Pflegerisches Entlassungsmanagement im Krankenhaus. Klaus Wingenfeld. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Klaus Wingenfeld
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Медицина
Год издания: 0
isbn: 9783170362468
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zuletzt aktualisierten Fassung des Standards zum Teil durch Formulierungsschwächen, zum Teil durch angedeutete, aber nicht konkretisierte Hinweise in Detailfragen entstanden sind. Mitunter werden Begriffe nicht korrekt benutzt. »Transition« beispielsweise ist ein wichtiger Begriff aus Pflegetheorien und der sozialwissenschaftlichen Forschung, der weitreichende Veränderungen im Lebensverlauf bezeichnet (Meleis 2010, Wingenfeld 2005). Im aktualisierten Standard wird jedoch jeder Patiententransfer, z. B. die Verlegung zwischen zwei Krankenhausstationen, fälschlicherweise als Transition bezeichnet (DNQP 2019: 22). Krankenhausentlassung und interne Verlegung werden, wenn es um die Beschreibung von Schritten des Entlassungsmanagements geht, häufig in einem Atemzug genannt. Aber natürlich kann nicht gemeint sein, dass bei jeder internen Verlegung der komplette Prozess des Entlassungsmanagements vollzogen werden sollte, was zur unsinnigen Dopplung von Prozessen führen würde. Leider erweckt der Text gelegentlich diesen Anschein. Manche Probleme sind offenkundig auch bei der redaktionellen Bearbeitung übersehen worden.

      Den Einrichtungen und Mitarbeitern, die mit dem Standard arbeiten wollen, sei empfohlen, sich durch diese Probleme nicht irritieren zu lassen und sich an die Kernaussagen des Standards zu halten. Aufgrund der Unschärfen bei den Formulierungen ist es aber im Falle dieser zweiten Aktualisierung besonders ratsam, den Text des Standards kritisch zu prüfen.

      Pflegerisches Entlassungsmanagement beruht auf mehreren Handlungsgrundsätzen, die für die Konzeptentwicklung, aber auch für den Arbeitsalltag sehr wichtig sind (image Kasten 1.2). Sie gelten in der internationalen Diskussion als wesentliche Kennzeichen eines professionellen Entlassungsmanagements. Die Einhaltung dieser Grundsätze ist eine wichtige Voraussetzung, nachhaltige Wirkungen zu erzielen.

      1. Patientenorientierung

      2. Einbeziehung der Angehörigen

      3. Multidisziplinarität

      4. Entlassungsmanagement als pflegerische Aufgabe

      5. Ziel ist die Reduzierung des Risikos poststationärer Probleme

      6. Entlassungsmanagement beginnt mit der Aufnahme des Patienten

      7. Entlassungsmanagement verläuft wie der Pflegeprozess

      8. Überbrückung von Versorgungsbereichen

      Patientenorientierung

      Aufgrund vieler negativer Erfahrungen von Patienten und Angehörigen wird der Grundsatz der Patientenorientierung in der internationalen Diskussion um das Entlassungsmanagement stark betont. Denn im Arbeitsalltag ist es nicht unbedingt selbstverständlich, die Belange der Patienten an die erste Stelle zu setzen. Der Druck, einen möglichst reibungslosen Betriebsablauf zu gewährleisten und Kosten zu minimieren, ist in vielen Krankenhäusern sehr stark und legt manchmal andere Prioritätensetzungen nahe.

      Der Grundsatz der Patientenorientierung spricht u. a. drei Aspekte des Entlassungsmanagements an:

      • Berücksichtigung des Lebensalltags: Pflegerisches Entlassungsmanagement ist in erster Linie Unterstützung des Patienten. Das erfordert, die Lebenssituation des Patienten und seiner Angehörigen umfassend einzuschätzen und auch der Frage nachzugehen, welche Probleme im Lebensalltag auftreten könnten und wie sie sich verhindern oder lösen lassen. Es geht also nicht allein um die Sicherstellung der Anschlussversorgung.

      • Patientenperspektive beachten: Die Problemsicht und die Prioritätensetzungen von Patienten und Pflegenden, Ärzten oder anderen Mitarbeitern ist häufig nicht identisch. Dies sollte immer wieder bewusst gemacht werden, um zu vermeiden, am Patienten vorbei zu arbeiten. Die Art und Weise der Weiterversorgung beispielsweise, die aus fachlicher Sicht nach der Entlassung einsetzen sollte, kann den Vorstellungen des Patienten und der Angehörigen widersprechen. Patienten geben auch nicht immer zu erkennen, was sie beschäftigt, weil sie meinen, das Krankenhaus sei für ihre »privaten« Probleme nicht zuständig. Zeit für Gespräche und Sensibilität sind erforderlich, um die Situation des Patienten, so wie er sie sieht, und die aus seiner Sicht vordringlichen Aufgaben zu erkennen.

