Hillmoor Cross. Shannon Crowley. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Shannon Crowley
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958130425
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leise die Tür hinter sich zu. Heute war ihre letzte Nachtschicht für die nächsten zwei Wochen. Die kommenden zwei Tage hatte sie frei, dann eine Woche Spätschicht, danach eine Woche Frühschicht. Wie auch immer, sie würde jede Lücke nutzen, um nach Jake Almond zu sehen.

      Kapitel 4

      Katie lief in ihrer Wohnung auf und ab, hielt die kalten Hände an den Hals gepresst und überlegte fieberhaft. Dass Ben etwas mit Sebastians Verschwinden zu tun haben könnte, war das Letzte, woran sie gedacht hätte. Und doch konnte sie es nicht ausschließen, bei dem, was sie von ihm wusste. Ihr war schlecht. Nun kam sie nicht mehr umhin, die Polizei zu informieren. Sie blieb vor dem Telefon stehen. Ein Anruf, und die Dinge kämen ins Rollen. Die Beamten würden ruck, zuck!, hier sein und sie genauestens befragen. Bens Bewährung war hinüber, und wenn er wieder rauskam, würde er sie erschlagen, wenn sie nicht vorher irgendwohin verschwand, wo er sie nicht finden würde. Aber das war jetzt unwichtig. Wichtig war, dass sie Sebastian wiederfand. Katie streckte die Hand zum Hörer aus, hielt sie einige Sekunden darüber und ließ sie wieder sinken. Vielleicht steigerte sie sich in etwas hinein. Vielleicht hatte Ben die letzten Tage gesoffen, gepokert oder sie betrogen. Dann tat sie ihm bitter unrecht, löste eine Katastrophe aus, und in ein paar Tagen brachte Finn ihr den Jungen wohlbehalten wieder. Katie griff sich in die Haare und riss daran. Verdammt, wenn sie nur mit jemandem über ihr Dilemma hätte reden können! Aber außer Maya fiel ihr niemand ein. Nur wusste Maya nicht, dass Ben gesessen hatte und warum. Wenn sie ihr das jetzt erzählte, würde sie erst ihr Entsetzen kundtun – wegen Katies vermeintlicher Blauäugigkeit oder weil sie die Tatsachen verdrängt hatte –, und dann würde sie mit allem Nachdruck darauf bestehen, dass sie sich an die Polizei wandte. Oder es gar selbst tun. Und damit war Katie keineswegs geholfen.

      Sie ging in den Flur, nahm ihre Jacke vom Haken und ihre Tasche und verließ die Wohnung. Aus dem Hinterhof holte sie aus einem hölzernen Verschlag, der den Mietern der Skyestreet 43 als Unterstand für Fahrräder und Kinderwagen diente, ihr Rad.

      Sie brauchte gut zwanzig Minuten, bis sie vor dem grauen Betonkasten am anderen Ende von Hillmoor Cross stand, in dem Ben im Erdgeschoss rechts eine kleine Wohnung hatte. Die Haustür war wie immer unversperrt. Er selbst öffnete nach dem ersten Läuten, als habe er sie kommen sehen und hinter der Tür gewartet. Mit vor der Brust verschränkten Armen sah er sie finster an.

      »Was ist? Soll ich dir doch helfen?«

      Katie war noch völlig außer Atem, so fest hatte sie in die Pedale getreten.

      »Wo ist er? Was hast du mit ihm gemacht?«, stieß sie keuchend hervor und gab Ben einen derben Stoß vor den Bauch. Bens Hände schnellten vor und packten sie an den Unterarmen. Mit einem Ruck zog er sie in seine Wohnung und gab der Tür mit dem Fuß einen Tritt, sodass sie ins Schloss krachte.

      »Ich hab’s gewusst! Bist du bescheuert? Denkst du wirklich, ich hab was damit zu tun, dass der Krümel nicht nach Hause kommt?« Sein Gesicht war tiefrot vor Zorn, trotzdem hielt er die Stimme gesenkt. Katie versuchte vergeblich, sich aus seinem Griff zu befreien.

      »Dann verrate mir, warum du nicht nach ihm gefragt hast wie sonst, als du vorhin über mich hergefallen bist?«, wütete sie. Ben ließ sie los und schubste sie grob von sich.

      »Bin ich sein Kindermädchen oder was? Das hab ich jetzt oft genug gefragt. Irgendwann ist Schluss. Dachte, du wirst dich schon melden, wenn er in der Wohnung rumlungert.« Katie rieb ihre brennenden Unterarme, wovon das unangenehme Gefühl nicht besser wurde.

      »Was hast du am 16. gemacht?«, fuhr sie ihn an. Wie groß und kräftig er war. Nie zuvor war ihr das so deutlich geworden wie in diesem Moment. Er füllte den schmalen Flur beinahe komplett aus. Sie hätte ein Problem gehabt, sich an ihm vorbeizuquetschen, obgleich sie eine kleine zierliche Person war.

