Hillmoor Cross. Shannon Crowley. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Shannon Crowley
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958130425
Скачать книгу
durch sein Handeln und seine Schuld. Alleine und elendig verendet. Zugrunde gegangen an seiner panischen Reaktion, weil sie ihn mit dem kleinen Jungen erwischt hatte. Der Junge. Ihn hatte er fast vergessen. Jake sah hinunter auf Martha, die wie ein unförmiger Embryo zu seinen Füßen lag. Er konnte nichts mehr tun. Aber mit ihr musste er etwas tun, und das sofort. Außerdem konnte er hier drinnen nicht länger atmen. Es war, als hätte sie alle Luft in dem kleinen Raum verbraucht, in ihrem Kampf ums Überleben. Sein Mund war trocken, auf seiner Stirn kribbelte es, und als er mit dem Handrücken darüber fuhr, spürte er, dass sie nass von kaltem Schweiß war.

      Er musste Martha wegschaffen. Hier konnte sie nicht bleiben. Doch wohin und wie? Er hatte kaum die Kraft gehabt, in den Keller hinunterzugehen. Wie sollte er die kräftige alte Frau transportieren? Und womit? Er hatte ja nicht einmal mehr einen Wagen. Jake schleppte sich aus dem Verschlag und drückte die Tür hinter sich zu. Der Anblick der Toten hatte ihm das Denkvermögen ausgesaugt. Er setzte sich auf die Holzkiste, auf der noch immer die Metalldose mit den restlichen Kondomen lag, und streckte das verletzte Bein von sich. Die Wunde pochte und stach. Seine Kopfschmerzen waren besser, aber nicht weg. Es war, als habe sich das Medikament zwischen ihn und sein geprelltes Gehirn geschoben und ihm damit vorübergehend Linderung verschafft. Jake stützte einen Ellbogen auf das gesunde Bein und das Kinn in die Hand. Er konnte die Großmutter nicht aus dem Haus schaffen. Er wusste nicht, wohin mit ihr, und er wusste nicht, wie er sie hätte transportieren sollen, ohne Auto. Er brauchte eine andere und schnelle Lösung. Er stemmte sich von seinem Sitzplatz hoch. In der Garage lagen genug Mauersteine, und ein Sack Mörtel war auch noch da. Großmutter Martha würde ihre letzte Ruhe hier im Haus finden.

      Jake arbeitete drei Stunden lang. Zeitweise fürchtete er, vor Erschöpfung und Schwäche ohnmächtig zusammenzubrechen, doch irgendwann war dieser Punkt überwunden und er bewegte sich monoton und ohne Pause vorwärts. Er schleppte die Steine einzeln über die Verbindungstreppe von der Garage ins Haus, weil ihm die Kraft für mehrere Steine gleichzeitig fehlte und er sich zudem am Geländer festhalten musste. Er rührte den Mörtel im Keller an, hob die Holztür aus den Angeln, was viel leichter ging, als er vermutet hatte, und schob sie zur Großmutter in den Verschlag. Sorgsam und der Länge nach legte er die Tür hinter dem gekrümmten Rücken der alten Frau ab, mit etwa einem halben Meter Abstand.

      Widersinnigerweise ging ihm durch den Kopf, dass sie sich im Rücken wehtun könnte, wenn sie sich für eine bequemere Lage umdrehte und auf die Türklinke stieß. Er verdrängte seine verrückten Gedanken, brach die Angeln aus den alten Mauern des Kellers, verschmierte die Bruchstellen mit Mörtel und packte Stein auf Stein. Ehe er die letzte Reihe schloss, warf er noch einen Blick auf die Tote. Es war unfassbar. Er hatte das nicht gewollt, wahrhaftig nicht. Heiß durchzuckte es ihn. Er hatte den schmalen Lichteinlass unter der Kellerdecke übersehen. Schweiß sammelte sich an seinem Hals.

      Der Spalt, ursprünglich ein Fenster von etwa zwanzig Zentimeter Höhe auf dreißig Zentimeter Breite, war seit Jahrzehnten von unten bis zur Hälfte mit einem Holzbrett abgedichtet. Marthas Vater war, so hatte ihm die Großmutter erzählt, der Meinung gewesen, dass zu viel Tageslicht in den Verschlag drang, in dem er Kartoffeln lagerte. Ganz verschließen wollte er das Fenster aber auch nicht, damit der Luftaustausch funktionierte. Jake rieb sich den Nacken. Er war hysterisch. Von außen kam niemand an den Lichteinlass heran, denn mittlerweile wucherten an entsprechender Stelle seitlich des Hauses Rosenbüsche mit dichtem Unterholz. Kein Grund also, die mühsam errichtete Mauer teilweise wieder einzureißen, um ein vermeintliches Versäumnis nachzuholen – zumal er völlig am Ende seiner Kräfte war.

