Und wie oft denken Menschen, ihr Hund wisse genau, dass er nicht ins Haus machen dürfe, weil er sie doch mit einem »schuldbewussten« Gesichtsausdruck an der Tür begrüße, wenn sie heimkämen – mit hängendem Kopf und Schwanz und ganz und gar unterwürfigem Blick. Diese Haltung drückt allerdings Beschwichtigung aus, nicht Schuldbewusstsein. Der arme Hund hat gelernt, dass sein Besitzer ihn anschreien wird, wenn er beim Nachhausekommen eine Pfütze auf dem Teppich vorfindet. Das ganze Kriechen und Ducken ist das Schwenken einer weißen Flagge, um dem Zorn des Besitzers zu entgehen und nicht etwa ein Zeichen dafür, dass er sich bewusst ist, irgendeinen Moralkodex der Mensch-Hund-Beziehung gebrochen zu haben. Der Hund, der arme Kerl, duckt sich vor dem heimkommenden Besitzer an der Tür, weil er nicht angeschrieen werden möchte – und es ist bestimmt das Letzte, woran er denkt, wenn er nächste Woche wieder einmal dringend muss und er allein im Haus ist. Aber Menschen schreien nach wie vor ihre Hunde an und drücken deren Nasen in die Urinpfützen, in dem Glauben, der Hund habe ein schlechtes Gewissen gezeigt und damit bewiesen, dass er genau »wisse«, was falsch und was richtig sei.
»VERMENSCHLICHUNG« IST NICHT IMMER EIN SCHLIMMES WORT
Die obigen Beispiele illustrieren, warum viele Vermenschlichungen, im Fachbegriff Anthropomorphismen, für gefährlich halten. Anthropomorph bedeutete im griechischen ursprünglich, den Göttern menschliche Eigenschaften zuzuschreiben. Heute wird »Anthropomorphismus« häufig für die vermenschlichende Darstellung von Tieren verwendet. In manchen Kreisen wird diese Vermenschlichung als so große Sünde betrachtet, dass »Anthropomorphismus« schon beinahe ein Schimpfwort ist. Zum Glück ist es ein bisschen zu lang, um als guter Fluch dienen zu können. »Du anthropomorpher Idiot« hat zwar einen gewissen Klang, wird aber sicher niemals eins der beliebten kurzen, knackigen Fluchworte ersetzen.
Mir wurde in den Zoologie- und Psychologiekursen genau wie allen anderen eingeschärft, Anthropomorphismen zu meiden wie die Pest. Aber wie es bei unserer Spezies so oft der Fall ist, wurde etwas eigentlich Vernünftiges ins Extreme übertrieben und viele begannen so zu sprechen, als ob Vergleiche zwischen Menschen und Tieren immer unkorrekt seien. Jede Eigenschaft, die Teil unseres Ich ist, wie zum Beispiel Denken, Planen oder sogar Fühlen, wurde in ihren Augen zu etwas für Tiere Unzulässigem. Obwohl Rationalität und Verstand am häufigsten als einzigartig für unsere Spezies betrachtet werden, ist ein überraschender Mangel an Rationalität feststellbar, wenn man sich die menschlichen Attribute anschaut, die diese Skeptiker anderen Tieren zugeschrieben haben.
Viele von denen, die immer wieder vor den Gefahren der Vermenschlichung warnen, zögern nicht, von »egoistischen« oder »konkurrierenden« Tieren zu sprechen. Es scheint fast so, als würde die Zuschreibung negativer menschlicher Eigenschaften an Tieren selten Kritik auslösen. Tiere können »manipulativ« oder »eigennutzig« sein, aber Gott behüte, Sie sprechen von Tieren als »versöhnlich« oder »liebevoll«. Der Primatologe Frans de Waal wurde rundweg kritisiert, als er erstmals »Versöhnungsverhalten« bei Schimpansen beschrieb – obwohl die Beweise dafür überwältigend waren. Selbst scheinbar neutrale Begriffe lösen bei manchen Wissenschaftlern Unbehagen aus. Die beiden hervorragenden Wissenschaftler Donald Owings und Eugene Morton, deren Arbeit ich insgesamt respektiere, argumentierten kürzlich, es sei falsch, Kommunikation unter Tieren wie zum Beispiel den Gesang der Wale oder das Winseln eines Welpen als »Informationsübermittlung« zu betrachten. Dies sei ein vermenschlichendes Konzept, so ihre Begründung. Stattdessen sollten wir ihrer Meinung nach Kommunikation unter Tieren als Beispiele für »Einschätzung, Manipulation oder Beeinflussung« betrachten. Ich stimme größtenteils mit dem Gedanken überein, dass es in der Kommunikation häufig um den Versuch geht, jemand anderen dazu zu bewegen, zu tun, was man möchte. Aber ich sehe nicht, warum die Begriffe »Manipulation« oder »Beeinflussung« weniger vermenschlichend sein sollten als »Informationsübermittlung«.
