Waldlichter. A. V. Frank. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: A. V. Frank
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960741800
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küssten sie sich, nur ganz flüchtig, aber in meinem Hals bildete sich ein Kloß, weil die beiden so traurig wirkten. Und ich sah am Waldrand eine weitere Frau sitzen, auf deren Wangen Tränen schimmerten und die leise den Mond anheulte. Sie stieß ein Wolfsgeheul aus, das sehr authentisch wirkte.

      An jene Frau, die so unglücklich über das Leid der Liebenden ‒ meine Schwester und ein geheimnisvoller Fremder ‒ zu sein schien, hatte mich Ana erinnert. Doch obwohl der Traum nicht in meinem Bewusstsein präsent gewesen war, wie hatte ich Ana damit in Verbindung bringen können? Sie hatte genauso traurig aus dem Fenster geschaut und leise geheult ...

      Ich schüttelte den Kopf und bemerkte benommen, dass ich auf dem Boden kniete. Schnell richtete ich mich auf und klopfte mir die kleinen Steinchen von der Hose. Zum Glück war ich noch weit genug von der Stadt entfernt, damit mich keiner bemerkte. Ich rollte mit den Augen, schob die Überlegungen sowie den Traum selbst ganz weit von mir und beeilte mich, in den Pub zu kommen.

      Der nächste Tag verging wie im Flug. Wirklich bewusst nahm ich nichts davon wahr, die Stunden erschienen mir verloren und verschwendet, da ich wusste, dass Dringenderes auf uns wartete, aber wieder einmal vermochte ich jenes nicht recht zu definieren.

      Das Einzige, was mir im Gedächtnis blieb, war, dass Caro morgens wütend ihren Spiegel zerschlug und ich einen Splitter davon einsteckte. Wieso sie ausgerastet war, wusste ich nicht, sie wollte keine Antwort darauf geben, sondern fluchte einfach nur weiterhin.

      Ich sah Tran mit Eric reden, sie schienen sich zu versöhnen und mir fiel ein, dass ich sie noch nicht nach ihm gefragt hatte. Außerdem bemerkte ich, dass Kath Lysana den ganzen Tag auf den Fersen blieb, doch ich hatte keine Gelegenheit, Ana allein zu erwischen und danach zu fragen. Dies waren die einzigen Ereignisse, die mir von unserem letzten Tag in Grettersane noch in Erinnerung geblieben waren.

      Ich konnte es mir nicht erklären, aber das Gefühl des Abschieds wurde ich einfach nicht los. Ich war wieder einmal als Erste wach und packte ein paar Sachen in meinen Rucksack. Ein kleines Notizbuch, das ich von Vetana hatte und immer mit mir nahm, etwas Kleidung, eine Bürste und den Kulturbeutel. Meine Notfallkontaktlinsen. Mehr nicht. Ich hoffte immer noch, dass diese Vorsichtsmaßnahme unbegründet und es zudem nicht nötig war, Proviant einzustecken. Nachdem ich allerdings die anderen zum Frühstück geweckt hatte, gab ich dem Drang nach und steckte etwas Brot und ein paar Konserven in den Rucksack.

      Die anderen waren inzwischen ausgeflogen und ich stand allein in unserem Apartment. Sie waren mir alle irgendwie ans Herz gewachsen, selbst in dieser kurzen Zeit, und ich konnte mir nicht vorstellen, sie zu verlassen. Doch vielleicht musste ich das gar nicht. Vielleicht irrte ich mich total und heute Nacht würde ich hierher zurückkehren. Doch wahrscheinlich war es wohl nicht. Und einen Moment lang überkam mich ein Anflug von Trotz. Ich war hier in Irland, um nach meiner Schwester zu suchen und um Spaß zu haben. Warum sollte ich mit einer Provinzmaus und einer Großstadttussi den Rat eines geheimnisvollen Fremden und die Weisungen von genauso geheimnisvollen Briefen befolgen? Wieso nur ließ ich mich auf diesen Wahnsinn ein?

      Da erinnerte ich mich an etwas: In der vierten Klasse hatte auf einmal ein Brief auf meiner Schulbank gelegen und ich hatte ihn vorsichtig geöffnet. Darin war ein Liebesbrief mit der Bitte um ein Treffen gewesen. Voller Zuversicht war ich zum Treffpunkt gekommen und hatte gewartet ... bis ich die Menschenmasse bemerkt hatte, die mich lachend aus einem Fenster beobachtet hatte. Anschließend war ich tief gekränkt zu Vetana gelaufen und hatte mich ihr anvertraut. Und sie hatte mir geraten, mir nichts anmerken zu lassen, einfach über dieser Sache zu stehen und so weiterzumachen wie bisher. Sie meinte damals, dass sie persönlich selbst beim hundertsten Brief noch nachgeben würde, denn man wüsste ja nie, ob nicht doch der heimliche Schwarm oder ein echter Liebhaber wartete.

