Eines der ersten Dinge, die man im Studium von Tierverhalten lernt, ist, dass Tiere zu Wohlbefinden und Komfort hin und von Schmerzen und Unwohlsein weg streben. Gefühle sind die Mechanismen, die Tieren diese Handlung ermöglichen. Sie sind ein Geigerzähler des Körpers, der das Gehirn informiert, was es als Nächstes tun soll. Haben Ihre Augen ein Raubtier hinter dem Busch da entdeckt? Dann ist es gut, wenn Ihr Herz zu rasen beginnt, mehr Blut zu Ihren Muskeln pumpt und Ihr Gehirn Ihnen sagt, dass Sie wegrennen sollten. Fühlen Sie sich zufrieden, behaglich und warm? Dann sind Sie vermutlich gerade in einer Umgebung, die gut und gesund für Sie ist.
Gefühle sind sehr grundlegende Dinge, die wir bei zahllosen Spezies in deren physiologischen Reaktionen, Ausdrucksverhalten, Gehirn und Neurochemie sehen können. Dies ist einer der vielen Gründe dafür, warum die Behauptung, Hunde hätten keine Gefühle, unlogisch ist – auch, wenn viele Menschen noch immer darauf beharren. Wenn genau jetzt etwas geschehen würde, was sowohl Sie als auch Ihren Hund in Angst und Schrecken versetzt, wären Körperhaltung und Ausdruck des Hundes ein ziemlich genaues Ebenbild dessen, was bei Ihnen zu sehen wäre. Diese Erkenntnis ist nicht neu – als Charles Darwin 1872 Der Ausdruck der Gefühle bei Mensch und Tier veröffentlichte, zögerte er nicht, darin die Haltung einer »verängstigten« Katze oder eines »bescheidenen« und anhänglichen Hundes zu beschreiben. In diesem Buch sagt Darwin, dass grundlegende Gefühle wie Angst und Ekel bei vielen Spezies nach außen hin gleich ausgedrückt werden. Obwohl es schon gut über hundert Jahre alt ist, wird dieses Buch noch immer in allen Kursen zu Evolution oder Verhaltenslehre verwendet, die diesen Namen verdienen.
Wo wir heute in der Lage sind, über die Beobachtung bloßer Verhaltensänderungen hinaus- und tief ins Gehirn hineinzusehen, haben wir herausgefunden, dass wir mit anderen Tieren sehr viel mehr als nur äußeres Ausdrucksverhalten teilen. In seinem Buch Affective Neuroscience argumentiert Jaak Panksepp, dass Säugetiere die gleichen grundlegenden gefühlsbezogenen Strukturen und die gleiche gefühlsbezogene Physiologie besitzen wie wir. Der für die Übermittlung von Gefühlen zuständige Gehirnbereich heißt limbisches System und ist von so grundlegender Bedeutung für sowohl Ihr Gehirn als auch das Ihres Hundes, dass es oft auch das »Säugetiergehirn« genannt wird.
Das limbische System ist tief in der Mitte Ihres Gehirns eingekuschelt, zwischen den wirklich primitiven Bereichen, die dafür sorgen, dass Ihr Kopf oben bleibt und Ihre Lungen arbeiten und den gewundenen, neueren Bereichen der Gehirnrinde, die Informationen verarbeiten und Entscheidungen treffen. Sowohl bei Ihnen als auch bei Ihrem Hund enthält es drei lebenswichtige kleine Strukturen, die Amygdala (oder Mandelkern), Hypothalamus und Hippocampus heißen. Die Amygdala fügt den ins Gehirn kommenden Informationen gefühlsmäßige Bedeutung hinzu und wurde früher als Kommandozentrale für die Gefühle Überraschung, Wut und Angst bezeichnet. Als wir mehr über die Komplexität des Gehirns erfuhren, stellten wir jedoch fest, dass dies bei weitem zu stark vereinfacht war. Aber andererseits passt fast alles, was wir über das Gehirn gelernt haben, in diese Kategorie. (Das Gehirn ist dermaßen kompliziert, dass es eigentlich unmöglich ist, ohne grobe Vereinfachungen darüber zu sprechen, also haben Sie Nachsicht mit mir.) Lassen wir es bei der Erklärung bewenden, dass die Amygdala eine wesentliche Rolle für Ihr Gefühlsleben spielt und die Amygdala Ihres Hundes eine wesentliche Rolle für das seine. Die Amygdala ist nicht nur wichtig zur Schaffung Ihrer eigenen Gefühle, sondern auch für das Erkennen von Gefühlen bei anderen. Menschen mit beschädigter Amygdala können nicht unterscheiden, ob der Gesichtsausdruck von jemand anderem Freude oder Wut zeigt.5 Wie wir später noch sehen werden, ist die Amygdala ein sehr geschäftiger Ort, wenn etwas geschieht, das Sie oder Ihren Hund erschreckt oder aufregt.
