»Da waren wir zwar auch schon, aber bitte sehr. Ich warte hier, die Suchtrupps müssen jeden Augenblick eintreffen.«
Skagen geht zu der Kellertür und drückt sie auf. Dahinter empfangen ihn Dunkelheit und ein dumpfer Geruch nach Erde. Sein Handy als Taschenlampe benutzend wagt er sich hinein. Der Raum ist nicht groß und der Boden aus festgestampftem Lehm. Doch bis auf einen vergammelten Schlitten befindet sich nichts darin.
Als er aus dem Keller in das helle Sonnenlicht tritt, nimmt er aus dem Augenwinkel eine Bewegung am Waldrand wahr. Es ist eine Polizistin mit gelber Weste, die sich aus dem Gestrüpp zwischen den Bäumen schält, dicht gefolgt von mehreren Kollegen. Keine fünf Minuten später sind alle vier Gruppen vereint. Verschwitzt und deprimiert gehen die Polizisten an Skagen und Göran vorbei zum Bus, wo sie Wasserflaschen hervorholen und durstig trinken.
»Ihr habt nichts gefunden?«, fragt Göran ungläubig.
»Nichts«, entgegnet die Frau. Ein kleiner Zweig hängt in ihrem lockigen Haar. Sie bemerkt ihn und zieht ihn heraus.
Während Göran und die Suchmannschaft sich zu der Karte auf der Windschutzscheibe des Busses begeben, nutzt Skagen die Gelegenheit und marschiert zur Scheune hinüber. Er schiebt das verwitterte Tor auf und lässt den Blick schweifen. Auf dem Boden entdeckt er einen Fleck, von dem er zuerst denkt, es sei Blut. Doch es scheint nur Farbe zu sein, gemischt mit einer anderen, dunkleren Flüssigkeit. Die kleine Lache ist bereits eingetrocknet. An einer Stelle wirkt es, als sei etwas verwischt oder hindurchgezogen worden. Skagen macht ein Foto davon und wendet sich der Kommode zu, in der laut Maja die Knochen entdeckt wurden. Es ist ein altes Ding, das wohl in die Scheune abgeschoben wurde, weil es zu schäbig geworden ist. Mit den Fingerspitzen nimmt Skagen Holzmehl aus dem Innern auf und betrachtet es mit gerunzelter Stirn. Er korrigiert seine Annahme: kein Auswurf von Holzwürmern, sondern getrockneter Lehm.
»He, Skagen?«, hört er Göran rufen. »Da drinnen ist nichts, das kann ich Ihnen versichern. Wir haben gestern alles gründlich abgesucht.« Der Polizeiinspektor klingt, als wolle er nicht, dass er ohne seine Aufsicht weiter herumschnüffelt. Markiert ganz klar, dass er der Chef ist.
Bereitwillig, und weil er eh nichts daran ändern kann, schiebt Skagen das Scheunentor zu, auch wenn er mit seiner Untersuchung nicht fertig ist. Als er sich umdreht und zu den Tannen hinaufblickt, die neben dem Gebäude stehen, fällt ihm etwas auf. Da hängt ein Gegenstand an einem der Äste und glänzt im Licht der Sonne wie ein Stück durchsichtiges Plastik. Skagen weiß sofort, was es ist.
»Berg, sehen Sie mal!«
»Was gibt’s?«, fragt Göran.
»Nun kommen Sie schon. Ich will es nicht anfassen, bevor Sie es nicht selbst in Augenschein genommen haben. Und bringen Sie einen Beutel mit, es könnte eine Spur sein.«
Während Skagen nach einem langen Stock sucht, um das Ding vom Baum zu fischen, hört er, wie sich Görans Schritte nähern.
»Ich sagte doch, dass wir alles abges…« Als der Ermittlungsleiter den Gegenstand entdeckt, hält er mitten im Satz inne. »Scheiße noch mal. Das ist uns wohl entgangen.«
15
Maja drückt auf die Klingel am Eingang des gelb verklinkerten Hauses, das direkt an der Hauptstraße steht. Von hier aus sind es etwa 300 Meter bis zur Pizzeria und zum Supermarkt. Weit sind sie mit ihren Umfragen nicht gekommen. Und viel Neues haben sie auch nicht erfahren.
Hinter der Tür tut sich nichts, und Maja klingelt erneut. Es ist Donnerstag, einige Leute sind bestimmt bei der Arbeit. Neben ihr schwitzt Jokke vor sich hin. Immer wieder fährt er sich über die Stirn, und selbst seine langen blonden Wimpern wirken verklebt vom Schweiß. Er ist bestimmt ebenso froh, nicht durch den Wald laufen zu müssen, wie sie.
»Niemand zu Hause«, sagt er, und Maja nickt. Dabei ist sie sich sicher, dass jemand da ist. Sie hat zuvor eine vage Bewegung in einem der Fenster bemerkt. Doch offensichtlich will der Bewohner nicht mit ihnen sprechen.
