Hillmoor Cross. Shannon Crowley. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Shannon Crowley
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958130425
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als Hanna sie zurückhielt.

      »Lacey, einen Moment noch«, verlangte sie. Lacey blieb auf ihrem Stuhl sitzen und schwieg mit zusammengepressten Lippen. Statt der erwarteten Maßregelung setzte sich Hanna schwerfällig auf die Tischkante, ein für sie sehr ungewöhnliches Verhalten.

      »Du bist jetzt seit über zehn Jahren hier an der Klinik, Lacey. Ich sag dir ehrlich, wie es ist. Ich gehe vorzeitig in Ruhestand. Ich bin einfach fertig nach all den Jahren und will noch was vom Leben haben. Jedenfalls wird damit die Stelle der Oberschwester frei. Der Chef hätte in Erwägung gezogen, sie dir zu geben, wenn du nicht kommen und gehen würdest, wie es dir passt.«

      Lacey stieg flammende Röte in die Wangen.

      »Jetzt kriegt Ruth den Posten. Allerdings denke ich, sie wird ihn nicht lange behalten wollen. Ich hab was flüstern hören, dass sie ihren George heiraten will. Dann zieht sie wohl zu ihm nach Dublin. Also reiß dich zusammen. Vielleicht klappt es beim nächsten Mal.«

      Lacey verschränkte die Arme vor der Brust. Auf ihrer Zunge hockten jede Menge Widerworte. Hanna stemmte ihr Gewicht vom Tisch.

      »Nun sieh nach dem Autounfall, am besten alle halbe Stunde. Er liegt auf Zimmer 14. Der Doc sagt, es ist das reinste Wunder, dass er so davongekommen ist. Der Wagen muss Schrott sein. Hat sich überschlagen und ist auf der Fahrerseite liegen geblieben. Wenn sich nicht ein junges Paar in der Nähe herumgedrückt hätte, das ihn gefunden hat, wäre er möglicherweise verblutet. Ein Metallstück hatte sich in sein Bein gebohrt und ist kaum einen Millimeter an der Arterie vorbei stecken geblieben. Gut, dass die beiden so schlau waren, ihn nicht aus dem Wagen zu zerren.«

      Lacey gab keine Antwort.

      »Schau nicht so finster, du verschreckst ja die Patienten. Ich wünsch dir eine ruhige Nacht. Bis übermorgen.«

      Ihr war schlecht vor Ärger. Hanna hörte sich an wie Emma. Am liebsten hätte Lacey mit der Tür geknallt, als sie das Schwesternzimmer verließ. Sie machte sich auf den Weg zu Zimmer 14.

      *

      Obwohl es bereits nach 22 Uhr war, gab sich Katie Ward keine besondere Mühe, die ausgetretenen hölzernen Stufen zu ihrer Wohnung im zweiten Stock leise hinaufzugehen. Im Treppenhaus roch es nach Sauerkraut, Knoblauch und Zigaretten, aber das fiel ihr schon lange nicht mehr auf. Die schief getretenen Absätze ihrer vergilbten, ehemals weißen Stiefeletten klackten geräuschvoll auf dem Boden. Für alle Fälle hatte sie ein paar bissige Antworten parat, falls einer der Nachbarn den Kopf in den Flur streckte und sich über ihre Rücksichtslosigkeit zu später Stunde aufregen wollte. Katie war nicht bereit, sich irgendetwas gefallen zu lassen. Sie kramte in dem aus bunten Kunstlederflicken zusammengesetzten Beutel nach ihrem Schlüsselbund, und als sie ihn schließlich gefunden hatte, entglitt er ihr und fiel scheppernd zwei Stufen hinunter. Mit unbewegter Miene hob sie ihn auf und öffnete die Wohnungstür. Es war still und dunkel in ihrem Quartier. Gut so, dann schlief Sebastian wenigstens. Sie wollte in Ruhe ein Glas Wein trinken, ein oder zwei Zigaretten am offenen Küchenfenster rauchen und dann ins Bett gehen.

      Katie schlüpfte aus ihren Schuhen, hängte die Strickjacke aus grobem grauen Wollstoff an den Haken im Flur und die Tasche dazu. Sie ging in die Küche und knipste das Licht an, das sich fahl aus einer fettüberzogenen und mit verendeten Mücken verklebten Deckenlampe über den kleinen Raum ergoss. Sie ignorierte den Berg schmutzigen Geschirrs, an dem die Essensreste der letzten Tage hafteten und einen undefinierbaren, abgestandenen Geruch verbreiteten, holte den Weißwein aus dem Küchenschrank und öffnete das Fenster. Im Haus gegenüber bewegte sich ein Vorhang hinter einer Fensterscheibe im dritten Stock. Katie verzog ironisch die Mundwinkel. Die alte Milla konnte offensichtlich wieder mal nicht schlafen und beobachtete die Straße und das Kommen und Gehen der Nachbarn, in der Hoffnung etwas zu bemerken, was sie weitertratschen konnte. Viel sehen würde sie heute nicht. Der Mond war von Wolken verborgen, und von vier Straßenlaternen brannten seit Wochen nur zwei. Entweder hatte die Gemeinde Hillmoor Cross kein Geld für neue Glühlampen, oder den Verantwortlichen war es schlichtweg egal, dass die Bewohner der ärmsten Ecke ihrer Kommune nachts kaum das Licht hatten, die Haustüren aufzusperren. Katie schnippte die Asche ihrer Zigarette aus dem Fenster.

