Hillmoor Cross. Shannon Crowley. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Shannon Crowley
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958130425
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nein. Allein ist sie nirgends. Es muss was passiert sein. Martha fährt doch nirgends allein hin. Da wüsste sie gar nichts mit sich anzufangen. Du musst sie vermisst melden. In den Zug ist sie gestiegen, das weiß ich. Sie hat ihn quasi im letzten Moment erwischt. Wir haben uns extra beeilt, zum Bahnhof zu kommen, weil das die einzige Verbindung an dem Tag war, bei der sie nicht umsteigen musste. Sie meinte, bis spätestens vier Uhr zu Hause zu sein.«

      »Liebe Zeit, das ist schon sehr seltsam.« Jake rieb sich den Nacken, und für einen Moment glaubte er selbst daran, dass Martha irgendwo auf ihrer Heimreise verschwunden war.

      »Jake, du musst zur Polizei gehen! Hier stimmt was nicht.«

      »Ja. Ja, das mache ich. Ich rufe sofort an. Entschuldige Lydia, ich bin noch nicht ganz fit und das gibt mir eben echt den Rest. Ich hab in der Klinik noch gesagt, es darf auf keinen Fall jemand Großmutter von meinem Unfall berichten, damit sie sich nicht unnötig aufregt. Und jetzt erfahre ich, dass sie seit Tagen wieder daheim sein sollte. Lass uns auflegen. Ich sag dir Bescheid, sowie ich was in Erfahrung bringe, okay?«

      »Mach das. Und dir auch gute Besserung«, wünschte Lydia.

      Jake blieb neben dem Apparat stehen. Seine Kopfschmerzen schwollen wieder an, das Medikament ließ rasant in der Wirkung nach. Lydia hatte recht. Er musste Großmutter Martha vermisst melden. Über kurz oder lang würde es Fragen geben, wo die alte Dame abgeblieben war. Vom Postboten, der immer schlecht gelaunt war, weil er keine Lust hatte, die Post und die Tageszeitung in diese Einöde zu bringen, in der die alte Schaffarm lag. Oder von Marthas Hausarzt, mit dem sie ab und an telefonierte. Nicht weil es gesundheitlich erforderlich war, sondern weil sie mit seinem Vater zur Schule gegangen war und sie Doctor Thomas Darragh wie einen Neffen ansah. Sogar die Bäckersfrau aus Clifden musste er befürchten, denn sie rief Martha immer an, wenn sie Cheddar-Scones im Sortiment hatte, und fragte, ob sie ihr ein Pfund dieser käsehaltigen Brötchen beiseitelegen sollte. Er konnte ja schlecht allen Leuten gegenüber behaupten, sie sei zu Hause ausgezogen und er wüsste nicht, wohin. Jake nahm aus der obersten Schublade des Schuhschrankes das abgegriffene Telefonbuch und suchte die Rufnummer der Polizeistation in Galway heraus. Er ließ sich mit der Abteilung für vermisste Personen verbinden. Der zuständige Constable reagierte gelangweilt, nachdem Jake sein Anliegen mit besorgter Stimme vorgetragen hatte.

      »Wann, sagten Sie, sollte sie nach Hause kommen?«, fragte er bereits zum zweiten Mal. Jake hörte, dass er während des Gespräches in einen Computer tippte.

      »Am Montag, dem 16. März. Gegen vier Uhr.«

      »Und es kann nicht sein, dass sie gekommen ist und gleich wieder gegangen? Da sind Sie sicher?«, hakte der Mann nach.

      »Ja.«

      »Das heißt, Sie haben auf sie gewartet und sie ist nicht erschienen?«

      »Gewartet habe ich nicht auf sie. Ich wusste ja nicht, dass sie eher nach Hause kommen wollte. Aber ich war hier und sie ist nicht erschienen«, erwiderte Jake.

      »Haben Sie schon die Krankenhäuser angerufen? Vielleicht ist sie umgekippt, hatte einen Schwächeanfall oder so«, schlug der Constable vor.

      »Nein. Daran hab ich nicht gedacht«, erwiderte Jake. Er sehnte sich nach einem Stuhl. Nun stand er schon minutenlang im Flur und telefonierte.

      »Ich schlage vor, Sie rufen zuerst dort an. Wenn das nichts ergibt, können Sie sich ja noch mal melden. Aber ich sage Ihnen gleich, dass wir eigentlich nichts tun können, wenn nicht der Verdacht auf ein Verbrechen vorliegt. Ihre Großmutter ist eine erwachsene Frau, sie kann gehen, wohin sie will, und muss auch niemandem Bescheid sagen.«

      »Da haben Sie sicher recht. Aber ich kenne meine Großmutter. So ein Verhalten passt nicht zu ihr«, gab er zurück.

