Herr A. hatte einige längere Beziehungen hinter sich und war davon überzeugt, dass an deren Scheitern die Frauen Schuld gewesen seien. »Vor allem eine Beziehung war fast tödlich für mich. Meine Freundin hatte mich betrogen, daraufhin habe ich eine Hirnhautentzündung bekommen, die ich gerade so überlebt habe.« Er drückte es sogar so aus: »Diese Frau hat mein Gehirn geschädigt.« In den folgenden Sitzungen erzählte der Klient etwas mehr darüber, wie er aufgewachsen war. »Mein kleiner Bruder war das Kind vom Vater, ich von meiner Mutter. Nur von meiner Mutter, mein Vater hat nämlich getrunken, zwar heimlich, aber er hat getrunken.« In diesem Kontext war nun nicht mehr klar, welche Frau er beschuldigte, ihm das Gehirn geschädigt zu haben und dieser Satz von Herrn A. bekam damit metaphorische Bedeutung.
Die Aufmerksamkeit von Herrn A. war nach außen gerichtet. Auf deutliche Weise gab er anderen die Schuld, wenn bei ihm etwas schiefgegangen war. Dies spiegelte sich dann auch recht schnell in der therapeutischen Beziehung wider.5
Wird die individuelle Tendenz des Klienten, seine Aufmerksamkeit nach außen zu richten, nicht berücksichtigt oder unterschätzt, kann dies zu einem recht häufig begangenen Fehler führen, und der Klient erhält eine Überweisung zur Familien- oder Ehetherapie. Das geschieht dann, wenn der Therapeut nicht erkennt, dass die Beschwerden des Klienten auf dessen nach außen gerichtete Aufmerksamkeit zurückzuführen sind, und sie als Bereitschaft sowohl des Klienten als auch seiner Familie behandelt, gemeinsam an Veränderungen im System zu arbeiten.
Herr B. beklagte sich von der ersten Sitzung an darüber, unzufrieden mit seinem Familienleben zu sein. Vor allem mit seiner Frau würde er sich seit Jahren nicht verstehen. Die beiden hätten völlig unterschiedliche Vorstellungen über die Erziehung der gemeinsamen Kinder. Herr B. sprach ununterbrochen über die Unterschiede zwischen ihm und seiner Frau und die daraus resultierenden Probleme. Der Therapeut deutete dies als Bereitschaft zur Therapie und schlug vor, eine Paartherapie in Erwägung zu ziehen. Er selbst führte allerdings keine Paartherapien durch und wies darauf hin, dass dies ein anderer Therapeut übernehmen müsse. Voll Energie stimmte Herr B. dem zu und begab sich mit seiner Frau zu einer Spezialistin für Ehetherapie. Während der folgenden Sitzungen beklagte er sich über das aggressive Verhalten der Kinder, vor allem des älteren sechzehnjährigen Sohnes. Herr B. redete viel, seine Frau schwieg überwiegend. Sie machte den Eindruck einer gefälligen Person, die es allen recht machen möchte. Keiner der beiden sprach spontan über ihr Verhältnis zueinander. Herr und Frau B. kamen auch nicht miteinander ins Gespräch, es gab keinen Wortwechsel zwischen ihnen, sondern sie wandten sich an die Therapeutin oder in irgendeinen leeren Raum. Die Versuche der Therapeutin, die Aufmerksamkeit auf die eheliche Beziehung zu lenken, wurden von beiden einvernehmlich boykottiert. Der Mann beklagte sich über die Kinder, die Frau schwieg. Während der vierten Sitzung erklärte Herr B., sie seien nicht zufrieden, da sich die Therapie nicht damit befasse, womit sie sich eigentlich befassen sollte, nämlich, das aggressive Verhalten der Kinder zu ändern. Die Therapeutin schlug vor, über eine Familientherapie nachzudenken, bei der man das Verhalten der Kinder besser berücksichtigen könne. Energisch bestand Herr B. darauf, seine Frau stimmte schweigend zu. Sie begaben sich zur nächsten Spezialistin, diesmal gemeinsam mit den Kindern. Nach drei Sitzungen war für die Familientherapeutin klar, dass das Verhalten der Kinder nicht von der Entwicklungsnorm abwich und dass das, was der Vater als unerträgliche Aggression beschrieben hatte, ein gemäßigter Ausdruck von rebellischem Verhalten war, typisch für das Alter des Sohnes.
Die Kinder waren beliebt und hatten Freunde. Sie zeigten recht gute schulische Leistungen und seitens der Schule gab es keinerlei Beanstandungen. Im Verhalten der Kinder gab es nichts, was einer Veränderung bedurfte. Herr B., der sich als Ehemann über seine Frau und als Vater über seine Kinder beklagt hatte, war nach fast zehn Sitzungen bei drei verschiedenen Therapeuten genauso unzufrieden, wie während der ersten Sitzung seiner Einzeltherapie. Aufgrund seiner Tendenz, seine Aufmerksamkeit nach außen zu richteten, war er auch mit allen weiteren Therapeuten unzufrieden.
