Pflegerisches Entlassungsmanagement im Krankenhaus. Klaus Wingenfeld. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Klaus Wingenfeld
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Медицина
Год издания: 0
isbn: 9783170362468
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      Das Entlassungsmanagement soll einen Beitrag dazu leisten, diese unerwünschten Entwicklungen soweit wie möglich zu vermeiden. Das Mittel dazu ist die zielgerichtete Unterstützung des Patienten und ggf. seiner Angehörigen bei der Vorbereitung auf die Anforderungen und Probleme, die nach der Krankenhausentlassung anstehen. Ein Patient, der ein erhöhtes Risiko für poststationäre Probleme aufweist, sollte bei der Entlassung alle Kenntnisse und Fertigkeiten besitzen, die er zur Bewältigung der Situation nach der Entlassung benötigt. Ist er selbst damit überfordert, unterstützt ihn das Entlassungsmanagement darin, Hilfe zu mobilisieren und alle Vorbereitungen zu treffen, um eine bedarfs- und bedürfnisgerechte Lebens- und Versorgungssituation nach der Entlassung sicherzustellen.

      Bis zu diesem Zeitpunkt gab es viele Einzelinitiativen, die sehr unterschiedliche Konzepte und Aufgabenschwerpunkte aufwiesen. Der nationale Expertenstandard schreibt zwar kein bestimmtes Konzept vor, er definiert aber eine Reihe von Kernaufgaben und Bausteinen des Entlassungsmanagements, durch die sich eine gewisse Vereinheitlichung und eine Grundlage für die professionelle Weiterentwicklung dieses Arbeitsfeldes ergaben. Denn die Bestandteile, die der Standard vorgibt, gelten international als Kennzeichen eines professionellen pflegerischen Entlassungsmanagements.

      Es handelte sich um den zweiten nationalen Expertenstandard, der im Rahmen der Aktivitäten des »Deutschen Netzwerks für Qualitätsentwicklung in der Pflege« (DNQP) entwickelt wurde. Der erste Standard griff mit der Dekubitusprophylaxe ein völlig anderes Thema auf. Es folgten weitere Standards zur Sturzprophylaxe, zum pflegerischen Schmerzmanagement, zur Förderung der Harnkontinenz, zum Ernährungsmanagement und zum Thema Wundmanagement.

      Die Expertenstandards galten zunächst als professionelle Vorgaben für das Versorgungshandeln in der Pflege, die zwar rechtlich eine gewisse Bedeutung haben, zunächst aber nicht rechtlich verpflichtend waren. Dies hat sich seit dem Pflege-Weiterentwicklungsgesetz im Jahr 2008 verändert. Im Bereich der Pflegeversicherung sind die nationalen Expertenstandards jetzt auch als rechtlich verbindlich anzusehen. Für ambulante und stationäre Pflegeeinrichtungen, die nach den Maßgaben der Pflegeversicherung finanziert werden, hat die Bedeutung der Standards auch deshalb stark zugenommen, weil sie von den Medizinischen Diensten der Krankenversicherung als Maßstab zur Beurteilung der Qualität einer Einrichtung herangezogen werden.

      Der Expertenstandard zum pflegerischen Entlassungsmanagement fällt etwas aus dem Rahmen. Er bezieht sich auf eine pflegerische Aufgabe, die im Unterschied zu anderen Aufgaben (wie der Dekubitusprophylaxe) nicht in allen Versorgungsbereichen eine Bedeutung hat. Er ist entwickelt worden für die Anwendung in der Krankenhausversorgung (einschließlich Rehabilitationskliniken), nicht für Pflegeeinrichtungen. Die einzelnen Handlungsvorgaben des Standards beziehen sich dementsprechend auf Strukturen des Krankenhauses. Die anderen Themen, die von den Expertenstandards aufgegriffen werden, sind dagegen für alle Versorgungsbereiche relevant.

      Zum Verständnis des Expertenstandards ist es wichtig, die Grundlagen der Standardentwicklung beim deutschen Netzwerk für Qualitätsentwicklung zu berücksichtigen (Schiemann et al. 2017). Charakteristisch ist, dass die Standards wichtige und vor allem auch häufig vorkommende Probleme und Risiken aus dem Bereich der pflegerischen Versorgung aufgreifen. Sie gelten zunächst nur für die Berufsgruppe der Pflegenden und sind insofern keine berufsgruppenübergreifenden Handlungsleitlinien. Ein weiteres gemeinsames Merkmal aller Expertenstandards besteht darin, dass sie komplexe pflegerische Handlungsfelder bzw. Aufgaben aufgreifen. Es geht also nicht um eine einzelne Maßnahme (beispielsweise im Bereich der Hautpflege), sondern immer um Aufgabenbündel, die verschiedene Einzelaufgaben (pflegerische Einschätzung, Maßnahmenplanung, Beratung und Anleitung, Durchführungskontrolle etc.) in sich vereinen.

