»Na, weil die alles aufkaufen und kaum Häuser für die Einheimischen übrig lassen. Eine Schande ist das!«
»Ich glaube, die meisten Häuser, die von Auswärtigen gekauft werden, wollen die Einheimischen gar nicht mehr haben. Ist das nicht so? Das sind Gebäude, die lange leer gestanden haben und verfallen, weil die jungen Einheimischen in die Stadt ziehen und die Alten sich nicht mehr darum kümmern wollen oder können.«
»Kann sein. Ich hoffe zumindest, dass meine Kinder mein Haus nicht an Ausländer verkaufen, wenn ich einmal nicht mehr bin.«
Maja beißt die Zähne aufeinander, damit ihr nicht doch ein böser Kommentar rausrutscht. Stattdessen erkundigt sie sich, wie viele Ausländer in Hultsjö bereits Häuser gekauft haben.
»Zu viele, hab ich doch gesagt. Aber wenn Sie es genau wissen wollen, fragen Sie Ludvig Staffansson, er ist der Vorsitzende des Ortsvereins.«
Staffansson schon wieder. Der Name scheint in Hultsjö allgegenwärtig zu sein. Maja muss an die ältere Frau im Frisörsalon denken. Ein Ausbund an Herzlichkeit.
Maja zeigt Frau Eriksson das Foto von dem Drohbrief auf ihrem Handy. »Ist der von Ihnen?«
Als die Frau kapiert, was Maja meint, stößt sie einen empörten Laut aus. »Wie bitte? Ich soll das gewesen sein? Was denken Sie von mir? Das ist ja unerhört!«
Ohne ihre Verachtung zu zeigen, gibt Maja Jokke ein Zeichen, und sie stehen auf. »Haben Sie vielen Dank für die Informationen, Frau Eriksson. Wir müssen weiter.« Nur widerwillig steckt sie der alten Dame ihre Karte zu und wendet sich zum Gehen.
»Ach, übrigens. Was ist eigentlich mit Ihrem Mann, Frau Eriksson? Hat der vielleicht etwas gesehen?«, hört sie Jokke in ihrem Rücken fragen. »Er wohnt doch auch hier, oder nicht? Auf Ihrem Türschild steht ›Agnes und Walfrid‹.«
Frau Eriksson wirkt mit einem Mal betrübt. Ihr Blick huscht zu der Wand hinter Jokke, an der Dutzende von gerahmten Bildern hängen. Auf dem größten in der Mitte prangt eine Trauerbanderole.
»Das ist Walfrid«, sagt sie. »Leider ist mein Schatz vor einem halben Jahr gestorben.«
Maja muss sich zwingen, nicht überrascht zu gucken. Auf den Fotos ist ein kleiner weißer Hund abgebildet.
16
Als er die zwei Polizeibeamten aus dem Haus kommen sieht, wendet er rasch sein Gesicht ab und fährt weiter die Hauptstraße entlang. Allerdings, ohne merklich schneller zu werden. Schließlich will er keine Aufmerksamkeit erregen.
Im Rückspiegel beobachtet er, wie die beiden Bullen zum nächsten Haus gehen, einer von ihnen ist eine blonde Frau. Sie haben ihn nicht wahrgenommen.
Erleichtert atmet er auf und biegt am Supermarkt auf den Parkplatz ab. Nachdem er sich vergewissert hat, dass niemand Notiz von ihm nimmt, faltet er schnell den Umschlag mit dem Brief zusammen und stopft ihn in seine Hosentasche. Besser, wenn den keiner sieht.
Eigentlich hat er vorgehabt, ihn jetzt gleich einzuwerfen, doch da es hier vor Polypen nur so wimmelt, würde er das ein anderes Mal tun müssen. Später, wenn es im Ort ruhiger geworden wäre. Das mit dem Unfall der Familie war ein verdammtes Pech. Oder vielleicht auch nicht. Wer weiß. Für die Polizei ist es zumindest eine gute Ablenkung.
Er blickt auf die zwei leeren Mannschaftswagen, die vor »Melkers Pizza« stehen. Scheint, als hätten sie einen Suchtrupp losgeschickt. Na dann: Waidmannsheil.
Ein Grinsen will sich auf seine Lippen stehlen, doch er zwingt sich, cool zu bleiben. Nicht auffallen ist die Devise. Gerüchte breiten sich in diesem Ort schneller aus als ein Flächenbrand. Und wenn man sich auffällig verhält, wird man sofort ein Opfer davon. Das kann er sich nicht leisten. Über ihn und seine Familie wird sowieso schon zu viel getratscht. Ätzend. Aber so ist das eben in einem kleinen Dorf. Er kennt das Spiel.