      Jake mauerte den Verschlag dicht, verschmierte reichlich Mörtel, um ja keinen Spalt offen zu lassen, und betrachtete sein Werk. Die frisch gesetzten Steine waren dunkler als die übrigen im Keller. Deutlich hob sich der ehemalige Durchgang ab. Er würde etwas davorstellen, einen Schrank oder das schmale Regal mit Rückwand, in dem Großmutter Martha immer ihr eingelegtes Obst aufbewahrte. Aber das hatte Zeit bis morgen. Er klebte vor Schmutz, weigerte sich nicht länger, die zitternde Schwäche wahrzunehmen, und er hatte tatsächlich Hunger. Jake schleppte sich die Treppe ins Haus hin­auf. Morgen würde er im Keller aufräumen, das Werkzeug in die Garage zurückbringen, den leeren Papiersack, in dem der Mörtel gewesen war, im Ofen verbrennen, das Regal vor die auffällige Stelle an der Wand schieben. Morgen. Jetzt wollte er duschen, diese schrecklichen Klamotten loswerden und etwas essen, falls noch etwas da war. Und unten lag Martha und kam nie wieder. Nie wieder würde sie seine Wäsche waschen, ihm etwas zu Essen hinstellen oder sich nörgelnd erkundigen, ob er denn auch genug für die Uni und sein Studium tat. Die Uni – er war seit Tagen nicht mehr dort gewesen. Er würde auch die nächsten Tage zu keiner Vorlesung gehen. Erst musste er versuchen, seinem Leben wieder ein Stück Normalität zu geben. Er würde mit einer Dusche anfangen.

      Äußerlich fühlte sich Jake eine dreiviertel Stunde später etwas besser, nachdem er Schmutz, Schweiß und Staub abgespült und frische Wäsche angezogen hatte. An seiner Verletzung am Oberschenkel war einer der Fäden gerissen, die die Wunde zusammenhielten. Blut war sein Bein hinuntergelaufen, und die Stelle klaffte klein, aber hässlich auf. Er hatte ein Pflaster darüber geklebt.

      Jake war auf dem Weg zur Küche, als das Schrillen des Telefons die Stille des Hauses durchschnitt. Bestürzt hielt er im Laufen inne, und nackte Panik kroch seinen Rücken hinauf. Das Läuten wollte nicht aufhören, und langsam löste sich seine Erstarrung. Egal wer der Anrufer war – er konnte und würde ihm nichts tun. Niemand außer ihm wusste, dass er eben seine Großmutter im Keller eingemauert hatte. Er ging in den Flur zum Schuhschrank, auf dem der altmodische Apparat stand, der noch eine Wählscheibe hatte, und nahm den Hörer ab. Neben dem Telefon lag Marthas Schlüsselbund. Mechanisch hob er ihn auf und hängte ihn an die Hakenleiste neben der Garderobe.

      »Almond«, meldete er sich.

      »Jake? Bist du es? Hier ist Lydia. Ist Martha gut heimgekommen? Kann ich sie sprechen?«

      Lydia Clarks. Wie der Stich eines Pfeils traf es Jake von der Kehle bis in den Magen. Großmutters Freundin aus Dublin, bei der er sie zu Besuch vermutet hatte, an jenem unglückseligen Nachmittag. Vor seinen Augen wurde es dunkel und sein Gehirn verknotete sich.

      »Jake? Bist du noch dran?«

      »Klar.« Nachdenken, er musste nachdenken.

      »Ich versteh das nicht, Lydia. Ich dachte, Großmutter ist bei dir?« Er musste Zeit gewinnen. Welches Datum war heute? Heute Morgen war der 19. März gewesen, also war noch immer der 19. März. Martha hatte am 22. März zurückkommen wollen. Gut, daran konnte er sich festhalten.

      »Bei mir?« Lydia schnappte hörbar nach Luft. »Sie war bei mir. Sie ist aber schon vor ein paar Tagen zurück nach Hause gefahren. Gerrit hat vorzeitig Wehen bekommen, und ich musste ex und hopp nach Manchester fliegen. Sie ist also nicht da? Hat sie sich denn gar nicht gemeldet?«

      Deswegen also war Martha eher nach Hause gekommen. Lydias Tochter, die ein Kind nach dem anderen produzierte, war mal wieder schwanger und hatte die Hilfe ihrer Mutter gebraucht, die existierenden Blagen in Schach zu halten, während das nächste kam.

      »Nein.« Er versuchte, Verwunderung in seine Stimme zu legen.

      »Das passt überhaupt nicht zu Martha. Meine Güte, wo könnte sie denn sein?«

      »Ich hab ehrlich keine Ahnung. Wann genau ist sie denn von Dublin losgefahren?«

      »Am Montag. Sie hat den Zug um zwölf Uhr zehn genommen. Ich hab sie hingebracht und bin dann weiter zum Flughafen.«

      »Du erschreckst mich jetzt wirklich, Lydia. Ich hab von Großmutter nichts gehört und nichts gesehen. Ist aber andererseits kein Wunder, ich war ein paar Tage im Krankenhaus.« Kurz erzählte er Lydia von seinem Unfall.

      »Das ist ja alles ganz furchtbar. Was machen wir denn jetzt? Ich weiß niemand, mit dem Martha sich noch für ein paar Tage getroffen haben könnte, noch dazu, ohne sich zu melden«, klagte Lydia. »Ich mache mir beileibe Sorgen.«

      Für einen Augenblick war Jake in Versuchung, Lydias Befürchtungen kleinzureden. Dann überlegte er es sich anders.

      »Du hast recht, das passt nicht zu Großmutter. Wir müssen etwas tun, ich weiß nur nicht, was. Außer