Die Chroniken der Wandler. Laura Schmolke. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Laura Schmolke
Издательство: Bookwire
Серия: Die Chroniken der Wandler
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960741732
Скачать книгу
den Meister anzusehen.

      „Aber ...“, setzte Hakan an, doch die Seherin unterbrach ihn.

      „Sofort!“

      Als Hakan sich umdrehte und die Höhle verließ, ärgerte er sich darüber, dass er inzwischen schon widerstandslos die Befehle der schwarzhaarigen Frau ausführte. Aber sie mussten Onida unbedingt von der Wahrheit überzeugen und dazu blieb ihnen nicht mehr viel Zeit.

      *

      Geheimes Treffen

      Warum glauben die Menschen immer, sie seien anders? Anders als ihre Eltern, anders als ihr Nachbar, anders als ihr Feind? Warum glauben Wandler immer, sie seien anders? Sind sie nicht auch nur Menschen, gesegnet mit besonderen Fähigkeiten? Wir sehen alle zum selben Himmel hinauf, leben in derselben Welt. Macht uns das nicht zu Verbündeten?

      „Schlaf gut – und mach dir nicht so viele Sorgen um ihn“, murmelte Ailina noch.

      „Leichter gesagt als getan!“, dachte Felicitas und wälzte sich auf die andere Seite. Auch sie fühlte sich total erschöpft. Schließlich hatten sie gerade eine weitere von Mingans zusätzlichen Stunden hinter sich gebracht, wie inzwischen fast jeden Morgen. Trotzdem wollte es ihr nicht gelingen, einzuschlafen. Anfangs, kurz nachdem sie von ihrem Fluchtversuch zurückgekehrt war, hatte sie Angst davor gehabt, Eva noch weitere Male in ihren Träumen zu begegnen. Doch das Mädchen in dem weißen Kleid hatte sich nachts nicht mehr blicken lassen, worüber Felicitas unendlich erleichtert war. Aber seit Wintereinbruch fiel es ihr wieder schwerer, Schlaf zu finden, weil sich ihre Gedanken noch öfter als zuvor um Aranck drehten.

      Wie schon einige Male vorher überlegte sie, ob sie nicht ein weiteres Mal die Schule verlassen sollte. Nur ganz kurz natürlich, und nur, um zu sehen, ob es Aranck gut ging. Sie hatte gar nicht mal vor, den ganzen weiten Weg bis zu seiner Hütte zu gehen, sondern einfach nur ein paar Schritte in den Wald hinein in der Hoffnung, den Jungen dort zu treffen. Doch sie wusste, dass das so gut wie unmöglich war, und vermutlich wäre danach alles noch schlimmer als jetzt.

      Sie seufzte leise in ihre Bettdecke und versuchte sich gegen den formlosen Schmerz zu wehren, der sich in ihrem Inneren breitgemacht hatte. Nein, es war kein wirklicher Schmerz, viel mehr eine alles verschlingende Leere, so ähnlich wie diejenige, die sie nach Evas Tod gespürt hatte. Konnte sie Aranck wirklich so sehr vermissen? Sie hatte doch nur so wenig Zeit mit ihm verbracht ... aber sein Lächeln schien sich irgendwie in ihre Gedanken eingebrannt zu haben, das Funkeln in seinen nachtschwarzen Augen. Das war doch nicht normal, oder? Fühlte es sich wirklich so an, verliebt zu sein? So ... schrecklich? Sie hatte immer geglaubt, es wäre ein schönes Gefühl.

      Als Felicitas schließlich doch einschlief, verfolgte sie Arancks Gesicht in ihren Albtraum hinein.

      Irgendwann schreckte sie hoch, zitternd und noch erschöpfter als vor dem Einschlafen. Wirre, konfuse Bilder verfolgten sie. Doch jedes Mal, wenn sie versuchte, eines von ihnen festzuhalten, entglitt es ihr wieder.

      Um sich zu beruhigen, stand sie leise auf und stellte sich ans Fenster. Die Sonne schien und brachte den Schnee in dem kleinen Hof zum Schmelzen. Für Mitte Dezember war es ziemlich warm.

      Und wenn sie nur ganz kurz rausging? Nur ein paar Schritte in den Wald? Sie hatte schließlich nichts zu verlieren. Nicht, wenn sie durch die kleine Hintertür aus dem Schloss schlich, die Mingan ihr gezeigt hatte. Sie versuchte sich selbst davon zu überzeugen, dass es ihr nichts ausmachen würde, wenn sie Aranck im Wald nicht antraf. Dann würde sie einfach wieder umdrehen und zurück in die Schule gehen.

      Leise zog sie sich um und schlüpfte in die dicken Winterstiefel, die sie von July ausgeliehen bekommen hatte. Da Felicitas im Sommer logischerweise nicht an passende Kleidung für den Winter gedacht hatte, war sie erleichtert gewesen, dass July fast ihren ganzen Kleiderschrank dabeizuhaben schien, in dem sich unter anderem drei Paar Winterstiefel befunden hatten. Sie warf noch einen letzten Blick auf Ailina, die, ihr den Rücken zugewandt, friedlich zu schlafen schien, und huschte dann eilig aus dem Zimmer und in den Gang hinaus.

