Die wichtigsten Werke von Jacob Burckhardt. Jacob Burckhardt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jacob Burckhardt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788027213764
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genau bekannten Verhältnissen taucht bisweilen eine Tatsache von erster Wichtigkeit auf, deren tiefere Gründe sich dem betrachtenden Auge beharrlich entziehen. Ein solches Ereignis ist die grosse diocletianische Christenverfolgung, der letzte Vertilgungskrieg des Heidentums gegen das Christentum. Auf den ersten Blick ist nichts Befremdliches dabei; Diocletian hatte nur allzuviele Vorgänger auf dem Throne der Welt, welche ebenfalls die Christen hatten ausrotten wollen, und von einem so eifrigen, altgesinnten Heiden, wie er war, sollte man kaum etwas anderes erwarten. Allein die Frage gewinnt eine ganz andere Gestalt, wenn man die nähern Umstände in Betracht zieht. Seit Gallienus, das heisst seit mehr als vierzig Jahren, waren die Christen unangefochten geblieben, und zu dieser Zeit gehören noch die achtzehn ersten Regierungsjahre Diocletians selber. Nachdem er bereits die Manichäer mit Scheiterhaufen zu bestrafen befohlen (296), liess er die Christen noch sieben Jahre in Ruhe. Seine Gemahlin Prisca und seine Tochter Valeria sollen den Christen nicht ungünstig gesinnt gewesen sein; ja, er duldete um seine geheiligte Person herum546 christliche Kammerherrn und Pagen, denen er wie ein Vater zugetan war; die Hofleute durften mit Weib und Kind unter seinen Augen der christlichen Andacht pflegen; Christen, die er als Statthalter in die Provinzen sandte, wurden von den mit dieser Stellung verbundenen feierlichen Opfern in Gnaden dispensiert. Die christliche Gemeinde, in dem Gefühl totaler Sicherheit, verstärkte sich ausserordentlich, so dass nirgend mehr die alten Versammlungsorte genügten. Überall musste neu gebaut werden; in den grossen Städten erhoben sich ungescheut sehr prachtvolle Kirchen. – Wenn die Regierung irgendeinen Gedanken künftiger Verfolgung hatte, so durfte sie die Christen nicht so ohne Widerstand zur Macht im Staate anschwellen lassen. Man könnte sagen, sie sei es eben erst spät und allmählich innegeworden, dass das Christentum bei absoluter Duldung nach dem Übergewicht547 streben würde, allein so gedankenlos war Diocletian nicht. Aus seiner entweder ursprünglichen oder allmählich gebildeten Denkweise allein, ohne besondern Anlass, kann die Verfolgung, wie mir scheint, unmöglich hervorgegangen sein. Die Beurteilung dieses Gegenstandes muss überhaupt davon ausgehen, dass man es mit einem der grössten römischen Imperatoren, mit einem Retter des Reiches und der Zivilisation, mit dem scharfsichtigsten Beurteiler seiner Zeit zu tun hat, dessen politisches Andenken ganz anders dastände, wenn er im Jahre 302 gestorben wäre. »Er war ein hervorragender Mensch, klug, eifrig für den Staat, eifrig für die Seinigen, gerüstet, welche Aufgabe auch an ihn kommen mochte, stets unergründlich in seinen Gedanken, bisweilen verwegen, sonst vorsichtig; die Bewegungen des unruhigen Innern drängte er durch gewaltige Beharrlichkeit zurück548

      Es handelt sich nun darum, zu erforschen, ob das, was dieses grosse Andenken verdunkelt, ein blosser Ausbruch angeborner Grausamkeit und Brutalität war, oder eine Folge des oben geschilderten Aberglaubens, oder eine elende Nachgiebigkeit gegen Mitregenten, die tief unter ihm standen, oder ob nicht endlich für den Geschichtsforscher hier die Pflicht vorliegt, nach einem Auswege zu suchen, der neben dem geschriebenen Buchstaben vorbeiführt. Die Christen haben den Namen Diocletians mit Fluch völlig zugeschüttet; die Heiden von römisch-griechischer Bildung konnten ihm ebenfalls nicht hold sein, weil er den Orientalismus in das politische und gesellige Leben einführte; die einzigen Geschichtschreiber aber, die möglicherweise den wahren Zusammenhang der Dinge darstellten – Ammian und Zosimus – sind verstümmelt, und zwar vielleicht ebendeshalb. Unter solchen Umständen ist es ganz überflüssig, aus den vorhandenen Quellen das Wesentliche und Entscheidende direkt ermitteln zu wollen.

      Dieser Art ist die einzige zusammenhängende Darstellung der grossen Katastrophe. Und Lactantius war damals in Nikodemien