      Die Standardentwicklung erfolgt nach einem ganz bestimmten Muster und immer in Kooperation zwischen Wissenschaft und Praxis. Hierzu wird für jeden Standard eine Expertengruppe einberufen, in der Personen vertreten sind, die sich mit dem jeweiligen Thema intensiv auseinandergesetzt haben – entweder im Bereich der wissenschaftlichen Forschung oder in der Praxis. Obligatorisch ist auch eine ausgedehnte Analyse von Forschungsergebnissen zur jeweiligen Thematik. Die Standards beanspruchen, stets auf dem aktuellen Stand des Wissens zu sein. Die Vorgaben und Empfehlungen, die sie enthalten, beruhen auf einer sorgfältigen Prüfung von Forschungsergebnissen. Damit soll u. a. erreicht werden, dass die in den Standards enthaltenen Vorgaben dem Bedarf der Patienten entsprechen und die Maßnahmen, die vorgeschrieben oder empfohlen werden, tatsächlich die geplante Wirkung auf die Patienten haben.

      Allen pflegerischen Expertenstandards gemeinsam ist schließlich, dass sie im Rahmen eines formalen Prozesses von der pflegerischen Fachöffentlichkeit diskutiert und konsentiert werden. Außerdem erfolgt eine praktische Erprobung zur Überprüfung der Frage, ob die Vorgaben eines Standards unter den Bedingungen der Praxis auch tatsächlich umsetzbar sind und wo ggf. eine Optimierung erforderlich ist.

      Faktisch haben die Expertenstandards in der Praxis eine große Bedeutung und Verbindlichkeit erlangt. Der Standard zum Entlassungsmanagement weist allerdings auch in dieser Hinsicht eine gewisse Besonderheit auf. Eine Überprüfung der Frage, ob ein Krankenhaus entsprechend der Vorgaben des Standards ein Entlassungsmanagement installiert hat, findet nicht statt. Der Druck auf die Krankenhäuser, den Standard umzusetzen, ist daher bei weitem nicht so groß wie der Druck auf Pflegeeinrichtungen, deren Qualität durch die Medizinischen Dienste der Krankenkassen bzw. durch den Prüfdienst der Privaten Krankenversicherung geprüft wird. Die Sicherstellung des Entlassungsmanagements im Allgemeinen hat zwar durch die Gesetzgebung und den »Rahmenvertrag Entlassmanagement« (image Kap. 1.4) an Verbindlichkeit gewonnen, doch blieb den Krankenhäusern nach wie vor sehr viel Spielraum, vom Expertenstandard abzuweichen.

      Der Aufbau des Entlassungsmanagements, den der Expertenstandard vorgibt, lehnt sich stark an die in anderen Ländern vorzufindenden Konzepte an. Dies gilt auch für die formale Darstellung des Arbeitsprozesses, der stark an die Struktur des Pflegeprozesses erinnert. Formal gesehen beinhaltet das Entlassungsmanagement alle Arbeitsschritte, die auch in den verschiedenen Stufen des Pflegeprozesses vorgesehen sind.

      Die Kernaussagen über das angestrebte Entlassungsmanagement finden sich in einer stark zusammengefassten, tabellarischen Darstellung, die die Ebenen Struktur, Prozess und Ergebnisse unterscheidet:

      • Auf der Ebene »Struktur« werden diejenigen organisatorischen, methodischen und personellen Voraussetzungen aufgeführt, die zur Durchführung des professionellen Entlassungsmanagements erforderlich sind.

      • Die Ebene »Prozess« ist für die Umsetzung des Entlassungsmanagements die wichtigste Ebene, weil hier beschrieben wird, welche Aufgaben zum pflegerischen Entlassungsmanagement dazugehören und wie sie aufeinander aufbauen.

      • Die Ebene »Ergebnisse« beschreibt die Ziele und angestrebten Endpunkte des jeweiligen Prozesses. Ebenso wie bei den anderen Standards handelt es sich allerdings nicht um klassische Kriterien für Ergebnisqualität, sondern eher um Handlungsendpunkte. Zu den Ergebnissen zählt beispielsweise, dass den Patienten und Angehörigen eine Beratung angeboten worden ist. Manche der auf dieser Ebene angesiedelten Punkte würden in anderen Zusammenhängen eher der Prozessebene zugeordnet.

      Die folgende Übersicht (image Kasten 1.1) beschreibt das pflegerische Entlassungsmanagement nach den Maßgaben des Standards, wobei aus Gründen der Übersichtlichkeit die Ausführungen zur Ebene »Prozess« zugrunde gelegt wurden.