      So fühlte ich mich. Als hätte ich einen Liebesbrief bekommen und müsste nun überlegen, ob ich zu dem Treffpunkt gehen sollte oder nicht. Nur dass dies hier eine Nummer größer war. Der Verdacht in mir, dass Tran und ihre Freundin Kath uns einen perfiden Streich spielten, erhärtete sich immer mehr. Bestimmt war auch Ana eingeweiht, dieses blonde, arrogante Flittchen! Inzwischen war ich mir sicher, dass es sich nur um einen Streich handeln konnte, und stürmte zur Tür. Auch wenn Vetana mir gesagt hatte, ich solle mich immer wieder darauf einlassen. Man konnte ja sehen, was sie davon gehabt hatte ... Nun war sie vermutlich tot und irgendwo verscharrt, wahrscheinlich in demselben Wald, in den diese Provinzratten mich nun locken wollten. Vielleicht wollten sie mich auf die gleiche Weise verschwinden lassen wie meine Schwester!

      Ich öffnete die Tür nicht, sondern lehnte mich schwer dagegen. „Was mach ich nur, was mach ich nur?“, fragte ich mich immer wieder und musterte die Maserung des Holzes vor mir. Das beinahe schwarze Astloch erinnerte mich verschwommen an einen Traum ... einen Raben ... „Das ist nur passiert, weil du dich auf Vorurteile verlassen hast“, hallte es in meinem Kopf wider.

      Und ich verstand endlich den Rat meiner Schwester. „Lass dich darauf ein, denn das Schlimmste, das passieren kann, ist, dass du selbst zu Schaden kommst. Doch das ist nicht so wichtig. Wenn du allerdings fernbleibst, um dich selbst zu schonen, weißt du nicht, wer sonst darunter leiden könnte.“

      Seufzend setzte ich mich aufs Bett. Vetana hatte auf ebendiese Weise gelebt. Sämtlichen Schmerz in sich hineingesogen, um als Puffer zu dienen. Doch an ihr selbst war nie etwas hängen geblieben, es hatte ihr überhaupt nichts ausgemacht, weil sie wusste, dass sie anderen damit half.

      „Aber ich kann das nicht!“, klagte ich im Stillen, obwohl ich wusste, dass ich keine andere Wahl hatte. Wenn ich mich nicht sofort ablenkte, würde ich in Tränen ausbrechen, also dachte ich über Musik nach, darüber, was ich über Mendelssohn-Bartholdy gelesen hatte. Ich fragte mich, warum er so besonders war, dass er in einem Ritual von ... irgendetwas eine solche Rolle spielte. Sein Leben war nicht sonderlich aufregend gewesen. Er war an mehreren Schlaganfällen gestorben. Wirklich nichts Besonderes. Aber wieso war er dann so wichtig?

      Ich hatte auch in den Sommernachtstraum reingehört und es hatte mir ziemlich gut gefallen. Was Musik betraf, so war ich multifunktional, wenn man das so sagen konnte. Ich mochte eigentlich alles, konnte sowohl Rap als auch Klassik hören. Aber diese Melodie machte auf mich ebenfalls keinen besonderen Eindruck. Wieso war sie es?

      Ich wusste keine Antwort darauf, verstand immer noch nicht wirklich, was das Ganze sollte. Was wäre, wenn diese Toúta eine menschenfressende Bakteriensorte war? Oder Rieseninsekten?

      Ein Schauer kroch über meinen Rücken. Wenn ich etwas hasste, dann waren es Insekten. Wie sie herumkrabbelten mit ihren gruseligen Körpern, die so künstlich und leblos aussahen. Ich fing unwillkürlich an zu zappeln, als wollte ich etwas vertreiben.

      Schnell wandte ich meine Gedanken einem anderen Thema zu. Hutmoden. Ich wusste überhaupt nicht, wie ich jetzt darauf kam, aber ich überlegte, dass es so viele Hüte gab und doch nie einer wirklich adäquat zu sein schien, entweder war er gerade unbeliebt, man hatte ihn nicht in der richtigen Farbe oder er passte nicht zum Outfit. Etwas war immer falsch. In welchem Bereich des Lebens war das überhaupt anders? Frustriert schüttelte ich den Kopf. Meine Fragen und Gedanken drehten sich im Kreis, ohne einen Sinn zu ergeben.

      Ich wurde erlöst, als die Tür aufsprang und eine schnaufende Ana hereinkam. „Da bist du ja! Tran macht sich total Sorgen und schickt mich durch das ganze verdammte Kaff, um dich zu suchen. Dabei sitzt du hier und machst ... ja, was? Wieso kommst du nicht raus? Ist irgendwas?“ Sie setzte sich neben mich, warf einen Blick in den Rucksack und sah mich anschließend prüfend an. „Es ist wegen heute Abend, oder? Wir kommen auf jeden Fall wieder! Und wenn wir nicht zurückkommen, dann wird es aufgrund einer freien Entscheidung sein. Mach dir keine Sorgen.“

      Erstaunt sah ich sie an. Seit wann war sie so einfühlsam? Seit wann verstand sie mich und war nett zu mir?

      „Ich weiß einfach nicht, ob wir das Richtige machen. Wieso wir hier weggehen. Ich versuche mich die ganze Zeit davon abzuhalten, mich in meinem Bett zu verkriechen und nie wieder herauszukommen. Ich wollte doch einfach nur Urlaub machen!“ Ich schüttelte den Kopf, verdrängte den Gedanken an Pan und wurde dennoch allmählich richtig wütend. So ganz war ich immer noch nicht davon überzeugt, dass dies kein Scherz war. Eigentlich rechnete