Für die etwa 700 Kilometer lange Strecke flussaufwärts nach Luxor brauchte die Alexandria zweieinhalb Tage, die Vater und Tochter Amy nicht lang wurden. Sie legten einmal abends in el-Balyana an, gingen mit Blackie von Bord und beobachteten das Leben und Treiben in der uralten Stadt, die über einer der Metropolen des alten Ägyptens, dem alten Abydos, entstanden war, das schon in vordynastischer Zeit von Bedeutung war.
Am nächsten Morgen besichtigten sie freigelegte Reste der Tempel für Sethos I., die Reste eines Osiris-Tempels und alte Grabfelder aus vordynastischer Zeit, auf denen Blackie wiederum mehrmals kurz seine Klagelaute hören ließ. Sie sahen an verschiedenen Tempelwänden auch Reliefs des Anubis.
Auf dem Rückweg zum Schiff liefen sie über den lokalen Markt, ohne von den in Ägypten nur allzu oft aufdringlichen Verkäufern lokaler Früchte, von Schmuck und Kleidung belästigt zu werden, was sie wohl zu Recht der Begleitung durch Blackie zuschreiben konnten, der allen Leuten Respekt und vielleicht sogar Ehrfurcht oder gar Angst einzuflößen schien.
In Luxor war ein Aufenthalt der Alexandria von drei Tagen vorgesehen. Das Schiff hatte einen für die Reisenden recht bequemen Liegeplatz, bequem, weil man direkt vor dem alten Luxushotel ›Old Winter Palace‹ lag, in dem man Tagesbequemlichkeit und jede Möglichkeit der Kommunikation und drei gute Restaurants fand. Als Erstes stellte Oberst Burgess Verbindung zu dem ihnen vom Kurator des Ägyptischen Museums empfohlenen Kurator des Tals der Könige, Ernest Graham, her, der von seinem Kollegen schon informiert war und ihnen anbot, sie am nächsten Tag persönlich nach Theben-West, der Gräberstadt auf der Westseite des Nils, zum Tempel der Hatschepsut und schließlich ins Tal der Könige zu begleiten. Zum Kennenlernen verabredeten sie sich für den Abend zum Dinner im Old Winter Palace.
Ernest Graham, Mitte sechzig, war, wie sich herausstellte, ein in Habitus und Persönlichkeit typisch englischer Professor – easy to talk to – sehr gelehrt, ohne Aufdringlichkeit oder Weltfremdheit. Er kam mit seiner Frau Lucy, die von der Art war, dass man sie nach kurzem Kennenlernen am liebsten als Familientante adoptiert hätte. Es dauerte also nicht lange, bis man sich nach Austausch von ein paar einführenden Fragen und Antworten fast wie eine Familie benahm.
»Sie sind aus Weybridge? Wie interessant. Wir kommen aus Esher. Wir sind somit eigentlich Nachbarn!«
»Sie waren Chef der 22. Fuseliers? Wir sind befreundet mit John und Edith Granworth, Ihrem Nachfolger bei den Fuseliers. Vielleicht wissen Sie, dass er auch aus Esher stammt.«
Das britische Netzwerk arbeitete.
»Esfra, ich meine meinen Kollegen und Freund im Ägyptischen Museum, Mr Al-Budai, den ich sehr schätze, hat Sie bei mir schon angekündigt und mir empfohlen, mich um Sie zu kümmern, was ich umso lieber tue, nachdem ich Sie kennengelernt habe.«
Es entspann sich eine rege Unterhaltung, die natürlich, wie bei solchen Gelegenheiten üblich, zunächst auf die Ermittlung beiderseitiger Bekanntschaften, Erlebnisse und Interessen einging, um später zur Diskussion der bisherigen Reiseeindrücke und Erfahrungen überzugehen. Und in dem Zusammenhang kam Ernest Graham darauf zu sprechen, was ihm sein Kollege Al-Budai über Blackie berichtet hatte.
»Wo ist denn Ihr Hund zurzeit?«
»Er liegt vor der Tür. Er würde uns nie beim Dinner stören, wie wir ihm nicht zusehen, wenn er seine Mahlzeit bekommt.«
»Esfra machte ein paar Andeutungen, dass Sie ihm ein paar Wunderdinge über den Hund erzählt haben. Ich kenne diese Rasse, die man Anubis-Hunde nennt, und die in Ägypten, vor allem hier im oberen Ägypten, Verehrung genießt, ganz gut und weiß von der Intelligenz der Tiere.«
Das war Wasser auf die Mühlen von Amy. Während Oberst Burgess meistens schmunzelte und nur manchmal ein paar Worte zur Bestätigung dessen, was Amy erzählte, einwarf, berichtete die von ein paar der wichtigsten Großtaten von Blackie.
»Wirklich erstaunlich«, meinten Ernest und Lucy Graham übereinstimmend.