      »Was weiß ich? Jedenfalls hab ich dem Kleinen nix getan.«

      Katie schwieg. Unverständlicherweise glaubte sie ihm. Ben machte einen Schritt auf sie zu und legte ihr die Hand auf die Schulter.

      »He, komm mal wieder runter, ja? Ich steh nicht auf Kinder, und schon überhaupt nicht auf kleine Jungs.«

      Hilflos zuckte Katie die Schultern. Sie fühlte sich schwach und müde und hatte Angst. Bens Daumen massierte ihre Schulter.

      »Ich muss zur Polizei«, murmelte sie. Er ließ die Hand sinken.

      »Die kriegen raus, dass wir zusammen sind. Dann hab ich nix wie Ärger. Ich helf dir suchen. Wir finden den Knopf, wirst sehen.«

      Katie schüttelte den Kopf.

      »Ich hab schon viel zu lange gewartet.«

      Ben rieb sich die Schläfen.

      »Sweetie, ich versteh dich ja. Aber denk doch auch mal an mich. Selbst wenn du ihnen nix von uns erzählst – die Nachbarn quatschen bestimmt was aus. Du hast doch vorhin selber gesagt, du denkst, er ist bei seinem Vater.«

      Katie zuckte wieder mit den Schultern.

      »Ich weiß gar nicht mehr, was ich denken soll. Aber ich kann doch nicht einfach nichts machen«, klagte sie.

      »Pass auf. Ich such alles ab, wo er sein könnte, okay? Ich fang gleich an.«

      »Es ist doch schon fast dunkel. Das nützt doch jetzt nichts.« Sie dachte wieder an das Wäldchen. Oder hatte Sebastian im Bauzaun einen Durchschlupf gefunden und war auf der Baustelle herumgeklettert? Vielleicht gar auf das Baugerüst, und dann … Ein Schauer durchlief sie und schreckliche Bilder tauchten vor ihren Augen auf.

      »Ich hab eine starke Taschenlampe. Die nehm ich mit. Und du fährst wieder heim und setzt dich ans Telefon. Sowie ich was weiß, ruf ich dich an, okay?«

      Sie nickte schwach.

      »Gut. Aber wenn du ihn nicht findest, sag ich der Polizei bescheid. Spätestens morgen.«

      Ben drückte als Antwort ihre Schulter.

      *

      »Mister Almond? Hören Sie mich?«

      Jake war es, als würde er aus einem tiefen dunklen Loch gezogen. Mühsam schlug er die Augen auf. Er erkannte den Arzt, der vor seinem Bett stand, und sah dahinter zwei Krankenschwestern. Allmählich kehrte seine Erinnerung zurück. Richtig, er war im Krankenhaus. Er hatte einen Unfall gehabt. Heißer Schreck durchfuhr ihn. Er hatte die Klinik verlassen wollen, um Martha zu befreien, und dann hatte der Doctor ihm ein Mittel gespritzt, woraufhin er eingeschlafen war. Wie lange hatte er geschlafen? Durch das hohe Fenster zu seiner linken Seite fiel Tageslicht.

      »Welchen Tag haben wir heute?«, fragte er und wunderte sich, wie normal seine Stimme klang.

      »Den 19. März«, erwiderte der Arzt, auf dessen Namensschild in Brusthöhe auf seinem weißen Kittel ›Dr. Gregor Mackenzie‹ stand.

      Jake bekam hämmernde Kopfschmerzen.

      »Welche Uhrzeit?«, presste er heraus.

      »Neun Uhr morgens. Wie geht es Ihnen? Haben Sie Schmerzen?«

      Neun Uhr morgens am 19. März. Jake versuchte nachzudenken. Das Unglück war am Tag vor dem St. Patrick’s Day geschehen. Der St. Patrick’s Day war am 17. März. Wie viele Tage waren das? Er konnte nicht denken. Er wusste nur, dass die Großmutter noch immer in ihrem Kellerverschlag festsaß, wenn sie sich nicht durch ein Wunder selbst hatte befreien können. Die Kopfschmerzen wurden schlimmer.

      »Mister Almond? Haben Sie mich verstanden?«, wiederholte der Arzt. Jake bemerkte seinen forschenden Blick. Trotz der bohrenden Qual hinter seiner Stirn nickte er.

      »Es geht mir gut.«

      »Schön. Wenn es weiter aufwärtsgeht, werden wir Sie in zwei oder drei Tagen entlassen können. Schwester Megan bringt Ihnen gleich das Frühstück. Vorher sehe ich mir Ihr Bein an. Im Laufe des Vormittags möchte Sie jemand von der Polizei befragen, wegen des Unfalls. Der Constable war gestern schon mal hier. Fühlen Sie sich dazu in der Lage?«

      »Natürlich«, murmelte Jake. Wenn der Arzt nur aufhören würde zu schwafeln.