Ein weiteres Beispiel für das Zögern, Tieren positive Eigenschaften zuzuschreiben, ereignete sich 1996, als ein drei Jahre alter Junge im Brookfield Zoo von Chicago in das Gorillagehege fiel. Binti Jua, ein acht Jahre altes Gorillamädchen, hob das Kind auf, wiegte es in seinen Armen und reichte es dann vorsichtig einem seiner Pfleger. Die Geschichte schlug landesweit wie eine Bombe in den Medien ein und schon Stunden später interviewte man Experten zu diesem »unglaublichen« Ereignis. Einige der Befragten sagten, es sei dumme Vermenschlichung, Binti Freundlichkeit oder Mitleid zuzuschreiben. Sie habe nur das getan, was ihre Pfleger ihr beigebracht hätten.8 In seinem Buch Der Affe und der Sushi-Meister stellt Frans de Waal heraus, dass wir ähnliche Handlungen eines Menschenkindes niemals als bedeutungslos bezeichnen würden, selbst wenn es ebenfalls von seinen Eltern angewiesen worden sei, freundlich und sorgsam zu sein. Was Binti tat, ist typisch für Gorillas und in keiner Hinsicht ungewöhnlich. Gorillas sind im Allgemeinen ruhige, freundliche Vegetarier, die den größten Teil des Tages damit verbringen, auf wildem Sellerie herumzukauen und die wilde Spielattacken der Jungtiere gutmütig tolerieren. Ganz anders hätte die Sache ausgesehen, wenn der Junge in eine Löwengrube gefallen wäre, eine junge Löwin ihn vorsichtig aufgehoben, ins Maul genommen und zu einem Pfleger gebracht hätte. Kleine Jungs sehen für Löwen wie Abendessen aus, aber für Gorillas sehen sie aus wie … eben kleine Jungs. Das Überraschendste für viele von uns war nicht Bintis Verhalten, sondern der empörte Aufschrei mancher, dass es hoffnungslos romantisch und unwissenschaftlich sei, einem Gorilla so etwas ähnliches wie menschliche Gefühle zuzusprechen.
Aber nicht nur Wissenschaftler scheinen sich wohler damit zu fühlen, Tiere lieber mit negativen als mit positiven Begriffen zu beschreiben. Selbst Hundebesitzer, die ihre Hunde lieben, tun das. Millionen unglücklicher Hunde wurden angeschrieen oder sogar geschlagen, weil wir ihnen so leicht die schlechtesten Eigenschaften unserer eigenen Spezies zuschreiben. Wie schnell wir doch darin sind, unsere schlechtesten Eigenschaften auf Hunde zu übertragen. Überlegen Sie einmal, wie reich Sie wären, wenn Ihnen jemand jedes Mal, wenn er sagen würde »Er macht das nur, um mich zu ärgern!« oder »Er weiß doch, dass er das nicht tun soll!«, einen Dollar zahlen würde. Ja, vielleicht »weiß« Ihr Hund in der Tat, dass er Besucher nicht anspringen soll, aber mal ehrlich, haben Sie noch nie Ihre guten Manieren vergessen, wenn Sie aufgeregt waren und haben Sie noch nie vergessen, was Sie sagen wollten, wenn Sie nervös waren? Was hatte »wissen« damit zu tun, dass Sie beim letzten Weihnachtsessen bei den Eltern Ihres Verlobten Ihre Gabel fallen ließen? Haben Sie das absichtlich gemacht, um Ihren Verlobten zu ärgern? Ich bezweifle das. Warum dann sind wir so schnell dabei, unseren Hunden absichtlichen Ungehorsam zu unterstellen, aber zögern, ihnen Dinge wie Angst oder Verwirrung zuzuerkennen, obwohl genau diese auch unsere eigenen Handlungen beeinflussen?
Vielleicht liegt die Antwort darin, was Psychologen den fundamentalen Attributionsirrtum nennen. Scheinbar neigen wir Menschen zu der Annahme, dass das Benehmen uns unbekannter Individuen eher auf deren Veranlagung beruht als auf äußeren Einflüssen. Am besten wird das von einer erhellenden Studie illustriert, in der Studenten mit einer Frau sprachen, der zuvor gesagt worden war, sie solle entweder freundlich und warmherzig oder kühl und abweisend sind. Der Versuchsleiter, der der Frau die Verhaltensanweisungen gegeben hatte, teilte der Hälfte der Studenten vor dem Gespräch mit, dass sich die Frau auf eine bestimmte Weise verhalten würde. Der anderen Hälfte wurde nichts gesagt, was das Verhalten der Frau irgendwie hätte erklären können. Spannenderweise bewerteten beide Gruppen hinterher die Frau als von Natur aus unfreundlich, obwohl die eine Hälfte der Studenten ja gewusst hatte, dass sie dieses Verhalten nur spielte. Es stellt sich heraus, dass wir alle das genau Gleiche tun und es fast unmöglich ist, das zu vermeiden. Vielleicht kennen Sie Ihre beste Freundin gut genug, um sagen zu können, dass ihre unfreundlichen Bemerkungen einer Verkäuferin gegenüber mit dem schrecklichen Tag zu erklären sind, den sie gerade hinter sich hat, aber wenn Sie das Gleiche bei einer fremden Person sehen, neigen Sie zu der Annahme, dass es sich hier um einen unfreundlichen Menschen handelt. Leider können Hunde uns nicht sagen, dass sie heute einen schlechten Tag hatten oder dass ihnen die Hüftgelenke schmerzen – und nur zu oft unterstellen wir ihnen das Schlechteste.
Natürlich neigen manche Hundebesitzer auch zum anderen Extrem. Erst gestern sprach ich mit einer guten Freundin, die mir gegenüber