»Gehen wir weiter«, sagt sie.
Jokke notiert sich die Hausnummer und den Namen und folgt ihr zum benachbarten Grundstück. Das Haus ist mit grauen Eternitplatten verschalt, der Vorgarten leidlich gepflegt. Ehe Maja klingeln kann, öffnet sich auch schon die Tür.
»Ja?« Eine ältere Dame schaut sie mit großen Augen an. Darin lauert Neugier. Maja seufzt. Das wird eine der längeren Befragungen werden.
»Guten Tag, Lövgren und Larsson von der Polizei Karlskrona«, stellt sie sich vor. »Wir hätten ein paar Fragen an Sie. Dürften wir zu Ihnen reinkommen, Frau …?«
»Eriksson. Agnes Eriksson. Natürlich. Bitte.« Die alte Dame lässt sie eintreten und führt sie ins Wohnzimmer, wo sie auf eine grüne Sofagarnitur weist. Dabei klirren die goldenen Armkettchen um ihre dürren Handgelenke. »Bitte, setzen Sie sich. Möchten Sie einen Kaffee? Ich habe gerade einen in der Küche stehen.«
Maja, die weiß, dass es keinen Zweck hat abzulehnen, nickt. Wenig später erscheint die Frau mit drei Tassen und einer Perkolatorkanne und stellt alles auf dem Tisch ab. Dazu ein Milchkännchen, eine Zuckerdose und Kekse. Schweigend gießt sie ein und reicht Maja und Joakim die Tassen, dann setzt sie sich ihnen gegenüber in den Sessel und faltet die Hände auf ihrem Schoß. Es ist ihr anzusehen, wie die Neugier an ihr zerrt.
Um der Höflichkeit Genüge zu tun, nimmt Maja einen Schluck. Jokke hat bereits den Notizblock gezückt und sein Stift schwebt über dem Papier.
»Wir sind hier wegen …«
»Des Unfalls, stimmt’s?«, platzt es aus der Frau heraus. »Das ist wirklich furchtbar.«
»Ähm ja, richtig. Aber vielmehr wollen wir etwas über die betroffene Familie wissen. Die Nowaks aus Deutschland. Es geht um die Frau, Christina, wir suchen sie.« Maja zeigt der alten Dame das Foto. »Sind Sie ihr schon mal begegnet? Und wenn ja, wann und wo war das?«
»Ähmmm, das war beim Einkaufen, drüben im Supermarkt. Da waren die öfter. Das letzte Mal hab ich sie gesehen, das war …«, sie scheint zu überlegen, »am Dienstag, glaube ich.«
»Also vorgestern?«
»Nein. Vor einer Woche. Da war sie einkaufen mit ihrem behinderten Kind. So ein Mongoloid oder wie die heißen. Jedenfalls hat das Mädchen ununterbrochen für Ärger gesorgt. Die Frau war genervt und sah ziemlich fertig aus. Aber das wäre ich auch mit solch einem Kind. Nicht, dass Sie mich falsch verstehen, ich bewundere jeden, der ein behindertes Kind großzieht. Ich selbst habe vier Kinder zur Welt gebracht. Also normale, und das war schon nicht leicht. Aber muss das heute noch sein? Ich meine, das mit der Behinderung. Früher hat man ja nichts dagegen tun können, aber bei dem heutigen Stand der Medizin lässt sich das doch verhindern. Wie kann man sich nur bewusst damit belasten?«
»Für manche sind das genauso Menschen, die ein Recht auf Leben haben, wie Sie und ich«, sagt Maja in leicht tadelndem Ton. »Und für viele Familien ist das keine so große Belastung, wie man vielleicht glauben mag.«
Die alte Dame winkt ab. »Na ja, ich weiß jedenfalls, was ich gesehen habe.«
»Sind Sie auch Herrn Nowak begegnet?«, fragt Maja.
»Ja, der ist ständig durch den Ort gefahren. Immer hin und her. Das konnte ich vom Garten aus gut beobachten. Ich sehe ja jeden, der vorbeikommt.«
»Und die ältere Tochter? War die auch oft im Ort unterwegs?«
»Diese kleine Dirne?« Frau Eriksson stößt missbilligend Luft aus. »Und ob. Hab sie dabei beobachtet, wie sie mit den Jungen kokettiert hat. Schamloses kleines Ding. Hat mit denen vor ›Melkers Pizza‹ rumgelungert und wie ein Schlot geraucht. So etwas hätten meine Kinder niemals gedurft. Furchtbar.«
Maja verkneift sich eine weitere Zurechtweisung. Bei der Alten sind Hopfen und Malz verloren, und fast tun ihr deren Kinder leid, obwohl sie sie gar nicht kennt.
»Wissen Sie, ob es in Hultsjö jemanden gibt, der näheren