Kalte Nacht. Anne Nordby. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anne Nordby
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783839263587
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      Du weißt genau, was es ist!

      Skagen versucht, sich auf die Fotos zu konzentrieren, doch die Gesichter der Verbrecher verschwimmen vor seinen Augen. Er sieht zu Jens Fram hinüber, der wie wild auf seiner Tastatur herumtippt. Hinter ihm starrt Kaisa auf ihren Monitor. Sie hat ihm dem Rücken zugedreht und rauft sich ihre weißblonden Haare. Sie alle sind überarbeitet. Zu viele Fälle für zu wenige Leute. Wie in fast jeder Polizeidienststelle. Allein Jette wirkt erholt. Sie steht am Fenster in der prallen Sonne und telefoniert, dabei lacht sie leise.

      Plötzlich klingelt Skagens Handy. Maja!

      Mit zusammengebissenen Zähnen überlegt er, das Gespräch nicht anzunehmen. Es wäre besser für ihn, wenn er vorerst Abstand von den Dingen hielte, die seine Panik weiter befeuern könnten. Und dazu gehört alles, was mit Karlskrona zu tun hat. Aber er will Maja nicht hängenlassen. Er gibt sich einen Ruck und drückt auf das Symbol mit dem grünen Hörer.

      »Hej hej, Tom. Wie geht’s?«

      Diese Stimme! Erneut bringt sie alles ins Wanken, aber Skagen versucht dagegen anzukämpfen.

      »Ja. Was gibt’s?«, fragt er kurz angebunden.

      »Ähm, ich habe einen Anschlag auf dich vor. Ich habe gerade die Nachricht erhalten, dass unsere Techniker das Handy von Jochen Nowak entsperrt haben. Das ist so ein vorsintflutliches Ding, kein Smartphone. Ich schicke dir gleich eine Liste mit Telefonnummern, die, wie wir vermuten, Freunden von Herrn Nowak gehören. Könntest du die vielleicht abtelefonieren und nachfragen, ob sich Tina Nowak dort gemeldet hat? Womöglich weiß jemand, ob sie mit ihrem Mann Zoff hatte. Meine Deutschkenntnisse sind nicht so berühmt, und du würdest mir damit echt weiterhelfen.«

      Skagen wirft einen Blick zu Jette hinüber, die ihr Telefonat beendet und sich an ihren Schreibtisch neben der Tür setzt. Unvermittelt packt ihn ein neuer Schauer, und er muss kurz die Augen schließen, weil ihm schwindelig wird.

      »Klar, kein Problem«, bringt er schließlich hervor, obwohl sich alles in ihm sträubt.

      »Danke, Tom. Ich weiß das sehr zu schätzen …« Für einen Moment scheint es, als wolle Maja etwas hinzufügen, doch dann verabschiedet sie sich und legt auf.

      Skagen lässt das Telefon sinken. Er fühlt sich, als wäre er in einen kalten Strudel geworfen worden, der ihn gnadenlos nach unten zieht. Sein Herz rast, und er bekommt kaum Luft. Kontrolliert atmet er gegen die Panik an. Vor ihm taucht Maja Lövgren auf. Majaja mit den hellblonden Haaren und tiefblauen Augen.

      »He, Tom!«, schallt Jens’ Stimme durch den Raum und Skagen schreckt auf.

      »Ja?«

      »Alles klar? Du guckst, als hättest du einen Geist gesehen.«

      Ja, denkt Skagen, das ist sie auch. Ein Geist aus der Vergangenheit.

      »Wer war das am Telefon?«

      »Nur eine Kollegin aus Schweden.« Skagen tut so, als wäre alles normal, und konzentriert sich wieder auf seinen Bildschirm.

      Aber Jens lässt nicht locker. »Kenne ich sie?«

      »Nein.«

      »Werde ich sie kennenlernen?«

      »Auch nein.«

      »Aha, du willst sie uns also vorenthalten. Bist du etwa in sie verknallt? Komm schon, ich seh’s dir doch an, dass da was ist.«

      »Quatsch!«, wehrt Skagen ab, doch dank Jens’ blödem Kommentar sind nun alle Blicke auf ihn gerichtet. Entgegen seiner Bemühungen wird er rot.

      Reiß dich zusammen, verdammt. Reiß dich zusammen!

      »Und du magst sie doch!«, lacht Jens, während Kaisa vergnügt in die Hände klatscht.

      Rasch scannt Skagen seinen Schreibtisch ab. Wenn Jens nicht sofort aufhört, muss er ihm etwas an den Kopf werfen. Ah, der Locher, der ist gut, oder das Strafgesetzbuch. Er greift nach dem Wälzer und wiegt ihn demonstrativ in der Hand. Jens, der seine Geste versteht, hört auf zu grinsen und widmet sich seiner Arbeit. Jette schaut ebenfalls schnell weg, das Zucken um ihre Mundwinkel verrät jedoch, dass Kaisa hinter Skagens Rücken herumgealbert hat. Als er sich zu seiner finnischen Kollegin umdreht, ist diese betont geschäftig in ihre Unterlagen vertieft.

