Herr F. war seit fünf Jahren verheiratet und hatte einen einjährigen Sohn. Er wurde mit der Diagnose Depression zur Psychotherapie überwiesen. Herr F. war noch nie stationär behandelt worden. Außer, dass er an Schlafstörungen und seit fast zwei Jahren an Müdigkeit litt, das Gefühl hatte, sein Leben hätte keinen Sinn und über das Nachlassen seiner Libido klagte, beklagte sich der Klient über die schwierige Beziehung zu seiner Frau. Herr F. meinte, die Beziehung hätte sich deutlich verschlechtert, seit seine Frau schwanger geworden war. Nach der Hochzeit hatte Herr F. mit dem Hausbau begonnen, nach zwei Jahren war das Haus fertig. Mehr als zehn Stunden täglich hatte er gearbeitet, damals hatte er genügend Energie und fühlte sich gut. Die meisten Arbeiten am Haus waren nach Feierabend vom Klienten selbst verrichtet worden. Der Hausbau war für Herrn F. ein gewaltiges Stück Arbeit gewesen, vor allem, da er, wie er es ausdrückte, »im Sumpf« gearbeitet hatte. Der Therapeut, den die Berichte vom Hausbau »im Sumpf« aufmerken ließen, unterbrach die Erzählung des Klienten und fragte ihn, was er mit seinen Worten meinte. Herr F. erklärte, er hätte das Haus auf dem Grundstück gebaut, dass er von seinen Eltern geerbt hatte. Ein Teil des väterlichen Landbesitzes war Sumpfgebiet. Dadurch war das Grundstück nicht viel wert und Herr F. hatte den Sumpf zuschütten müssen, was sehr arbeitsaufwendig und kostspielig gewesen war. Während der folgenden Sitzungen berichtete der Klient etwas mehr über seine Herkunftsfamilie. Sein Vater hatte viele Jahre Alkoholprobleme gehabt, seine Mutter wiederum war gewalttätig gewesen, sowohl dem Ehemann als auch den Kindern gegenüber. Alle hätten Angst vor ihr gehabt, und der Klient trug diese Angst, obwohl seitdem so viel Zeit vergangen war, weiterhin in sich. Diese Angst erkannte er auch in der Beziehung zu seiner Frau wieder, die, wie er meinte, damit drohte, ihn zu verlassen und das Kind mitzunehmen. Schrittweise wurde klar, dass sich die Worte »ich habe das Haus auf einem Sumpf gebaut« nicht nur auf den sumpfigen Baugrund, sondern auch auf die problematische und schmerzliche familiäre Vergangenheit von Herrn F. bezogen, die der Klient aus seiner Herkunftsfamilie in die aktuelle Familie übertrug.
An diesem Beispiel wird sowohl deutlich, dass der Klient in der Vergangenheit verharrt, als auch, dass er die Gegenwart ignoriert. Darüber hinaus sind Hinweise bezüglich einer Diagnose des familiären Systems enthalten. Viele Beschreibungen enthalten metaphorische Botschaften, die wichtig sind, um den Klienten zu verstehen. Dazu gehören auch die beiden Schlüsselwörter »Haus« und »Familie«. Eine scheinbar völlig nebensächliche Aussage, in der es darum geht, wie der Klient die Ferien verbringt, etwa »im Sommer fahre ich immer nach Hause«, kann darauf hindeuten, dass er seine Herkunftsfamilie mehr als zu Hause betrachtet, als die Familie, die er selbst gegründet hat, und dass die Bindung zu Personen aus der Vergangenheit stärker ist, als die zum eigenen Lebenspartner. Es kann wichtig sein herauszufinden, was mit den Worten »meine Familie« gemeint ist. Sind damit der Partner oder die Partnerin und die eigenen Kinder gemeint? Oder aber die Eltern und Geschwister? Der Begriff »Familie« kann auch Heimat bedeuten, das Gefühl, mit einer sozialen, ethnischen, nationalen oder religiösen Gemeinschaft verbunden zu sein. Das Wort »Haus« wiederum bezieht sich meist auf ein Gebäude, enthält aber auch andere Bedeutungen. Man kann zufrieden damit oder aber unglücklich darüber sein, aus welchem Hause man stammt. Ein Haus kann ungemütlich und zu eng sein, oder aber sicher und bequem. Entweder fühlt man sich »wie zu Hause« oder »wie auf gepackten Koffern«. Jemand hat nur »eine Ecke für sich« (z. B. bei den Schwiegereltern), hat »kein Dach über dem Kopf« oder »findet keinen Raum für sich«. Jegliche Berichte des Klienten zum Thema Haus oder Renovierungen am Haus (in Schlafzimmer oder Küche), zum Thema Hausbau oder Umzug enthalten, vor allem wenn sie bei einer Familientherapiesitzung angebracht werden, weitere versteckte Ebenen.
