Waldlichter. A. V. Frank. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: A. V. Frank
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960741800
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wir uns an einer Spiegelscherbe geschnitten haben, die beiden Flüssigkeiten werden in dem beschriebenen Blatt zusammengemischt und dann ... was passiert dann? Ansonsten wissen wir nur, dass es in einer Sommernacht und bei Vollmond passieren muss.“

      „Zur Blutenden weiß ich noch etwas. Wir haben hier im Wald eine riesige Blutbuche, und zwar nur eine einzige. Dieser Baum ist ziemlich selten, also könnte es doch sein, dass es ein Blatt von dieser Buche sein muss“, erläuterte uns Tran.

      Ich nickte zustimmend, als ich bemerkte, dass Ana krampfhaft etwas aufschrieb. Schließlich drehte sie den Zettel so herum, dass wir sehen konnten, was darauf stand.

      Seid leise, es schleicht jemand um den Wohnwagen herum und scheint genau zuzuhören! Er hat eine schwarze Kapuze über dem Kopf und hat vorhin durch das Fenster gestarrt.

      Wir sahen uns erschrocken an, nicht nur wegen Anas Nachricht, sondern auch, weil es soeben unvermittelt an der Tür geklopft hatte. Mit zitternder Stimme sagte Tran: „Herein“, während ich die Rätsel vom Tisch nahm und schnell in meine Tasche stopfte.

      Die Tür schob sich langsam auf und eine verhüllte Gestalt erschien im Eingang. Wir sogen erschrocken die Luft ein und wichen ein Stück zurück. Der Eindringling war ziemlich groß, in einen bodenlangen schwarzen Umhang gehüllt und hatte die schwarze Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Er erinnerte mich irgendwie an eine Darstellung des Todes.

      „Wer sind Sie? Was wollen Sie von uns?“, fragte Ana angriffslustig, aber ich hörte den verunsicherten Unterton in ihrer Stimme.

      Der Fremde verriegelte die Tür hinter sich und kam dann an den Tisch. Er zog sich den letzten Stuhl heran und setzte sich zu uns. Wir rückten ein Stück von ihm ab. Noch immer konnte ich kein Gesicht unter der Kapuze erkennen, obwohl ich ihm gegenübersaß und seinen Blick auf mir ruhen spürte. Dann begann er zu sprechen, seine angenehm tiefe Stimme drang in mich ein und beruhigte mich. Ich schielte zu den anderen und sah, dass auch sie sich unter seinen Worten entspannten.

      „Ich bin bestrebt, euch zu helfen. Ihr habt das Rätsel teilweise gelöst, braucht momentan jedoch noch nicht mehr zu wissen, ihr könnt erst übermorgen tun, was in den Texten beschrieben wird. Dann ist zwar kein Vollmond mehr, denn der zeigt sich heute Nacht am Himmel, aber diejenigen, die dem Regenbogen entsagt haben, ziehen nun durch den Wald und würden euch töten. Ihr müsst unbedingt warten, vertraut mir.“

      Ich sah ihn scharf an, mein Misstrauen kehrte zurück, und fragte: „Wie können wir Ihnen vertrauen, wenn wir nicht einmal wissen, wer Sie sind und aus welchem Grund Sie uns helfen wollen?“ Ich wusste nicht, ob ich es mir nur einbildete, aber ich glaubte, ihn leise lachen zu hören. Es war ein angenehmes, ruhiges Geräusch.

      „Ich kann euch keine Antwort auf eure Fragen geben, es tut mir wirklich leid. Ihr müsst mir wohl oder übel, auch wenn es euch nicht gefällt, einen kleinen Vertrauensvorschuss gewähren. Aber was ich euch noch sagen sollte, bevor ich wieder gehen muss: Erzählt nie jemandem etwas von den Rätseln, von mir oder davon, wo ihr hingeht, verstanden? Es steht viel mehr auf dem Spiel, als ihr euch vorstellen könnt.“

      Da sagte Tran mit frostiger Stimme: „Glauben Sie mir, wir wissen, was auf dem Spiel steht, dafür haben unsere Träume schon gesorgt.“

      Er neigte den Kopf in ihre Richtung, sagte aber nichts mehr, sondern stand bloß stumm auf und ging zur Tür. Bevor er in die einbrechende Nacht davonhuschte, ermahnte er uns noch einmal: „Denkt daran, niemals jemandem auch nur ein einziges Wort zu sagen!“ Dann war er verschwunden und ließ uns restlos verwirrt zurück.

      *

      Kapitel 8

      Nachdem der Fremde verschwunden war, blieben wir noch eine Weile regungslos sitzen, nicht in der Lage, uns zu rühren. Schließlich brachte ich heraus: „Hattet ihr gerade dieselbe Wahnvorstellung wie ich?“

      „Ich auf jeden Fall“, ließ sich Lysana vernehmen, die auf ihrem Stuhl zusammengesunken war.

