• Pausen einlegen mit aktiver körperlicher Betätigung
• Fehlverhalten unterbrechen und korrigieren
• Gewünschtes Verhalten immer wieder üben und sich einprägen
Diese Schritte sind für jeden machbar, vorausgesetzt er will und hat sich noch nicht aufgegeben. Seine AD(H)S-Problematik zum Positiven verändern kann man in jedem Alter. Aber, je älter man wird, umso schwerer kann man die schon eingeschliffenen und automatisierten Gewohnheiten ändern, und desto schwieriger und langwieriger ist die Behandlung. Bei ausgeprägter Symptomatik ist eine Langzeittherapie mit Zugabe von Methylphenidat meist unumgänglich. Sie dauert immer über mehrere Jahre, manchmal auch Jahrzehnte. Je später der Behandlungsbeginn ist, umso mehr AD(H)S-bedingte Komorbiditäten, wie depressive Verstimmungen, Angst- und Zwangsstörungen, Selbstwertkrisen und Burnout, können die Behandlung zusätzlich erschweren.
Aber Menschen mit einem ADHS (also der hyperaktiven Form des ADS) haben viel Power, sie sind »Stehaufmännchen«, was ihre Behandlung erleichtert. Menschen mit einem ADS ohne Hyperaktivität sind viel schwieriger zu behandeln, sie sind schwerer zu motivieren und geben schneller auf. Sie neigen zum Rückzug mit Selbstwertkrisen und kurzen depressiven »Abstürzen«.
Wenn Sie als AD(H)S-Betroffene(r) den festen Willen haben, sich zu ändern, einen guten Therapeuten und einen guten Coach gefunden haben, dann ist vieles möglich.
Unser Gehirn ist in der Lage, lebenslang zu lernen, indem es seine Nervenbahnen umbaut, was mit zunehmendem Alter jedoch leider deutlich langsamer erfolgt und viel mehr Zeit und Anstrengung erfordert. Durch wiederholtes Einüben von Handlungsabläufen und ständiges Wiederholen von Lerninhalten kann auch ein AD(H)S’ler seine Verhaltensweisen und seine kognitiven Leistungen verbessern, vorausgesetzt, sein Gehirn ist noch umbaufähig, d. h. es dürfen keine hirnorganischen Erkrankungen wie Alzheimer, Demenz oder schwere psychiatrische Erkrankungen vorliegen. Noch so gute Medikamente als alleinige Therapie bringen auf Dauer wenig, wenn die Lernbahnen nicht durch ständiges Üben trainiert werden. Ihnen geht es dann ähnlich wie Muskeln, die sich durch Training verstärken, aber in langen Ruhezeiten schrumpfen. Auch störendes Verhalten kann mittels Training durch gewünschte Verhaltensweisen ersetzt werden. Je häufiger trainiert wird, umso besser automatisiert sich das gewünschte Verhalten, ähnlich dem Lernen eines Musikinstrumentes oder des Autofahrens.