      • Selbstbestimmung: Patienten (und Angehörige) entscheiden in allen wesentlichen Fragen. Die für das Entlassungsmanagement zuständigen Mitarbeiter müssen die hierzu erforderlichen Voraussetzungen schaffen, vor allem für Transparenz sorgen und die Patienten und Angehörigen in alle Schritte des Entlassungsmanagements einbeziehen. Das schließt auch den Entlassungstermin ein. Die zeitliche Planung der Entlassung sollte nicht ohne Absprache mit ihnen erfolgen. Situationen, in denen Patienten und Angehörige erst am Tag zuvor oder sogar erst am gleichen Tag von ihrer Entlassung erfahren, müssen soweit wie möglich vermieden werden.

      Einbeziehung der Angehörigen

      Die Angehörigen verdienen bei der Vorbereitung der Entlassung mindestens ebenso viel Aufmerksamkeit wie der Patient selbst (Shyu 2000). In vielen Fällen sind sie sogar mehr als der Patient diejenigen Personen, mit denen Einzelheiten besprochen und Festlegungen für später abgestimmt werden. Dazu kommt es vor allem dann, wenn der Patient aufgrund seiner Erkrankung oder therapiebedingter Belastungen gar nicht in der Lage ist, sich mit der Frage »Was kommt nach der Entlassung?« auseinanderzusetzen.

      Beim Entlassungsmanagement kommt den Angehörigen eine Doppelrolle zu. Sie sind erstens Kooperationspartner, mit denen viele Einzelheiten der Entlassungsplanung und der Versorgung nach dem Krankenhausaufenthalt besprochen werden, ebenso viele Entscheidungen, die noch während des Krankenhausaufenthalts getroffen werden müssen. Sie sind zweitens aber auch Adressaten von Hilfen durch das Entlassungsmanagement, weil sie möglicherweise Versorgungsverantwortung in der poststationären Phase übernehmen und zur Vorbereitung auf diese Situation Unterstützung benötigen. Deshalb sollte sich das Assessment auch auf die Situation der Angehörigen beziehen.

      Multidisziplinarität

      In der internationalen Diskussion herrscht Einigkeit darüber, dass das Entlassungsmanagement eine multidisziplinäre Aufgabe darstellt. Das bedeutet, dass alle Berufsgruppen im Krankenhaus, die an der Versorgung des Patienten beteiligt sind, einen Teil der Verantwortung für die fachgerechte Überleitung tragen. Dazu zählt

      • bei den Pflegenden: z. B. die Einschätzung des Bedarfs an pflegerischen Maßnahmen in der Zeit nach der Entlassung und die Übermittlung pflegebezogener Informationen an Personen oder Einrichtungen, die an der poststationären Versorgung beteiligt sind.

      • bei den Ärzten: z. B. die Aufklärung des Patienten über die Erkrankung und Krankheitssymptome, die möglicherweise erst nach der Entlassung auftreten, oder die Übermittlung medizinisch relevanter Informationen an die niedergelassenen Ärzte.

      • bei den sozialen Berufen: z. B. die Einschätzung etwaiger Probleme bei der Sicherung der materiellen Lebensgrundlagen oder der Fortführung der Berufstätigkeit.

      • bei den therapeutischen Berufen: z. B. die Dokumentation der Maßnahmen, die während des Krankenhausaufenthalts begonnen wurden, aber danach fortgesetzt werden müssen, um den gewünschten Erfolg zu erreichen.

      Jede Berufsgruppe sollte also in ihrem Tätigkeitsbereich überprüfen, welche Unterstützung der Patient benötigt und welche Personen und Einrichtungen, die nach der Entlassung die Versorgung übernehmen, auf Informationen aus dem Krankenhaus angewiesen sind. Hierbei können sich die Berufsgruppen größtenteils nicht vertreten. Die Pflege kann beispielsweise nicht anstelle des Arztes den Arztbrief aufsetzen. Differenzierte Hinweise auf eine Weiterführung einer im Krankenhaus begonnenen logopädischen Behandlung sollten von jenem Therapeuten formuliert werden, der den Patienten behandelt hat.

      Entlassungsmanagement als pflegerische Aufgabe