»Ich möchte in meinem Haus einfach nur ganz in Ruhe schlafen können« – mit diesem Satz drückte Herr G., ein etwa 50-jähriger Klient, das aus, was er mit der Therapie erreichen wollte. Sein bisheriges Leben bezeichnete er als gelungen. Herr G. war zufrieden mit seinem Leben, hatte aber schon seit Langem mit Schlafstörungen zu kämpfen. So wie immer, wenn ein Symptom über lange Zeit hinweg auftritt, genau beschrieben und definiert wird, stellte der Therapeut auch in diesem Fall Fragen, um die Funktion des Symptoms zu bestimmen und den Klienten besser verstehen zu können:
•Wer oder was lässt Sie nicht in Ruhe schlafen?
•Welche Träume wären noch schlimmer als die zermürbende Schlaflosigkeit?
•Was bedeutet die Dunkelheit der Nacht, in der Ihre Probleme auftreten?
•Was ist Schlaf und was bedeutet es zu wachen?
•Und vor allem, welche innere Erfahrung benötigt der Klient, damit er in Ruhe schlafen kann?
Das Bedürfnis »in Ruhe schlafen zu können«, was bei Schlaflosigkeit schließlich völlig selbstverständlich ist und oft während einer Psychotherapie thematisiert wird, kam in diesem Fall so deutlich zur Sprache und zog auf so intensive Weise die Aufmerksamkeit des Therapeuten auf sich, dass dieser selbst über die Heftigkeit seiner Reaktion erstaunt war. Die zweifellos wichtigen Worte waren mit einer ganz besonderen, schwer zu fassenden Emotionalität ausgesprochen worden. Der Therapeut konzentrierte sich also länger auf die Worte des Klienten und verfolgte seinen eigenen inneren Assoziationsprozess. Die Worte wurden daraufhin zum Schlüssel für eine komplexe Botschaft, die in den Symptomen enthalten war. Der Klient war das einzige Kind seiner Eltern. Ein Elternteil des Klienten hatte den Holocaust überlebt, der andere überlebte wie durch ein Wunder das Massaker von Wolhynien. In den Herkunftsfamilien beider Eltern waren fast alle Angehörigen ermordet worden, die Häuser wurden niedergebrannt und der gesamte Familienbesitz war verloren gegangen. Der Klient, der ungefähr 15 Jahre nach Kriegsende zur Welt gekommen war, konnte sich also an nichts aus dieser Zeit erinnern. Ganz offensichtlich konnte er sich aber auch nicht nicht erinnern.
Der Therapeut formulierte weitere Fragen und ließ seinen Assoziationen freien Lauf.
•Kann man sein Haus besitzen?
•Wer oder was ist ein Haus?
•Wenn man ein eigenes Haus hat, ist man dann sicher?
•Wenn man ein Haus besitzt, besitzt dann nicht auch das Haus einen Besitzer, und wenn ja, wer besitzt dann wen?
•Wenn das Haus einen Besitzer hat, ist das Haus dann Schutz oder eher eine Falle?
•Ist es besser, in seinem Haus nachts zu schlafen, oder zu wachen?
•Als Schlüsselfrage für die Diagnose erwies sich die Frage danach, welche Erfahrung für den Klienten notwendig wäre, damit er in seinem eigenen Haus in Ruhe schlafen könne.
Im Kontext all dieser Fragen nahm sowohl das Thema Schlaflosigkeit als auch das Bedürfnis des Klienten, im eigenen Haus in Ruhe schlafen zu wollen, eine neue Dimension an. Die Schlaflosigkeit war zwar ein ganz reales Problem des Klienten, aber gleichzeitig auch eine Metapher auf einer anderen Bedeutungsebene von Nacht und Leiden.
Oft hat ein Symptom selbst metaphorischen Charakter, und das Entschlüsseln der darin enthaltenen Bedeutungen kann wichtige Hinweise für die Behandlung liefern.
Herr H. war fast 30, hatte sein Studium abgeschlossen, arbeitete in dem Beruf, den er erlernt hatte, und lebte immer noch bei seinen Eltern. Herr H. war Einzelkind. Die Therapie begann er wegen Depressionen von gemäßigter Intensität, die sich bei ihm hauptsächlich in depressiven Stimmungslagen und in dem Gefühl ausdrückte, das Leben hätte keinen Sinn. Außerdem litt er unter einer Zwangsneurose, die sich in zwanghaftem Waschen, Aufräumen und