Die Amygdala reicht ihre emotionalen Beurteilungen an andere Strukturen weiter, die Erinnerungen vergleichen, Informationen an den Kortex (die Gehirnrinde) weitergeben oder je nach geschaffenem Gefühl die passenden Hormone ausschütten. Das System als Ganzes, das sowohl auf angeborenen Reaktionen als auf gespeicherten Erinnerungen basiert, war ein Hauptbeteiligter an meinen Gefühlen des Entsetzens, als ich realisierte, dass Luke in Gefahr war. Wir können nicht wissen, wie sehr Lukes innere Erfahrung der meinen ähnelte, aber er und ich hatten die gleichen Strukturen im Gehirn, die Angst übermitteln. Und eben diese Ähnlichkeit der Strukturen ist für viele die Argumentationsgrundlage, dass die Gefühle nichtmenschlicher Säugetiere denen von Menschen ähneln müssen.
Sicherlich ist Angst eines der grundlegendsten Gefühle überhaupt. Es ist schlecht vorstellbar, dass man ohne ein Gehirn, das einen bei Gefahr zur Vorsicht bewegt, in einer Welt voller Raubtiere und Giftpflanzen überleben könnte. Selbst Skeptiker in Sachen Gefühle bei Tieren stimmen zu, dass Angst eines der grundlegendsten Gefühle ist, eine Anpassungsreaktion für jedes Tier, das Entscheidungen treffen kann, um in der freien Natur zu überleben. Die meisten Biologen stimmen darin überein, dass die anderen »Grundgefühle« Zorn, Ekel und Freude sind. Diese primären Gefühle sind klar bei allen Individuen unserer eigenen Spezies zu sehen und werden immer auf ähnliche Weise ausgedrückt, egal, wo die Person ist oder zu welcher Kultur sie gehört.6 Drei dieser Grundgefühle – Angst, Wut und Glück – sind so wichtig für uns (und, wie ich argumentieren werde, auch für unsere Hunde), dass wir jedem von ihnen ein eigenes Kapitel widmen werden. Die Liebe als Cousine des Glücks verdient ebenfalls ihr eigenes Kapitel, was ja für ein Buch über Gefühle und unsere Beziehungen zu Hunden auch nur angemessen erscheint.
Neben diesen vier Grundgefühlen gibt es auch noch andere wie Schuldbewusstsein oder Stolz, die komplizierter zu sein scheinen. Vielleicht sind sie Kombinationen von Grundgefühlen, so wie Grün eine Kombination der Primärfarben Gelb und Blau ist. Manchmal wird auch argumentiert, dass zwar alle Säugetiere Angst, Wut und Freude erleben könnten, Gefühle wie Schuldbewusstsein oder Stolz aber höhere kognitive Fähigkeiten verlangen würden und nur von Menschen gefühlt werden könnten.
Wir werden über diese komplexeren Gefühle noch weiter hinten im Buch sprechen. Für den Moment ist vor allem wichtig, dass unsere Grundgefühle uns nicht vom Rest der Natur trennen, sondern uns mit ihr verbinden. Wie Diane Ackerman es in ihrem Buch An Alchemy of Mind formulierte, mögen wir zwar vielleicht sehr komplizierte Gehirne haben, aber die Gefühle, die darin gedeihen, sind roh und primitiv. Auf ihrer grundlegenden Ebene teilen wir ihr Erleben ganz gewiss mit unseren Hunden.
MIT IHREN AUGEN BETRACHTET
Im November 2003 wurde Tammy Ogles Kopf von dem Auto überrollt, mit dem sie unterwegs war. Sie fuhr eine Landstraße entlang, als ihre drei Labradors hinten herumzuspringen begannen und den Geländewagen so zum Schlingern und Drehen brachten, dass sie aus dem Fenster und unter die Räder ihres eigenen Wagens geschleudert wurde. Als sich der Staub verzogen hatte, lag sie bewusstlos mit zehn gebrochenen Rippen und schweren Kopfverletzungen da. Tammys drei Labradore, Double, Lily und Golly, blieben von ernsthaften Verletzungen verschont und krabbelten aus dem Auto. (Tammy sagte mir, dass sie die Hunde normalerweise nur in der Box im Auto mitnahm und selbst keine Ahnung hatte, warum sie sich an diesem Morgen entschieden hatte, sie frei im Auto mitfahren zu lassen.) Double, ein hübscher dreijähriger Rüde, blieb bei Tammy, während Lily und Golly eine halbe Meile weit bis zum nächsten Haus liefen, wo sie so lange an der Tür bellten und kratzten, bis jemand herauskam. Golly packte den Hausbesitzer am Ärmel und zog ihn bis zur Straße, von wo aus er Tammys umgekipptes Auto sehen konnte.
Wenn Sie gerne in eine Debatte geraten möchten, dann fragen Sie verschiedene Menschen, ob sie glauben, dass Tammys Hunde ihrer Besitzerin bewusst das Leben gerettet hätten. Einige werden sagen: »Na klar haben sie das. Es ist absolut vernünftig, anzunehmen, dass (1) die Hunde erkannten, dass Tammy schwer verletzt war und dringend Hilfe brauchte; (2) dass die Hunde Tammy liebten und ihr helfen wollten; (3) dass sie wussten, dass sie selbst ihr nicht helfen konnten und sich deshalb entschieden, die Straße entlangzulaufen und Hilfe bei jemandem zu suchen; (4) dass sie, als sie am Haus ankamen, an der Tür bellten und kratzten, um