2.5 Verhaltenstherapeutische Strategien zur Selbsthilfe
Der Verhaltenstherapie entlehnte Strategien zur Selbsthilfe kann jeder Betroffene auch ohne einen Therapeuten erfolgreich für sich anwenden. Es empfiehlt sich dabei folgende Vorgehensweise:
• Zu Beginn das störende Fehlverhalten mit dem Ziel beschreiben, es durch ein anderes und entsprechend gewünschtes Verhalten zu ersetzen
• Sich motivieren, Mut machen, an den Erfolg glauben und die dadurch bedingten und erwarteten Vorteile als Ziele formulieren
• Gewünschte Verhaltensweisen sich bildlich vorstellen, sein gutes visuelles Gedächtnis unterstützend einsetzen
• Beim Erreichen von Teilzielen sich loben und belohnen, das setzt Botenstoffe frei, die motivieren zum Weitermachen
• Eltern, Freunde oder Autoritätspersonen (Lehrer, Vorgesetzte) einbeziehen zur Unterstützung beim Lösen der sich selbst gestellten oder sozial erforderlichen Verhaltensänderung
• Mut haben, eigene Entscheidungen zu treffen, sich abgrenzen und nicht bevormunden lassen, »Nein« sagen lernen
• Wenn nötig, sich wehren und nicht einfach unterordnen
• Soziale Reize und Signale lernen, richtig zu deuten
• Die eigene soziale Wahrnehmung realitätsgerecht überprüfen und hinterfragen
• Selbstzweifel vermeiden, keine negativen Gedanken und Selbstabwertungen zulassen
• Blockierende Ängste mit Hilfe positiver Aktivitäten unterbrechen
• Immer wieder mit Selbstinstruktionen arbeiten
• Erfolge genießen und erhaltene Anerkennung registrieren
• Die eigenen Grenzen kennen und akzeptieren
Beispiele für Selbstinstruktionen, die jeder individuell für sich formulieren und nacheinander abarbeiten sollte:
• Ich muss mich jetzt konzentrieren
• Ich nehme mir Zeit, arbeite gründlich und trödele nicht
• Ich bleibe ganz ruhig, atme langsam und tief
• Ich höre und sehe genau hin
• Ich bin freundlich und lasse mich auf eine gemeinsame Tätigkeit ein
• Was ich begonnen habe, beende ich, bevor ich etwas Neues beginne
• Wenn etwas nicht gleich gelingt, bleibe ich ganz ruhig
• Ich denke gründlich nach, bevor ich reagiere
• Nicht ärgern, sondern es besser machen
• Wenn mich etwas stört, denke ich erst nach, bevor ich losschimpfe
• Ich verteidige meinen Standpunkt, aber angemessen
Solche Vorsätze sind ein wichtiger Bestandteil jedes multimodalen Therapieprogramms für AD(H)S. Bei schwerer AD(H)S-Problematik gilt es, möglichst schnell und vielschichtig zu behandeln, ehe die Betroffenen resignieren, d. h. auch mit Einsatz von Medikamenten. Hier sind Eltern und professionelle Therapeuten gefragt und als wichtiges Bindeglied zwischen beiden können die Selbsthilfegruppen fungieren.
2.6 Die große Bedeutung der Selbsthilfegruppen für AD(H)S-Betroffene
Die Selbsthilfegruppen sind für alle, die sich mit AD(H)S beschäftigen, von großer Bedeutung. Es sind häufig die Betroffenen, die durch eigene Erfahrungen besser überzeugen als tatsächliche oder zuweilen auch nur vermeintliche Experten mit theoretischen Abhandlungen und Zitieren von Studienergebnissen. Die erfahrenen Mitglieder der Selbsthilfegruppen sind eine große Hilfe für alle, die sich im Meer der verschiedenen Meinungen über AD(H)S und seiner Behandlung zurechtfinden wollen und müssen. Sie kennen Therapeuten und wissen, was, wer und wie am besten ihnen oder ihren Kindern half. Das Engagement dieser freiwilligen Helfer ist immens, ihre Bedeutung kann nicht hoch genug geschätzt werden.
Der Umfang der Arbeit der Selbsthilfegruppen wurde sehr treffend vom Bundesverband der Betriebskrankenkassen schon im Jahre 2003 in »Fördern und Fordern« vom Wort her wie folgt abgeleitet:
• Suchen und finden
• Einsamkeit überwinden
• Lebenssituation verbessern
• Beziehungen aufbauen und vertiefen
• Schwierigkeiten zusammen meistern
• Teilnehmen und verstehen
• Handeln in eigener Sache
• Informationen geben
• Lösungen entwickeln und entdecken
• Fördern und fordern
• Erkenntnisse weitergeben
• Gleichberechtigt miteinander umgehen
• Regelmäßige Treffen
• Unterstützen und beraten
• Probleme selbst in den Griff bekommen
• Persönlichkeit stärken
• Erfahrungen austauschen
• Neue Kontakte und Kooperationspartner finden