»Na, wir werden Ihren Blackie ja wohl noch kennenlernen. Hoffentlich bringen Sie ihn mit zu unseren Besichtigungen in den nächsten Tagen. Wenn ich dabei bin, gibt es damit kein Problem, insbesondere da Ihr Hund, wie Sie sagen, sehr diszipliniert ist.«
Und damit war Professor Graham bei seinen Vorschlägen für die Gestaltung des Besichtigungsprogramms für die nächsten beiden Tage. Am kommenden Tag wolle er ihnen Karnak, den Tempelbezirk im Norden von Luxor, zeigen, und nachmittags die Gräberstadt auf der anderen Seite des Nils, mit einem anschließenden Besuch des Tempels der Hatschepsut. Abends würden er und seine Frau die Burgess’ gern bei sich zu Hause sehen. Am zweiten Tag möchte er mit ihnen das Tal der Könige besuchen, die berühmte Nekropole für Pharaonen und ihre Familien und Begleiter vornehmlich aus den Dynastien des frühen Neuen Reichs, also aus dem Mittelalter der ägyptischen Geschichte, der Zeit um 1500 vor unserer Zeitrechnung. Alle Welt kapriziere sich übrigens darauf, das Grab des Tutanchamun zu besichtigen, das bekanntlich erst 1922 völlig unbeschädigt gefunden und erforscht worden sei und heute tatsächlich die am besten erhaltene Grabstätte im ganzen Tal sei. Da dort der Andrang üblicherweise besonders groß werde, schlage er vor, dass man es vor der normalen Öffnung des Tals für andere Besucher besichtige. Das mache notwendig, dass er die Burgess‘ schon gegen 7 Uhr 30 morgens abhole.
»Wäre Ihnen das möglich und akzeptabel?«
»Das ist eine für uns normale Zeit. Meistens sind wir sogar früher auf.«
»So haben wir das Tal noch länger für uns, wenn ich bereits um 7 Uhr komme! Und auch mit dem Hund gibt es dann keine Probleme.«
Genau wie besprochen lief das Programm ab. Als Graham die Burgess‘ morgens mit seinen Landrover abholte, bewunderte er zunächst Blackie.
»Ohne Zweifel ein reinrassiger Anubis-Hund. Sie werden sein Konterfei oft auf unseren Rundgängen als Hieroglyphe, Relief oder als Abbild in den Grabkammern wiedersehen.«
Die Tempelanlage von Karnak für den Gott Amun und die Pharaonen Ramesses III. und Thutmosis III. mit ihren riesigen Säulen, dem großen Gräberfeld, dem Heiligen See begeisterte Vater und Tochter Burgess, wie alle Besucher, die in der Neuzeit vor ihnen dieses Weltwunder zu sehen bekommen hatten. Nur die vom späteren Vormittag an zunehmende Hitze machte den Rundgang ein bisschen beschwerlich.
Blackie benahm sich mustergültig. Als sie durch den Wald der großen Säulen gingen, zeigte er in seiner Haltung, dass er wusste, wo er war; aber er gab keinen Laut von sich. Erst in den Gräberfeldern setzte er sich ein paarmal hin und stimmte eine seiner kurzen Klagen an. Was ihn jeweils dazu bewegte, blieb wie zuvor rätselhaft. Gleiches geschah, als sie auf der Westseite des Nils die Tempel und Gräberfelder in Theben-West und insbesondere die große Tempelanlage der Hatschepsut besuchten. Er gab nur an den eigentlichen Gräberfeldern und an einigen der Mastabas seinen Klagelaut von sich.
»Wie üblich sind es offenbar nicht die Tempel, sondern die belegten Gräber, die ihn zu seiner Trauer anregen«, sagte Amy zu Professor Graham, was diesen erneut verwunderte. Und nicht nur den Burgess’, sondern in erster Linie ihrem Führer fiel auf, dass der Hund vor allem bei den Arbeitern und sonstigen Helfern mit Scheu beobachtet wurde, und das besonders, wenn er einen seiner kurzen Klagegesänge anstimmte.
»Fraglos, ein ganz ungewöhnliches Verhalten. Ich habe das bisher von keinem anderen der Anubis-Hunde gehört.«
Beim Dinner, abends bei den Grahams, wurde über die Erlebnisse des Tages gesprochen. Ernest Graham erzählte den Burgess unter anderem etwas über die große Pharaonin Hatschepsut, die ›Mutter Ägyptens‹, die für über zwanzig Jahre für ihren Mann und Bruder Thutmosis II. und nach dessen Tod für seinen Nachfolger Thutmosis III. das enorme Reich regierte, wie wohl keine andere Frau der Alten Welt. Er redete sich richtig in Begeisterung über diese außergewöhnliche Sonderstellung in der patriarchalischen Welt und meinte schließlich schmunzelnd, dass nicht einmal Margaret Thatcher dieser Frau hinsichtlich politischer Klugheit, Energie und Durchsetzungsfähigkeit das Wasser hätte reichen können. Anschließend