      „Ja, ich habe dasselbe gesehen wie ihr, aber ob es sich dabei um eine Illusion handelte? Mich interessiert vor allem, ob wir ihm vertrauen können. Was meint ihr? Können wir?“ Ich war erstaunt, wie normal sich Tran anhörte, schließlich hatten wir gerade eine Begegnung mit einem ‒ tja, einem was eigentlich? ‒ hinter uns.

      „Ich vertraue ihm. Ich weiß wirklich nicht wieso, aber ich komme nicht dagegen an, ihm einfach zu glauben. Also haben wir noch zwei Tage, bevor wir die Anweisungen des Rätsels befolgen können. Auch wenn ich nicht weiß, was uns das bringen soll“, erklärte ich. Natürlich war mir klar, dass der Fremde keine Wahnvorstellung gewesen war, aber ich wünschte es mir, denn ich hatte das ungute Gefühl, dass er uns einen Abschied prophezeit hatte.

      Leise murmelte auch Ana etwas Zustimmendes, und so war es beschlossen. Wir würden dem Fremden glauben und nicht an Vollmond, wie es eigentlich vorgesehen war, sondern zwei Tage später in den Wald gehen, um dort ein Ritual zu vollziehen, von dem wir nicht wussten, was es bringen sollte.

      Da fragte Tran etwas, das meine Befürchtungen zusammenfasste: „Machen wir das Richtige? Und was, wenn nicht? Was bringt uns das überhaupt?“

      „Natürlich machen wir das Richtige! Und ich nehme an, dieses Ritual, oder was es ist, wird uns zeigen, wie wir die Toúta finden und retten können.“ Diese überhebliche Antwort kam von Ana und ich wusste noch nicht, ob ich ihr zustimmen konnte. „Na gut. Ich finde, wir sollten unsere Tage bis dahin sinnvoll nutzen. Also gehe ich jetzt in den Pub und genieße das Leben.“ Ana stand auf und rauschte zur Tür hinaus. Jedoch kam sie noch einmal kurz zurück und meinte zu uns: „Ach, übrigens, ich weiß selbst nicht, wie ich den Wolf heute Mittag vertrieben habe.“ Erneut drehte sie sich um und war in der Nacht verschwunden.

      „Sie hat dasselbe gesehen wie wir, würde ich sagen“, stellte ich leicht sarkastisch fest und fügte hinzu: „Seltsam, dass ich das sagen muss, aber ich denke, sie hat recht. Also gehe ich auch in den Pub, vielleicht spielen sie dort ja gute Musik.“ Nach diesen Worten trat ich in die Dunkelheit, während ich Trans Blick in meinem Rücken spürte. Es war derart beklemmend im Wohnwagen gewesen, seit dieser Fremde verschwunden war, dass ich sehr erleichtert war, ihm entronnen zu sein. Nun atmete ich tief durch und schlenderte zurück zur Stadt. Vielleicht sollte ich wirklich in den Pub gehen, aber nach dem gestrigen Abend fühlte ich mich dort nicht mehr sonderlich wohl.

      Als ich meine Gedanken schweifen ließ, trat etwas in den Vordergrund, das mich den gesamten Tag gedrängt hatte, es zu beachten. Dieser Morgen, an dem Ana so seltsam dagesessen und nach draußen gestarrt hatte, hatte mich an etwas erinnert, aber nun endlich konnte ich jenes Etwas benennen. Ich hatte geträumt, es war zwar derselbe Albtraum wie immer gewesen, aber dieses Mal hatte ich keine Stimme gehört und auch keinen Baum gefunden.

      Stattdessen stand ich auf einmal an einer Klippe und dort, die Haare vom Wind verweht, saß meine Schwester, die auf die See hinausstarrte. Plötzlich schien sie eine Stimme zu hören und stand auf. Sie trug ein bodenlanges Leinenkleid, das im Mondschein dunkel wirkte, doch ich wusste, dass es sonnenblumengelb war. Das war immer ihre Lieblingsfarbe gewesen. Aus dem Wald, der hinter mir begann, trat eine männliche Gestalt und die beiden sprachen in einer mir unverständlichen Sprache miteinander. Obwohl ich sie nicht verstand, erschloss sich mir der Sinn der Worte. Er habe nach ihr gerufen, sie gesucht, woraufhin sie erklärte, sie habe nachdenken müssen und wäre deshalb hergekommen. Er forderte sie auf, die richtige Entscheidung zu treffen, es klang hart. Ich beobachtete, wie sie erst nach unten schaute und dann direkt in seine Augen. Sie meinte, sie habe die richtige Entscheidung getroffen, auch wenn es ihren Tod bedeutete. Ich sah, wie er auf sie zutrat und sie in seine Arme schloss.

      Sie lehnte sich an ihn und flüsterte auf Englisch: „Ich weiß, du wirst für sie da sein, sollte sie jemals kommen. Hilf ihr, rette sie, aber erzähle ihr nichts von mir.“

      Er antwortete ebenfalls auf Englisch und seine Stimme war verzerrt von Trauer: „Das war nicht die richtige Entscheidung, die ich meinte. Du wirfst dein Leben hin für einen Frieden, der nicht halten wird. Und du lässt mich allein, kurz nachdem ich dich endlich gefunden habe. Aber du