In der Paartherapie haben wir es häufig damit zu tun, dass die Aufmerksamkeit beider Partner nach außen (auf den Partner) gerichtet ist. Therapiesitzungen mit solchen Paaren sind für gewöhnlich konfliktgeladen und schwierig. Die Partner beschuldigen sich gegenseitig und schieben sich die Verantwortung zu. Die Anspannung und die intensiven Emotionen führen zu einer schnellen Eskalation, wobei sich beide Partner gegenseitig aufputschen. Erkennt der Therapeut rechtzeitig die betreffende Kategorie, kann er die Aufmerksamkeit beider Personen nach innen lenken und somit verhindern, dass der Konflikt während der Therapie eskaliert. Der Mann trinkt, weil seine Frau jeden seiner Schritte kontrolliert und dadurch solch unerträglichen Stress erzeugt, dass es nicht zum Aushalten ist. Die Frau kontrolliert ihren Mann deshalb, weil er trinkt und sie ihn demzufolge nicht aus den Augen lassen kann. Der Mann betrügt seine Frau, weil sie gefühlskalt ist, sie hingegen ist gefühlskalt, weil er sie betrügt. Solch typische Situationen sind Ausdruck davon, dass beide Partner ihre Aufmerksamkeit nach außen richten.
In einem Aphorismus von Julian Tuwim (2011) wird eine Person, die ihre Aufmerksamkeit nach außen richtet, sehr treffend beschrieben: »Ein Mann steht für gewöhnlich sehr lange unter dem Eindruck, den er auf eine Frau gemacht hat.«
Aufmerksamkeit, die nach außen gerichtet ist, lässt sich auch bei Personen beobachten, die von ihrer Umgebung völliges Verständnis, Fürsorge oder Unterordnung verlangen. Eine nach innen gerichtete Aufmerksamkeit ist wiederum mit Selbstbeschuldigungen und einem übersteigerten Schuldgefühl verbunden, was häufig bei Depressionen auftritt. Diese Ausrichtung der Aufmerksamkeit ist auch charakteristisch für Personen mit Anorexie, die sich intensiv auf ihren Körper und vor allem auf dessen Aussehen konzentrieren, dem sie eine gewaltige Bedeutung beimessen, bis hin zu einer übersteigerten Wertigkeit.
Die Richtung der Aufmerksamkeit – nach außen oder nach innen – ist eine häufig angewendete diagnostische Kategorie und stellt einen klare Hinweis für die Behandlungsstrategie sowie für den Aufbau von Suggestion und Hypnoseinduktion dar. Einer Person, deren Aufmerksamkeit nach innen gerichtet ist, und die demzufolge mehr auf sich selbst als auf andere hört, wird es viel leichter fallen, mit dem Therapeuten zusammenzuarbeiten, wenn er vorwiegend indirekte Botschaften oder Metaphern verwendet. In diesem Fall hilft es auch, wenn sich der Therapeut auf die individuellen Erfahrungen des Klienten beruft. Personen, deren Aufmerksamkeit nach außen gerichtet ist, reagieren dagegen besser auf direkte Botschaften. Erickson betonte, wichtig es sei, ganz genau zu beobachten, in welcher Weise eine Person darauf reagiert, was andere Menschen sagen. Er bezeichnete das als »reaktionsbereite« Aufmerksamkeit (»response attentivenesse«, vgl. Rossi, Erickson-Klein a. Rossi 2010e, p. 16).
Die Aufmerksamkeit des Klienten kann darüber hinaus als fokussiert oder zerstreut, linear oder mosaikartig bezeichnet werden. Eine mosaikartige Aufmerksamkeit bedeutet, dass die Wirklichkeit aus Elementen zusammengesetzt wird, die gar nicht zueinander zu passen scheinen, was typisch für die Phase der Adoleszenz ist. In dieser Phase ist die Aufmerksamkeit stark nach außen gerichtet, weshalb auf Kränkungen seitens Gleichaltriger so empfindlich reagiert wird, die Meinung des Umfelds und die Position in der Gruppe so wichtig sind und die starke Überzeugung herrscht, Aussehen und Verhalten des Heranwachsenden wären für seine Umgebung von großer Bedeutung.
2.3Das Verarbeiten von Ereignissen
Diese Kategorie beschreibt, wie ein Individuum sich seine eigene und einzigartige innere Landkarte erstellt, die es dann im täglichen Leben nutzt. Sie lässt sich auf drei Ebenen beschreiben, die sich auf das Verarbeiten von Ereignissen beziehen:
•Ereignisse erschaffen
•Ereignisse verzerren (distorting)
•Ereignisse ausblenden, ignorieren (deleting)
Eine Person, die Ereignisse erschafft, ist beispielsweise ein Klient mit Angststörung. Der depressive Klient ignoriert (reduziert) Ereignisse und ein Klient