      Eine halbe Stunde später beschloss sie, ins Bett zu gehen. Auf dem Weg in ihr Schlafzimmer kam sie an Sebastians kleiner Kammer vorbei. Die Tür war geschlossen, und das machte sie stutzig. Sebastian bestand immer darauf, sie nur anzulehnen. Katie drückte sie sacht nach innen auf. Das Bett ihres Sohnes war zerwühlt, aber leer. Ihr Blick ging automatisch zum Badezimmer, das der Kammer gegenüberlag. Hinter dem Milchglaseinsatz auf Kopfhöhe war es dunkel. Auf dem Klo war er also auch nicht.

      »Sebastian?«, rief sie und wusste bereits, dass er nicht hier war. Trotzdem sah sie noch ins Wohnzimmer, ob er verbotenerweise ferngesehen hatte und auf dem Sofa eingeschlafen war. Welch ein Unsinn – sie hätte den Fernseher ja hören müssen, auch wenn Sebastian den Ton immer leise drehte, in der Hoffnung die Rückkehr der Mutter rechtzeitig zu bemerken und das Gerät rasch auszuschalten.

      Verärgert runzelte sie die Stirn. Es war einfach unerhört, was der Junge sich herausnahm, und Maya sowieso. Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Gleich elf Uhr nachts. Unmöglich, noch bei Maya anzurufen. Aber morgen würde sie ihr Bescheid sagen und Sebastian natürlich auch.

      Katie ging in ihr Schlafzimmer, zog die gestreifte Jeans, die braune Cord-Weste und das helle T-Shirt aus und ließ sich in Unterwäsche und Socken ins Bett fallen. Wenigstens konnte sie ausschlafen, wenn der Junge bei Maya war. Wäre es nach ihr gegangen, hätte er auch ganz bei ihr bleiben können, aber das würde Maya nicht umsonst machen. Außerdem riskierte sie damit ihr Kindergeld und den Zuschlag für Alleinerziehende. Schade um das Geld. Katie zog die Decke bis zum Kinn und schlief sofort ein.

      Sie wachte am nächsten Morgen gegen zehn Uhr auf. Nach einer Tasse Kaffee und zwei Zigaretten rief sie bei Maya an. Das Gespräch war wenige Minuten später beendet. Katie war geschockt und wütend. Sebastian war nicht bei Maya, der Mutter seines Kindergartenfreundes Robin. Er war nicht einmal zur Feier des St. Patrick’s Days erschienen. Katies Magen krampfte sich in heißem Zorn zusammen. Damit war klar: Finn hatte sich den Jungen geholt. Wie er in seiner Position damit durchkommen wollte, wie er überhaupt die plötzliche Existenz des Kindes erklären wollte, war ihr schleierhaft. Sie zerrte die nächste Zigarette aus der Packung und zündete sie mit fahrigen Fingern an. Vielleicht hatte sie ihre letzte Forderung an ihn doch übertrieben. Aber das Leben war teuer, und erst recht das Leben mit einem Kind. Finn Brady hatte immerhin ein solides Einkommen, davon sollte seinem Sohn ruhig etwas zugutekommen. Hektisch inhalierte sie den Rauch. Die Frage war, was sie jetzt machen sollte. Andererseits, warum sollte sie überhaupt etwas machen? Finn würde die Bürde, die er sich aufgeladen hatte, bestimmt nicht lange durchstehen. Sie war sicher, er würde sich über kurz oder lang bei ihr melden. Katie drückte ihre Zigarette in dem Plastikaschenbecher aus, den sie kürzlich in einer Kneipe hatte mitgehen lassen. Am besten Ruhe bewahren und abwarten. So, wie sie Finn kannte, würde er sie schon deshalb anrufen, weil er der Ansicht war, sein Vorgehen anders nicht vor sich und dem Herrn verantworten zu können.

      *

      Lacey Stone öffnete ein letztes Mal während ihrer Nachtschicht, die in einer halben Stunde zu Ende war, die Tür zu Zimmer 14. Der Patient, ein gewisser Jake Almond, war noch immer ohne Bewusstsein. Über die Monitore, an die er angeschlossen war und die hinter seinem Bett standen, flimmerten gleichmäßige grüne Zacken, die Herzfrequenz und Herzrhythmus wiedergaben. In bunten Zahlen konnte sie die Werte für Blutdruck, Puls und Temperatur ablesen. Alles in Ordnung, auch die Messung der Atemfrequenz lag im Normbereich. Lacey machte eine Notiz im Krankenblatt. Jake Almonds Werte waren stabil.

      Sie musterte das ebenmäßige Gesicht, auf dessen Wangen und Kinn sich dunkle Bartstoppeln abzeichneten. Auf der Stirn, dicht unter dem Ansatz des vollen dunklen Haares, klebte verkrustetes Blut, durch das sich zwei schwarze, verknotete Fäden zogen. Die kleine Platzwunde würde wahrscheinlich eine Narbe hinterlassen, die aber mit entsprechender Frisur gut zu verbergen war. Was für ein attraktiver Mann. Er hatte volle Lippen, die bestimmt wunderbar weich waren. Ob er verheiratet war? Ihr Blick ging zu seinen Händen, die seitlich seines schlanken, muskulösen Körpers auf der dünnen Bettdecke lagen. Sie waren sehr gepflegt. Es waren die Hände eines