      Als Felicitas die kleine Hintertür öffnete und in den schmelzenden Schnee trat, musste sie zu ihrem Erschrecken feststellen, dass es bei Weitem nicht so warm war, wie sie vermutet hatte. Ein eisiger Hauch fuhr ihr ins Gesicht und der Atem kondensierte vor ihrem Mund zu dünnen, weißen Wölkchen. „Nur ganz kurz!“, sagte sie sich selbst, steckte die Hände in die Taschen ihrer Fleecejacke und marschierte los, diesmal fest darauf bedacht, sich den Weg zurück einzuprägen.

      Sie hatte sich noch keine zehn Schritte von dem Schloss entfernt, als sie ein seltsames Gefühl wahrnahm. Obwohl es sich vollkommen unbekannt anfühlte, war sie sich sicher, dass es ihr eigenes war.

      Verwirrt blieb sie stehen und versuchte es zu fassen, herauszufinden, worum es sich handelte. Es fühlte sich ein wenig an wie Freude, gemischt mit Spannung und Erwartung, aber keinesfalls unangenehm. Und es wurde stärker, je weiter sie sich vom Schloss entfernte. Plötzlich kam ihr ein Verdacht: Konnte es sich bei diesem Gefühl um das Nayeli-Band handeln? Amitola hatte ihnen erklärt, dass es innerhalb eines Bannkreises nicht möglich war, andere Menschen – oder Wandler – mithilfe dieses Bandes aufzuspüren. Ebenso konnte man selbst dort nicht gefunden werden. Aber jetzt hatte sie die Schule und somit auch den Bannkreis verlassen ...

      Sie drehte sich noch einmal um und spähte zwischen den Bäumen hindurch, wo man noch die Umrisse des Schlosses ausmachen konnte. Dann sog sie tief die kalte Luft ein und stapfte los durch den schmelzenden Schnee, während sie vollkommen auf ihr Gefühl vertraute.

      Sie wusste nicht, wie lange sie so durch den Wald ging, nur dass es scheinbar immer kälter wurde. In der dünnen Fleecejacke fror sie entsetzlich. Der Schnee knackte unter ihren Füßen und die Äste der Bäume über ihr bogen sich unter der schweren Last, die sie zu tragen hatten.

      Felicitas überlegte gerade, umzukehren, als sie plötzlich etwas Festes, Hartes am Rücken traf. „Was ...?“, rief sie überrascht aus und fuhr herum.

      Aranck stand zwischen den Bäumen und lächelte sie schuldbewusst an. „Tut mir leid, ich konnte einfach nicht widerstehen.“ Er grinste.

      Wütend verrenkte Felicitas sich, um den Schnee von ihrer Jacke zu klopfen, den Arancks Schneeball dort hinterlassen hatte.

      „Hast du dich wieder verlaufen?“, fragte der Junge. Obwohl seine Stimme ernst klang, entging Felicitas das verräterische Zucken um seine Mundwinkel nicht.

      „Nein, ob du es glaubst oder nicht. Diesmal wollte ich nur einen kleinen Spaziergang machen. Und ich habe mir den Weg zurück eingeprägt!“

      Aranck zog die Stirn in Falten und musterte Felicitas misstrauisch.

      Zu spät fiel ihr auf, dass sie von hier aus nicht vor Sonnenuntergang in ein anderes Dorf kommen würde, woraus folgte, dass sie auf ihrem Spaziergang mindestens eine Nacht im verschneiten Wald verbracht haben musste.

      „Darf ich jetzt fragen, woher du kommst?“, wollte Aranck wissen.

      „Nein, tut mir leid.“ Felicitas lächelte entschuldigend. „Ist es nicht ein seltsamer Zufall, dass wir uns hier über den Weg laufen? Ich meine, der Wald ist nicht gerade klein“, versuchte sie das Thema zu wechseln.

      „Ja, es ist in der Tat eine Überraschung, dich wiederzusehen, nachdem du so plötzlich und ohne Erklärung mitten in der Nacht aus meiner Hütte geflohen bist.“ Felicitas starrte auf Julys schwarze Winterstiefel. Auch Aranck schwieg. Irgendwann seufzte er leise. „Ich glaube nicht, dass ich auf eine Erklärung hoffen darf, oder?“

      Felicitas schüttelte den Kopf. „Aber trotzdem danke für alles.“ Auf einmal hatte sie Angst, dass Aranck erraten könnte, wer - oder besser gesagt: was - sie war und dann nichts mehr mit ihr zu tun haben wollte.

      „Keine Ursache.“ Der Junge hob beide Hände, wobei Felicitas auffiel, dass er dieses Mal gar kein Messer mit sich herumtrug. „War ganz nett, mal ein bisschen Gesellschaft zu haben.“

      Felicitas