      In der Kaffeepause würde er auf der Hut sein müssen. Bis dahin hätte Kaisa bestimmt einen Plan ausgeheckt, um ihn zum Reden zu bringen. Eine Reihe finnischer Flachwitze zum Thema Schweden und Liebe wäre ihm jedenfalls sicher.

      Er stellt das Buch zurück an seinen Platz und kehrt zu seiner Arbeit mit den Verbrecherfotos zurück.

      Gegen 16 Uhr tippt Jens ihm auf die Schulter und Skagen sieht von seinem Bildschirm auf.

      »Kaffee in der Kantine?«, fragt der Norweger.

      »Ähm, sorry. Ich muss noch was erledigen.«

      Jens nickt und verlässt das Büro zusammen mit Kaisa, von der Skagen im Vorbeigehen einen vielsagenden Blick erhält. Sie würde ihn so schnell nicht vom Haken lassen.

      Da Jette an ihrem Platz bleibt, verzieht sich Skagen in den leeren Besprechungsraum auf dem Flur. Dort faltet er Majas Liste mit den Telefonnummern auseinander. Es sind nur acht Stück. Das könnte er in der kurzen Pause schaffen. Schnell wählt er die erste.

      Als er 20 Minuten später auflegt, hat er fünf der acht Kontakte erreicht. Das genügt, um sich ein Bild vom Ehepaar Nowak zu machen. Natürlich waren alle Angerufenen betroffen, als sie von dem Unfall hörten, und einige haben ein wenig aus dem Leben von Tina und Jochen erzählt. Dass sich die beiden eigentlich nie gestritten haben, zumindest nicht vor anderen. Jochen sei ein ruhiger, freundlicher Mensch und immer auf Harmonie bedacht gewesen. Nur seine ältere Tochter, die habe er öfter zurechtgewiesen. Eva-Lotta sei ein typischer Teenager mit allen Allüren, wie man sie sich vorstellen kann. Im Umgang mit Ronja hingegen hätten sowohl Jochen als auch Tina eine Engelsgeduld bewiesen, denn Ronja sei durch die Trisomie 21 ein sehr anstrengendes Kind. Und einer der Männer, mit denen Skagen telefoniert hat, gab sogar zu, dass er das behinderte Mädchen extrem nervig fände und er Jochen und Tina deswegen bemitleidet habe. Etwas Ähnliches schwang bei einer der Frauen aus Nowaks Bekanntenkreis mit. Sie drückte sich jedoch nicht so drastisch aus: Ronja sei wild und laut, waren ihre Worte. Aber auch offenherzig und erschütternd ehrlich. Manchmal leider ein wenig aggressiv. Da hat Skagen nachgehakt. Die Frau erzählte, dass Ronja durch ihre Behinderung teilweise nicht wisse, wann sie aufhören müsse. Deshalb ginge sie bei Raufereien manchmal zu weit. Einem Jungen im Kindergarten habe sie sogar den Arm gebrochen. Das ist allerdings Jahre her, und seitdem wäre nichts mehr in der Art passiert. Dennoch ist der Frau aufgefallen, dass Tina Nowak oft blaue Flecken an ihren Armen und Beinen gehabt habe. Von Ronja, wie Tina behauptete. Auf Skagens Frage hin, ob die Frau glaube, dass Tina die Blessuren von jemand anders als Ronja habe, schwieg diese. Danach haben sie nur noch darüber geredet, dass sich Tina schon länger nicht mehr bei ihr gemeldet habe – wie auch bei allen anderen der Angerufenen. Mit WhatsApp sei es das Gleiche, darüber würde Tina generell wenig kommunizieren, und seit sie mit Jochen nach Schweden gefahren sei, herrsche absolute Funkstille.

      Skagen sieht auf, weil er vor der Glastür des Besprechungsraumes eine Bewegung wahrnimmt. Dort steht Kaisa und lässt anzüglich ihre Augenbrauen tanzen. Sie drückt ihre Lippen auf die Scheibe und ein rosafarbener Kussmund bleibt zurück. Demonstrativ schüttelt Skagen den Kopf, woraufhin Kaisa die Tür einen Spalt öffnet.

      »Schade, und ich habe gedacht, ich kriege das erste Date mit dir, Lillebror«, sagt sie grinsend und rollt ihr R stärker als sonst. »Aber gegen eine waschechte Schwedin kann ich natürlich nicht anstinken.«

      »Ich habe kein Date.«

      »Nee, ist klar. Deswegen hat sie eben auch nicht noch mal angerufen. Auf der Durchwahl im Büro, weil dein Handy dauerbesetzt ist.«

      »Was wollte sie denn?«

      »Ein Kind von dir.«

      Skagen bedenkt sie mit einem genervten Blick.

      »Sorry.