      »Das haben schon viele gedacht. Wenn sie ursprünglich erst am 22. zurückkommen wollte, kann sie sich unterwegs überlegt haben, bis dahin noch jemand anderen zu besuchen. Vielleicht fallen Ihnen noch Bekannte oder Freunde ein, bei denen sie sein könnte.«

      »Ja, vielleicht.«

      »Gut. Dann verbleiben wir so. Ich habe mir ein paar Notizen gemacht. Fragen Sie nach Russ Gibson, falls Sie noch mal anrufen möchten.«

      »Danke, Mister Gibson.«

      Jake legte den Hörer auf. Er war sich nicht sicher, ob das Gespräch gut gelaufen war. Er hatte vergessen, den gesundheitlichen Zustand von Martha zu erwähnen, und dass sie ihre Medikamente brauchte. Das hätte dem Constable vielleicht Druck gemacht und hätte ihn, Jake, überzeugender wirken lassen. Er stopfte das Telefonbuch in die Schublade zurück. Er brauchte etwas zu essen, zwei Schmerztabletten und endlich erholsamen Schlaf. Nicht den künstlichen, durch Arzneimittel erzeugten Schlaf, aus dem man völlig verwirrt und zerschlagen wieder auftauchte.

      Im Kühlschrank lagen Speck und Eier, im Gefrierfach etliche Scheiben Toast. Das reichte für ein Abendessen. Jake briet den Speck aus, schlug die Eier darüber und steckte das Brot in den Toaster. Er aß langsam. Obwohl er Hunger hatte, fiel ihm jeder Bissen schwer. Im Keller direkt unter ihm lag die Großmutter. Sie würde nie wieder in der Küche herumwerkeln, während er am Tisch saß und aß. Es schnürte ihm den Magen zu. Er hatte die halbe Portion geschafft, als wieder das Telefon schellte. In der Annahme, Lydia wollte sich vergewissern, ob er die Vermisstenmeldung aufgegeben hatte, ging Jake schwerfällig an den Apparat.

      »Almond.«

      »Jake, hier ist Justin. Alles okay bei dir? Du bist seit Tagen bei keiner Vorlesung mehr gewesen, und auf meine SMS heute Nachmittag hast du nicht geantwortet.« Jake überlegte flüchtig, wo sein Handy überhaupt war. Es musste noch in seiner Jackentasche sein.

      »Nix ist okay, gar nix.« Er hatte genug davon, im Stehen zu telefonieren, nahm den Apparat vom Schuhschrank und setzte sich damit auf den Boden, um Justin Bericht zu erstatten. Justin war einer der wenigen Kommilitonen, mit denen sich Jake auch außerhalb der Uni ab und an traf. Vor allem war er einer der wenigen, die ihn nicht ständig damit nervten, sich mit dem anderen Geschlecht zu vergnügen.

      »Schöne Scheiße«, fasste Justin zusammen, nachdem Jake mit seinen Ausführungen fertig war. »Dann ist deine Großmutter am selben Tag verschwunden, als du den Unfall hattest.«

      »Allerdings. Und die auf der Polizei reagieren nicht. Der Constable sagt ernsthaft, Großmutter sei schließlich erwachsen. Was mach ich denn, wenn sie gar nicht mehr zurückkommt?«, fragte er aufgebracht.

      »So weit ist es ja noch nicht. Vielleicht hat sie sich wirklich überlegt, noch jemand zu besuchen.«

      »Ich wüsste nicht, wen. Ich rufe trotzdem morgen jeden an, mit dem sie Kontakt hat. Vielleicht weiß jemand was«, sagte Jake. »Ach, da fällt mir was ein. Mein Auto ist hinüber. Hat dein Vater gerade was Günstiges zu verkaufen? Ich brauch nix Besonderes, es muss nur schnell gehen. Ich bin ja hier draußen völlig von der Welt abgeschnitten ohne Wagen.«

      »Klar, Vater hat immer was. Ich sprech mit ihm, und wenn was für dich dabei ist, bring ich dir das Auto. Du musst mich hinterher nur wieder heimfahren. Was darf es denn kosten?«

      »So wenig wie möglich.«

      »Schauen wir mal. Ich melde mich, okay?«

      Jake beendete das Gespräch. Er fühlte einen Funken Erleichterung, zumindest das Auto-Problem bald gelöst zu haben. Justins Vater, der seit Jahrzehnten in Ennis einen Gebrauchtwagenhandel betrieb, würde ein finanzierbares Gefährt für ihn auftreiben. Er war in Versuchung, den Apparat abzustecken, ließ es dann aber. Es sollte alles so normal wie möglich aussehen. Lydia brachte es fertig und schickte ihm sofort die Polizei ins Haus, wenn sie ihn nicht mehr erreichte. Und seine Handynummer dürfte sie kaum haben. Apropos, das Handy. Jake fand es, wie vermutet, in der Jackentasche. Die Jacke hatte einen Riss auf der rechten Vorderseite und war voll getrocknetem Blut. Er würde sie wegwerfen.

      Jake öffnete das Menü des Mobiltelefons, las Justins SMS, in der er nur fragte, ob alles in Ordnung wäre, und sah einen unbeantworteten Anruf. Er klickte ihn an. Die Nummer sagte ihm nichts, aber Datum und Uhrzeit des Eingangs. Es war Montag, der 16. März, Punkt 19 Uhr. Blitzartig war die Erinnerung wieder da. Er war