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ISBN 978-3-89969-238-9
Copyright © 2020 by PRINCIPAL Verlag, Münster/Westf.
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Detlev Stäcker
Wundersame Geschichten II
PRINCIPAL VERLAG
Blackie
In Weybridge, einem der kleinen, typisch englischen Orte in der Grafschaft Surrey westlich von London, gibt es außer dem, was in jedem englischen Städtchen zu finden ist – einer alten Kirche, einer Hauptstraße, an der die meisten Geschäfte liegen, einem Village Green für die Cricketspieler und den Häusern im Grünen –, einen besonderen Friedhof für Hunde. Jedermann weiß, dass die Engländer Tierliebhaber sind. Hunde stehen ihnen, wie man durchaus den Eindruck gewinnt, wenn man England näher kennenlernt, emotional von allen Tieren am nächsten. Sie gehören zur Familie, werden oft wie Familienmitglieder behandelt und deswegen auch häufig begraben, wenn sie sterben, und nicht nur beseitigt, wie das sonst meistens der Fall ist.
Dieser Friedhof ist alt, etwas abgelegen zur Themse hin und nicht besonders gepflegt. Es gibt dort keine rechte Aufsicht, wie auf den Friedhöfen für Menschen, wo dafür gesorgt wird, dass die Würde der Toten durch Ordnung und Pflege der Grabstätten gewahrt wird. Aber es gibt auch in den Reihen der Grabstätten für die Hunde von Weybridge etliche, die durch ihre Pflege – manchmal Blumen, Grabsteine oder sogar ein dem Gedenken eines treuen Wegbegleiters gewidmetes Denkmal – auffallen. Die Aufschriften auf den Steinen und Gedenkplatten geben oft beredten Eindruck von Trauer und treuem Gedenken, wenn man sie denn noch lesen kann, so altersverwittert sind manche von ihnen.
Eines der Gräber, die einem auffallen, wenn man durch die Reihen geht, liegt vor einer hohen Hornbeam-Hecke ziemlich am Ende des Platzes. Auf einem mit Efeu begrünten, kleinen, von Steinen eingefassten Platz steht ein weißer Stein, auf dessen polierten Seite die Silhouette eines liegenden Hundes mit erhobenem schlankem Kopf, langem Fang, aufstehenden, spitzen Lauschern und langer, buschiger Rute eingemeißelt und schwarz ausgemalt ist. Das Bild erinnert den, der sich etwas in ägyptischer Mythologie auskennt, an die Abbildungen von ›Anubis‹, der Vorstellung der frühen Ägypter von einem Gott ihres Totenreiches, der nach ihrem Glauben die Toten auf ihrem Weg in das Leben nach dem Tode betreute, für ihre Einbalsamierung und die sonstigen Riten verantwortlich war und ihre Gräber bewachte. Darunter steht in großen Buchstaben ›Blackie‹ und weiter in kleinerer Schrift: ›Warum hast du mich verlassen? Du wirst mir immer fehlen. Amy.‹ Und dann ein fünfzehn Jahre zurückliegendes Datum. Im Grün vor dem Stein steht eine schlanke dunkle Vase mit einer künstlichen Lotosblüte. Der Platz sieht aus, als werde er ständig gepflegt.
* * *
Wie merkwürdig, dachte ich, als ich an einem Frühsommertag bei einem Spaziergang durch Weybridge zufällig auf diesen den Hunden gewidmeten Begräbnisplatz gestoßen war und plötzlich vor dem Gedenkstein für ›Blackie‹ stand. Merkwürdig, weil mir bei der Besichtigung von St. James, der alten Ortskirche und ihres Friedhofs eine Stunde zuvor ein ähnliches Grab mit einem weißen Stein, gleicher Bepflanzung und gleicher Lotosblüte wegen seiner Eigenart und besonderen Pflege aufgefallen war. Da mein Weg zurück wieder an St. James vorbeiführte, suchte ich aus Neugier noch einmal das dortige Grab auf und sah meine Vermutung bestätigt, dass hier die Herrin von Blackie ihre letzte Ruhe gefunden hatte. Auf dem Stein war ihr voller Name verewigt: Amy Burgess. Nach ihren Lebensdaten war sie vor zwei Jahren im Alter von nur 46 Jahren verstorben, offenbar unter unglücklichen Umständen, denn Amy Burgess‘ Lebensdaten folgte die Aufschrift: ›Mit Blackie an ihrer Seite hätte sie ihr Leben nicht so früh vollendet‹. Das bestätigte den Zusammenhang der beiden Gräber.
