Andere argumentieren, dass Tiere wie Hunde zwar möglicherweise denken und fühlen, dass aber ihr geistiges Leben für uns unzugänglich sei und dass es deshalb sinnlos sei, herausfinden zu wollen, was in ihrem Kopf vorgeht. Wenn, so führen diese Menschen aus, wir schon niemals wirklich wissen werden, was in unserem eigenen Verstand vorgeht, geschweige denn in dem von Hunden, dann können unsere in diese Richtung gehenden Versuche niemals mehr sein als reine Spekulation. Und weil gute Wissenschaftler nicht spekulieren, sollte man ihrer Meinung nach diese Fragestellung gleich komplett ausklammern und stattdessen weiterhin harte, solide Fakten sammeln.
Diese Betrachtung der Dinge wurde während des gesamten zwanzigsten Jahrhunderts sehr durch die einflussreichen amerikanischen Behavioristen John B. Watson und B. F. Skinner gefördert. Sowohl Watson als auch Skinner vermieden strikt Spekulationen über so ungeordnete und schlecht greifbare Aspekte des Verhaltens wie Gefühle, Gedanken und Bewusstsein. Skinner argumentierte, dass man niemals wissen könne, was im Kopf eines Individuums vorginge (egal ob Tier oder Mensch) und wir uns deshalb ausschließlich auf beobachtbares Verhalten konzentrieren müssten. Skinner behauptete nicht, wie einige das tun, dass es so etwas wie Bewusstsein bei Tieren oder Menschen nicht gäbe. Sein Argument war: Weil wir nicht wissen können, was ein Individuum wirklich denkt oder fühlt, sollten wir auch vermeiden, es herausfinden zu wollen. Noch wenige Tage vor seinem Tod im Jahr 1990 sprach Skinner sich gegen jede wissenschaftliche Betrachtung von »Gedanken, Wahrnehmungen und Erwartungen« aus. Dabei müssen wir ihm zugute halten, dass er nicht nur über Ihren Hund oder Ihre Katze sprach, sondern die gleiche Ansicht auch zum Studium menschlicher Gefühle vertrat. Je mehr aber diese Sichtweise sich in Wissenschaft und Gesellschaft durchsetzte, desto mehr Menschen argumentierten, dass wir das Geistesleben von Tieren nicht nur nicht verstehen könnten, sondern dass sie schlichtweg gar kein solches hätten.
Insbesondere in den Vereinigten Staaten wuchs die Unterscheidung zwischen »Mensch« und »Tier« im zwanzigsten Jahrhundert weiter, sodass man jede Erfahrung, die über einfaches Lernen hinausging, als ausschließlich menschlich bezeichnete.10 Diese Sichtweise durchdrang einige Bereiche der Wissenschaft und auch der Gesellschaft insgesamt. So wurden die frühen Arbeiten der Primatologin Jane Goodall rundweg kritisiert, weil sie im Zusammenhang mit Schimpansen den Begriff »Persönlichkeit« gebraucht hatte: Einem Tier menschliche (gemeint war: ausschließlich menschliche) Eigenschaften zuzuschreiben, wurde als schlampige wissenschaftliche Arbeit betrachtet. David Bodian, einer der Forscher, der für die Entdeckung des Impfstoffes gegen Kinderlähmung verantwortlich ist, wurde 1952 auf einer Wissenschaftskonferenz dafür kritisiert, dass er von einem seiner Versuchsschimpansen mit dem Wort »er« anstatt »es« sprach. Sein Kritiker argumentierte, dass er mit dem Gebrauch von »er« den Schimpansen »dem Menschen gleichstelle«. Ich selbst schickte meinen ersten wissenschaftlichen Aufsatz unter großem Zittern und voller Befürchtungen an die Fachzeitschrift Animal Behavior, weil ich den Versuchsobjekten (Welpen) absichtlich Namen anstatt Nummern gegeben hatte. Zu dieser Zeit war dies eine ziemlich radikale Sache – man glaubte, wenn man Versuchstieren Namen gäbe, würde dies zu der unwissenschaftlichen Annahme führen, dass sie genauso Hoffnungen oder Angst empfinden könnten wie ein Mensch mit Namen.11
Ausgehend von den Prinzipien der Lerntheorie riet man damals Eltern, die Grundgesetze des Lernens an ihren Kindern anzuwenden, indem sie gutes Betragen bestärken, schlechtes bestrafen oder ignorieren sollten und sich abgewöhnen sollten, den Kindern gegenüber wahllos und ohne Grund Zuneigung zu zeigen. Hundebesitzer wurden lächerlich gemacht, weil sie ihren Hunden »ausschließlich menschliche Fähigkeiten« wie Gefühle, Erwartungen und, am schlimmsten von allem, Denken zuschrieben. Die Warnungen vieler dieser Wissenschaftler klingen heute noch in unseren Ohren nach. Die meisten Wissenschaftler, Biologen und Beschäftigten im Gesundheitswesen wurden sorgsam dazu ausgebildet, Tieren nur ja keine menschlichen Gedanken oder Gefühle zuzuschreiben. Kürzlich sagte ein Kinder- Neurochirurg im beliebten Sonntagsmagazin Parade: »Tiere sind die Opfer von Umständen. Sie können nur auf ihre Umwelt reagieren. Menschen aber können dank ihres Frontallappens im Gehirn planen, strategisch vorgehen und Kontrolle über ihre Umwelt ausüben. Wir müssen keine Opfer sein, die einfach nur reagieren.« (von mir in Kursivschrift gesetzt)
