Waldlichter. A. V. Frank. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: A. V. Frank
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960741800
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anmachen musst?“

      Ich las weiter, ohne ihr eine Antwort zu geben, aus dem einfachen Grund, weil ich keine wusste. Natürlich brachte sie mich mit ihrem Benehmen ständig auf die Palme, aber ansonsten ignorierte ich solche Gehirnamputierten doch auch. Wieso sie nicht? Ich wusste es nicht. Ich hatte das unbestimmte Gefühl, sie würde irgendwen damit beleidigen, wenn sie sich so benahm, aber das war so unsinnig, dass ich das nicht als Grund nennen konnte. Vielleicht hätte ich sie fragen sollen, was sie da machte, aber jetzt war es wohl zu spät. Also musste ich ertragen, dass sie ganz leise Töne ausstieß, die ich nach kurzer Zeit Tierlauten zuordnete, und konnte nichts dagegen tun.

      Mit einem Mal hörte ich von draußen ganz leise ein Wolfsheulen und starrte besorgt aus dem Fenster. Ich hatte nicht gewusst, dass es hier in der Nähe Wölfe gab. Und dann passierte etwas, was mich noch viel mehr erschreckte. Ana starrte noch immer bewegungslos aus dem Fenster, schien nun mit den Gedanken an einem komplett anderen Ort zu sein und heulte ebenfalls, als ob sie dem Wolf antworten würde.

      Plötzlich erklang ein lautes Heulen ganz in der Nähe und alle Schlafenden schraken auf. Ich war derweil zum Fenster gerannt und hatte nach draußen gestarrt, aber niemand, weder Wolf noch Mensch war zu sehen. Als ich mich zu Ana umdrehte, spielte ein Lächeln um ihre Lippen. Im restlichen Zimmer herrschte Aufruhr, alle rannten und redeten wild durcheinander.

      Da hörten wir jemanden an die Tür klopfen und ich öffnete. Draußen stand Lilly, die mich beruhigend anlächelte. „Ich wollte bloß Bescheid sagen, dass hier kein echter Wolf herumstreunt, es war wohl nur ein Witzbold, der den Wecker spielen wollte.“

      „Das hat auf alle Fälle geklappt“, sagte ich noch, bevor Lilly mir den Rücken zuwandte und zum nächsten Haus eilte. Ich schloss die Tür und rief dann den anderen zu: „War nur ein Scherz, kein Wolf hier!“

      Da hörte ich erleichtertes Aufseufzen und setzte mich wieder auf die kleine Couch, die im Vorraum stand. Dort wartete ich, bis meine Mitbewohnerinnen kamen, nun endlich vollständig wach, und wir gingen gemeinsam nach draußen. Caroline und Marina gingen zu Haus eins und riefen Eric und Philipp heraus. Dann bewegten wir uns zum Ortskern, um Tran und Kath abzuholen, doch die beiden kamen uns schon atemlos auf halbem Wege entgegen.

      Kath fragte sogleich: „Ist alles in Ordnung, ist der Wolf wieder weg? War es überhaupt ein Wolf? Wir haben nur das Heulen gehört und sind gleich hergekommen.“

      Philipp lachte, trat nach vorne und nahm sie in den Arm. „Keine Sorge, es war kein echter Wolf und es gibt bloß einen Toten.“

      Wir brachen in Gelächter aus, als Kath ihn mit großen Augen ansah. Caro klärte Tran gerade flüsternd über die Wahrheit auf, doch Kath fragte jetzt in so ernstem Ton, dass uns beinahe die Lachtränen kamen: „Was? Wer ist tot? Und wieso ist das zum Lachen?“

      Da hielt es Melissa anscheinend nicht mehr aus und rief: „Der verarscht dich doch nur, kein Wolf, keine Toten, so sieht’s aus.“

      Zuerst schien sie ihr nicht zu glauben, aber dann begann sie, Philipp auf den Arm und auf die Brust zu schlagen und zu lachen. Er entfernte sich grinsend aus der Reichweite ihrer Arme und entschuldigte sich bei ihr.

      Als wir alle uns beruhigt hatten, überlegten wir, was wir mit dem Tag anfangen sollten. Es war ziemlich sonnig und mit knapper Mehrheit beschlossen wir, in den Wald zu gehen und dort nach etwas Bewegung zu picknicken.

      Eine Stunde später befanden wir uns unter den Kronen unzähliger Bäume. Tran führte uns, zeigte uns ihre Lieblingsstellen, erzählte uns ein paar Geschichten, die nur noch für Ana und mich wirklich interessant waren. Wenn den anderen dabei langweilig wurde, griff Kath ein und erzählte ein paar Witze. Laut schwatzend und lachend liefen wir also durch den Wald, trampelten ohne Nachsicht über Blumen und Pflanzen. Und wieder einmal verfolgten uns unbemerkt Schemen in den Bäumen.