Während ich über diese Merkwürdigkeit nachdachte, sprach mich jemand von hinten mit einer leisen, etwas brüchigen Stimme an. »Mein Herr, sind Sie vielleicht ein Verwandter oder alter Freund von Amy Burgess?«
Ich war überrascht und sagte im Umdrehen: »Nein, nein, mir sind nur die Ähnlichkeiten zwischen diesem und einem anderen Grab aufgefallen ...«
»Sie meinen das für Blackie auf dem Hundefriedhof, nicht wahr? Das ist kein richtiges Grab, nur ein Gedenkstein.«
Vor mir stand eine ältere Frau mit einem fein geschnittenen Gesicht unter den streng gescheitelten grauen Haaren, die über ihrem dunklen, langen Kleid ein graues Tuch um die Schultern trug und mich aus hellblauen Augen aufmerksam ansah.
»Sie sind ein Fremder?«, stellte sie halb fragend fest, und als ich bestätigend nickte, fuhr sie fort: »Manche, die an diesem Grab stehen bleiben, weil sie sich für Grabinschriften interessieren, rätseln über den Zusatz, der sich auf Blackie bezieht. Die nehmen in der Regel an, dass es sich bei Blackie um einen Mann gehandelt haben muss, der diesen Beinamen wegen einer Besonderheit seines Haupthaares oder Bartes oder sogar wegen eines dunklen Aussehens trug. Und dabei war Blackie nur ein Hund, wenn auch ein ganz besonderer. Bisher bin ich noch niemandem begegnet, dem die Ähnlichkeit der beiden Plätze aufgefallen ist und der darüber nachgedacht hat. Denn wer von den Fremden, die unseren Ort besuchen, findet schon den Weg auf den Hundefriedhof, der sogar den meisten Einheimischen suspekt ist.«
Nach kurzem Nachdenken ergänzte sie: »Das ist ja eigentlich kein Wunder, weil die Beziehung zwischen einem Menschen und einem Hund so höchstpersönlich ist, dass sich weder aufseiten des Menschen und natürlich nicht auf der des Tieres jemand in die Beziehung eingebunden fühlt und an einem Hundebegräbnis Interesse nimmt.«
Halb neugierig geworden fragte ich: »Haben Sie zufällig Amy Burgess und möglicherweise diesen merkwürdigen Hund Blackie gekannt? Gibt es da eine besondere Geschichte, wie es die Inschriften auf den beiden Steinen vermuten lassen?«
»Doch, ja, ich kannte beide recht gut. Ich war die Nachbarin von Amy Burgess, hier in Weybridge. Ich habe damals dafür gesorgt, dass das Grab für Amy nach ihren Wünschen so gestaltet wurde, wie der Platz, den sie mit großem Kummer ihrem Hund Blackie widmete. Sie hat Wochen darüber gegrübelt. Ich habe ihr bei der Anlegung geholfen. Ich kümmere mich seitdem ein bisschen um den alten Hundefriedhof. Der alte Jesse, der das früher tat, lebt seit Langem nicht mehr.«
»Können Sie mir nicht ein bisschen mehr erzählen? Dies klingt nach einer Geschichte abseits des Üblichen.«
Die alte Frau bedachte sich eine Weile. Schließlich willigte sie ein. »Ich habe nie darüber geredet. Wer sollte sich schon dafür interessieren? Sie sind der Erste. Sie müssen aber etwas Geduld mit mir haben, sie braucht ihre Zeit. Ich heiße übrigens Jennifer Conston und bin die Gemeindehelferin von St. James und war, wie bereits erwähnt, für Jahre Nachbarin der Burgess’ hier in Weybridge in der Oak Lane.« Sie wies auf eine Bank zwischen zwei alten Eiben. »Wollen wir uns nicht setzen? Ich kann leider nicht mehr lange stehen.«
Und sie begann mit ihrer ruhigen, etwas brüchig wirkenden Stimme die wundersame Geschichte von einer Frau, deren Leben sich änderte, als sie in einem ›Kennel‹, einem Hundezwinger, in Weybridge einen verlassenen Hund sah und kaufte. Frau Conston unterbrach sich nur einmal für ein paar Minuten, um aus der kleinen Küche in einem Anbau der Kirche zwei Becher mit Tee und ein Schüsselchen mit Shortbread zu holen.
»Zu Hause bei mir