Selbst Tierärzte können sich für beide Seiten der Münze aussprechen – Hunde als denkende, fühlende Individuen oder als plan- und geistlose Maschinen. Als ich gerade an diesem Abschnitt des Buches arbeitete, stellte man einem Tierarzt in einer Fernsehshow die Frage: »Können wir herausfinden, welche Gefühle unsere Tiere gerade haben, wenn wir uns ihre Körperhaltungen ansehen?« »Na ja,« meinte der Tierarzt, »Gefühl ist ein menschlicher Begriff,« und fuhr fort, dass er ihn in Bezug auf Hunde gerne vermeiden würde. In Anbetracht der primitiven Beschaffenheit von Angst und Wut war ich doch mehr als nur ein wenig über diese Aussage erstaunt. Ich erinnerte mich an Darwins Buch Der Ausdruck der Gefühle bei Mensch und Tier, in dem er Parallelen zwischen dem Ausdruck von Menschen und dem von Tieren zieht und dass dieses Buch von Wissenschaftlern immer noch als Klassiker betrachtet wird, auch, wenn dieses Thema kontrovers sein mag.
Darwins Arbeiten sind eine gute Erinnerung daran, dass die Kontroverse über Gefühle bei Tieren nicht so aussieht, dass alle Tierfreunde auf der einen Seite in einer Reihe stehen und alle Wissenschaftler gegenüber auf der anderen. Das wäre weit von der Wahrheit entfernt, denn unter den Wissenschaftlern gibt es genauso viel Kontroverse über den Verstand von Tieren wie in der allgemeinen Öffentlichkeit. Wenn Sie nur einige der in den letzten zwanzig Jahren von Wissenschaftlern geschriebenen Büchern über Verstand und Denken von Tieren anschauen, können Sie sehen, wie hitzig die Debatte geworden ist. (In den Literaturangaben zu den Kapiteln 1 und 9 finden Sie eine Liste wirklich guter Bücher zu diesem Thema.) Im Jahr 1984 veröffentlichte ein Wissenschaftler namens Donald Griffin, der für seine exakten Forschungen über die Navigationsfähigkeiten von Fledermäusen bekannt wurde, ein Buch mit dem Titel Animal Thinking (in deutscher Sprache erschienen unter dem Titel Wie Tiere denken, Anm. d. Übers.), in dem es um das Geistesleben von Tieren ging. Es löste eine derart hitzige Kontroverse in der Welt der Wissenschaft aus, dass man es seitdem auch »Die satanischen Verse der Tierverhaltenskunde« nennt.
Donald Griffin wurde von einigen dafür kritisiert, dass er sich »mit Laien, liebevollen Haustierbesitzern und neugierigen Jägern« verbündet habe – nur, weil er gesagt hatte, dass das Denken der Tiere ein wichtiger Gegenstand für die wissenschaftliche Untersuchung sei. Einen Wissenschaftler mit einem »liebevollen Haustierbesitzer« zu vergleichen, ist in manchen Kreisen ein scharfer Tadel. Glücklicherweise nehmen Wissenschaftler wie Griffin solche Kritik gelassen auf. Er warf den Ball zurück, indem er seine Kritiker »mechanomorph« nannte und ihnen vorwarf, mit ihrer verengten Sichtweise Tiere zu nur weniger mehr als Automaten zu machen. Eine neuere Diskussion der Kontroverse findet sich in Affective Neuroscience, wo Jaak Panksepp argumentiert, dass die Grundlage menschlicher Gefühle in unserem evolutionären Erbe liegt und denjenigen Kritikern widerspricht, die meinen, Tiere könnten zwar Gefühle »haben«, sie aber nicht »fühlen«.12
Und so wütet die Debatte weiter. Manche glauben nicht nur, dass Tiere wie Hunde denken und fühlen können, sondern auch, dass es uns möglich ist, sie zu fragen, worüber sie denken und was sie fühlen.13 Andere finden es unwissenschaftlich und unzulässig, irgendeine Art von mit Gedanken und Gefühlen angefülltem »Verstand« bei einem Hund anzunehmen. Aber nicht nur Wissenschaftler und Tierärzte machen sich Gedanken darüber, was zwischen den Ohren Ihres besten Freundes vorgeht. In meinem Seminar »Mensch-Tier-Beziehungen« an der Universität Wisconsin-Madison erzählte mir einmal ein Student, sein Philosophieprofessor habe gesagt, dass Tiere nicht nur nicht denken und fühlen könnten, sondern dass sie auch nichts lernen könnten. Für ihn war das Verhalten aller Tiere, von der