Eine Weile überlegt er, was er tun soll. Hier ist viel zu viel los, für das, was er vorhatte. Vielleicht sollte er später wiederkommen. Nachts, wenn alle schliefen. Das wäre sicherer.
Er hört ein Geräusch und dreht sich um. Ein Mann kommt aus dem Supermarkt. Es ist Ture Dahlberg. Er nickt ihm freundlich zu. Man kennt sich, alles ist entspannt.
Nachdem der Bauer in seinen Pick-up gestiegen und davongefahren ist, beißt er sich auf die Lippe. Verdammt, jetzt hat ihn ja doch jemand gesehen.
Aber ist das überhaupt schlimm?
Nein, beruhigt er sich. Er gehört zu Hultsjö wie jeder andere. An ihm ist nichts Auffälliges. Niemand wird Verdacht schöpfen. Er würde einfach für einige Zeit den Kopf einziehen und abwarten.
17
Maja bleibt vor der nächsten Haustür stehen und blickt in Jokkes glühendes Gesicht. Die Sache mit Walfrid ist ihm sichtlich peinlich, dabei konnte ja keiner ahnen, dass Frau Erikssons Ehemann Albert bereits vor sieben Jahren an einem Herzinfarkt gestorben ist und Walfrid ihr geliebter Schoßhund war. Maja ist auch aufgefallen, dass von Albert kein einziges Bild im Wohnzimmer hing.
Jeder, wie er meint, denkt sie und klingelt. Kurz darauf öffnet ihnen eine gestresst aussehende Mutter mit zwei kleinen Kindern, die ihr am Rockzipfel hängen.
Maja erklärt, wer sie sind, und die Mutter lässt sie eintreten. Sie nimmt sie mit in die Küche, wo sie gerade dabei ist, zu kochen. Die beiden Kinder beobachten die Polizisten mit gewisser Skepsis.
»Muss Mama ins Gefängnis?«, fragt der Junge. Er ist etwa fünf Jahre alt und seine kleinere Schwester schätzt Maja auf drei. Er wirkt überhitzt und hat glänzende Augen, seine feinen blonden Haare kleben ihm an der Stirn. Wahrscheinlich hat er wild im Haus herumgetobt, bevor sie geklingelt haben.
Maja merkt, dass die Mutter bei dem Wort »Gefängnis« das Gesicht verzieht und den Mund aufmacht, um den Jungen zu ermahnen, aber Maja kommt ihr zuvor. »Nein, wir wollen deine Mama nur etwas fragen.«
»Was denn?«
Maja weist auf die Kinder. »Können Sie die Kleinen vielleicht einen Moment rausschicken? Was ich zu sagen habe, ist nichts für sie.«
Die Mutter hebt entnervt die Arme. »Wie soll das gehen? Sie sehen doch, dass ich alle Hände voll zu tun habe. Außerdem würden die beiden sowieso nicht draußen bleiben. Sie können ruhig offen sprechen.«
Maja ist zwar anderer Meinung, aber da ihr nichts anderes übrig bleibt, fährt sie fort, wählt ihre Worte jedoch sorgfältig aus.
»Wer ist denn Frau Nowak?«, fragt der Junge, nachdem Maja seiner Mutter die Frage gestellt hat, ob sie ihr begegnet ist.
Maja ignoriert den Knirps und wartet auf eine Antwort.
»Sie meinen die Deutsche. Die ist mir ein paarmal über den Weg gelaufen. Im Laden hauptsächlich.«
»Und wie sah sie aus?«
»Schlimm. Sie trug einen knöchellangen grauen Rock und eine blaue Strickjacke. Voll altmodisch. Und ihre Haare waren auch ganz strähnig, als wäre sie lange nicht mehr beim Frisör gewesen.«
»Ist Ihnen noch etwas aufgefa…?«
»Schießt du mit der Pistole?«, ruft der Knirps und zeigt auf Majas Waffe.
»Ja. Aber das ist nichts für Kinder«, entgegnet sie geduldig.
»Ich will auch mal schießen. Peng, peng, peng!« Laut rufend rennt der Junge durch die Küche und zielt mit dem Zeigefinger auf Maja und Jokke. »Peng, peng. Ich erschieße die Polizei.«
»Jan. Hör auf!«
»Peng. Peeeng. Du bist toooot!«
»Jan!«
Der Junge interessiert sich nicht dafür, was seine Mutter sagt, und tobt weiter herum. Schließlich ergreift Jokke