      Als die Sonne im Zenit stand, suchten wir uns einen schönen Platz zum Picknicken und wurden auch bald fündig. Wir waren immer weiter nach Norden und damit auf die Berge zugegangen. Tran hatte zwar darauf bestanden, dass wir wieder umkehrten und uns sonst irgendwo hinsetzen sollten, aber Kath hatte ihren Protest einfach abgetan und ziemlich bald eine kleine Lichtung gefunden, die perfekt zum Picknicken war. Mir jedoch fiel auf, dass sich Tran unbehaglich umsah und des Öfteren auf eine bestimmte Stelle am Waldrand starrte. Sie blieb die folgende Stunde, die wir dort verbrachten, angespannt und schien ernsthaft wütend auf Katherina zu sein. Aber auch ich fühlte mich nicht sonderlich wohl auf dieser Lichtung. Sie schien viel zu perfekt und friedlich zu sein. Normalerweise hatte ich nichts gegen Frieden, aber dieser Ort war mir einfach nicht geheuer.

      Noch etwas anderes fiel mir auf, als wir hier zusammensaßen, nicht nur die zunehmende Spannung zwischen Kath und Tran, sondern auch der eindeutige Vertrauensverlust zwischen Eric und Tran. Und auch Melissa und Lisa hatten schon einmal glücklicher ausgesehen, dabei kannte ich sie noch keine ganze Woche. Caro und Marina schienen immer noch die Alten zu sein, also setzte ich mich zu ihnen und nahm an ihrer Unterhaltung teil. Bis mit einem Mal mein Handy klingelte. Fassungslos starrte ich auf das Display. Das waren doch wirklich meine Eltern!

      Ich murmelte leise: „Sorry, aber da muss ich drangehen“, und verschwand im Wald, um ungestört zu sein. Dann nahm ich ab und sagte: „Mum? Dad? Was gibt’s, es ist echt nicht passend!“

      Gedämpft hörte ich die Stimme meiner Mutter aus dem Hörer. „Hallo Victoria. Ich freue mich auch riesig, mal wieder etwas von dir zu hören, und ja, mir geht es gut, danke der Nachfrage! Was es gibt? Ich mache mir Sorgen um meine Tochter und wollte mal mit ihr sprechen. Hast du denn nun nicht mal mehr Zeit für deine Eltern? Wo du schon den armen John abserviert hast, kaum dass du in Irland warst. Ich wusste von Anfang an, dass dieses verfluchte Land dir nicht guttut.“

      Beinahe wäre mir das Handy aus der Hand gefallen, so geschockt war ich über den armen John. Meine Eltern hatten beide von Anfang an gesagt, dass sie nicht mit unserer Beziehung einverstanden wären. Wieso hatte sich das jetzt, wo es keine Beziehung mehr gab, geändert? Außerdem hatte ich gute Gründe für diesen Schritt gehabt, man erinnere sich bloß an diese eindeutig weibliche Stimme aus dem Hintergrund.

      „Wieso steht ihr jetzt hinter John? Hat er euch erzählt, dass er eine Neue hat? Und natürlich habe ich Zeit für euch, nur eben nicht jetzt.“

      „John hat keine Neue, es war eine Freundin, die ihn nur besucht hat, und dann bist du gleich verrückt geworden und hast das als Vorwand benutzt, um mit ihm Schluss zu machen. Das ist die Geschichte, wie John sie mir erzählt hat, und wir hatten noch nie etwas gegen ihn. Er war komplett fertig, der Arme. Ich wusste nicht, dass du so kalt und ungerecht sein kannst. Außerdem müssen wir nicht lange miteinander reden, deine Freizeit wird schon nicht unter diesem Gespräch leiden.“

      Nun wurde ich richtig sauer und antwortete mit bissiger Stimme: „Stimmt, meine Freiheit nicht, aber meine Laune! Und dass ihr nichts gegen meinen Ex habt, habe ich gerade zum ersten Mal gehört.“

      „Das haben wir doch immer betont, dass wir froh über eure Beziehung sind. Und wir standen ihr auch nie im Wege. Du behauptest ständig Sachen, die uns so böse dastehen lassen. Du hast dich so verändert!“

      Fassungslos lauschte ich den Worten meiner Mutter. War das ihr Ernst? Ich erinnerte mich nur zu gut daran, dass sie mir und meiner Beziehung immer im Weg gestanden hatten, egal, ob es um einen Aufenthalt bei dem anderen, einen Kinobesuch oder Ähnliches ging. Wie konnte sie nur die zahlreichen Streitereien, die Johns wegen geführt worden waren, so einfach verleugnen?

      „Weißt du was? Hör mit dem Drogenkonsum auf, was auch immer du dir spritzt, und such dir ein anderes Objekt, das du kontrollieren kannst. Wir reden miteinander, wenn ich zurückkomme. Falls ich zurückkomme.“ Stinksauer legte ich einfach auf und schaltete das blöde Teil aus. Seit ich hier war, hatte es mir nur schlechte Neuigkeiten überbracht.

      Dann ging ich betont fröhlich zu den anderen zurück, antwortete nicht auf ihre Fragen und fand mich in einem angeregten Gespräch mit Kath über Bücher wieder. Doch dieses wurde jäh unterbrochen, als Marina laut aufschrie und zurückstolperte. Sie war an den Waldrand gegangen, um sich mal etwas umzuschauen, und war nun kalkweiß