das sein könnte?«
»Das ist Lolas beste Freundin«, erklärt Tom. »Die wohnt im selben Haus. Ich würde den Chat gerne lesen. Einen Teil davon kenne ich bereits, Jenny hat ihn mir gezeigt. Hast du das Telefon dabei?«
»Leider nicht, es liegt auf der Wache. Ich gebe es dir, sobald wir zurück sind, okay?«
»Hast du Teile davon verstehen können?«
»Ein bisschen habe ich mir über den Translator erschlossen. Einige Sätze sind auch auf Englisch: Fucking boring, hate them as fuck, Mum is a piece of shit, fuck this bitch, wish they were dead. Und so weiter.«
»Wish they were dead«, wiederholt Tom nachdenklich. »Schätze, der Wunsch ist auf gewisse Weise in Erfüllung gegangen.«
»Scheint so«, entgegnet Maja und presst die Lippen aufeinander.
Unterdessen fahren die drei Mannschaftswagen durch den Kreisverkehr in Rödeby und tauchen wenige Kilometer später in die schattigen Wälder von Blekinge ein.
14
Sie halten mit den Polizeiwagen auf einem Parkplatz vor einer Pizzeria. Skagen steigt zusammen mit den anderen aus und sieht sich um. Das hier scheint der Mittelpunkt von Hultsjö zu sein. Sein erster Eindruck, den er von dem Dorf hat, lässt sich in einem Wort zusammenfassen: trostlos.
Die Wohnhäuser, der Supermarkt, das Restaurant und die Tankstelle mit dem Recyclingplatz daneben wirken leicht vernachlässigt. Skagen weiß, dass das an der extremen Witterung in Schweden liegt. Warme Sommer und kalte, feuchte Winter, das Klima nagt stetig an den Gebäuden und macht es den Bewohnern schwer, mit den Instandhaltungen hinterherzukommen.
Gegen die Sonne anblinzelnd blickt er zu Göran Berg hinüber, der die Beamten für die Suche in Gruppen einteilt. Skagen hält sich bewusst ein wenig abseits, da er noch nicht abschätzen kann, wie er sich integrieren soll, ohne Berg auf den Schlips zu treten. Der Polizeiinspektor scheint nicht der Typ zu sein, der es mag, wenn man sich einmischt. Doch das hat Skagen auch nicht vor. Sein Ansinnen ist es, zu helfen, und nicht, zu bestimmen.
Allerdings ist ihm klar, dass er gar nicht hier sein dürfte. Zumindest nicht als ermittelnder Beamter. Denn eigentlich ist er krankgeschrieben.
Wegen gestern. Er war wirklich kurz davor, es zu tun. War bis ins Letzte entschlossen. Aber während er in der warmen Nachtluft auf dem Fensterbrett kauerte und in die Tiefe starrte, streifte ihn eine Erinnerung. Es war Maja, wie sie damals an der Mole im Hafen von Karlskrona gestanden und ihn herausgefordert hat. »Traust du dich?«, hat sie gefragt und auf das dunkle Wasser zu ihren Füßen gezeigt. Dann hat sie ohne Vorwarnung Anlauf genommen und ist hineingesprungen. Der damals furchtlose Skagen hat nicht eine Sekunde gezögert und ist ihr gefolgt, kopfüber ins kalte Meer.
Mit diesem Gedanken saß er noch eine ganze Weile auf der Fensterbank, bis er merkte, dass er längst seine Entscheidung getroffen hat. Und schließlich zog er sich in die Wohnung zurück und begann, seine Sachen zu packen. Er wollte sich seiner Angst stellen. War entschlossen, sie zu umarmen. Wenigstens diesen einen Versuch war er Evelyn und Maja schuldig. Mit einer Mail bat er in Evelyns Praxis um eine Krankschreibung und war eine Stunde später unterwegs gen Norden. Im Morgengrauen erreichte er endlich vertrauten Boden und blickte mit müden Augen zum ersten Mal seit vielen Jahren auf die Stadt, die er lange nicht zu betreten gewagt hat.
Dass er in Karlskrona jedoch gleich in die Ermittlung mit eingebunden werden würde, damit hat er nicht gerechnet. Leider hat er vorhin auf dem Präsidium den Moment verpasst, den Irrtum aufzuklären. Deshalb würde er zumindest diesen Tag so tun müssen, als sei er Teil des Teams. Danach könnte er Maja und Göran Berg alles beichten und sich aus der Ermittlung zurückziehen. Und sich um das kümmern, weshalb er eigentlich hergekommen ist.
Skagen blickt zur Hauptstraße von Hultsjö. Einige Autos fahren vorbei und werden langsamer, neugierig gucken die Insassen zu ihnen herüber. Die vielen Polizisten erregen Aufmerksamkeit. Ein roter Pick-up hält an und der Fahrer ruft Skagen ein paar Worte zu. Der versteht nicht ganz und tritt an den Wagen heran.
»Was ist denn hier los?«, wiederholt der Fahrer, ein älterer Herr mit grüner Arbeitskleidung, Schirmmütze und graumeliertem Bart. Auf der Ladefläche seines Pick-ups liegen zwei Motorsägen, eine Axt und andere Gerätschaften für die Waldarbeit. »Wofür braucht es denn dieses Großaufgebot der Polizei? Eine Verkehrskontrolle wird das ja wohl nicht, was?« Der Mann lacht.
»Sind Sie aus Hultsjö?«, fragt Skagen.
»Ja. Aber du nicht, oder? Ich habe dich in der Gegend noch nie gesehen.«
Skagen begreift, dass er der Einzige ohne Uniform ist und der Mann ihn für einen Zivilisten hält. »Ich gehöre zur Polizei«, erklärt er, woraufhin sich der Autofahrer schnell entschuldigt.
»Kein Problem«, entgegnet Skagen. »Wir suchen nach einer vermissten Person. Einer Frau. Vielleicht kennen Sie sie. Sie heißt Christina Nowak und ist deutsche Staatsbürgerin.« Er zeigt ihm ein Foto von Tina auf seinem Handy.
Der Mann wird bleich und nickt. »Und ob ich die kenne. Die Nowaks haben das Haus der Egmans gekauft und sind