Die Malerei hatte aber in dieser Zeit ohne Presse überhaupt oft die Aufgabe, dem Volk die Macht der Herrscher rasch zu versinnlichen, wie heutigentages Manifeste und Proklamationen. Das erste bei jeder Thronbesteigung ist, dass das Bildnis des neuen Kaisers herumgesandt514 und überall mit Zeremonien empfangen wird. Transportable Bilder werden im Felde mitgenommen und am Praetorium aufgestellt515; sogar an Feldzeichen findet man (etwa von Metall getriebene) Porträtfiguren angebracht516. Erfochtene Siege werden auf ungeheuern Tuchflächen oder Tafeln abgemalt und öffentlich ausgestellt517; Aufzüge der Gesandten fremder Völker518, ganze Feste und Schauspiele519, Triumphzüge und Feierlichkeiten aller Art520 erhalten eine bleibende, monumentale Darstellung als Friesbilder in den Palästen. Constantin verherrlichte seinen Sieg über Licinius durch ein grosses enkaustisches Bild521 symbolischen Inhaltes, welches vor den Toren der Residenz aufgerichtet wurde; man sah ihn und seine Söhne, zu ihren Füssen wand sich der Überwundene als Drache mit Pfeilen im Leib, unter ihm der Abgrund; über dem Ganzen schwebte das Kreuzeszeichen. Später liess sich der Kaiser im Giebel einer Palastpforte in betender Stellung abmalen522. Nach seinem Tode wurde noch in Rom523 ein grosses Gemälde zu seinen Ehren aufgestellt, welches eine Allegorie des Himmels und ihn in verklärter Höhe darüber thronend schilderte.
Mit der wahren Kunst hatten Improvisationen dieser Art wenig mehr zu tun. Es drückt sich aber in ihnen eine Seite des ganzen Schicksals der Kunst aus, insofern diese schon zur heidnischen Zeit eine Dienerin der Tendenz im Grossen geworden war und mit dem Sieg des Christentums vollends nur den Herrn, nicht die Stellung wechseln konnte. Viele Jahrhunderte hindurch darf sie, von ihren Gegenständen vollkommen beherrscht, ihren innern Gesetzen gar nicht oder nur unvollständig nachleben, und damit war tatsächlich eine der stärksten Negationen der antiken Weltanschauung ausgesprochen.
Die Herrschaft der Gegenstände über die Formen war es denn auch, was im Gebiete der christlichen Kunst der Malerei den Vorrang vor der Skulptur verschaffen musste. Der plastische Typus der heiligen Gestalten allein, selbst mit den Kunstmitteln eines Phidias durchgeführt, hätte ein Götzentum geschienen; mit den Formen der sinkenden Zeit bekleidet, stellte er nur eine Karikatur vor neben den grossen Werken des Altertums524; das Christentum brauchte daher, wenn es auf künstlerischem Wege Eindruck machen wollte, eine erzählende oder symbolisch kombinierende, also eine figurenreiche Kunst und war deshalb wesentlich auf die Malerei oder auf die Zwischengattung des Reliefs angewiesen. Wir machen hier nicht einmal die falsche persönliche Stellung zu den Bildhauern geltend, welche als bisherige Götzenknechte verachtet wurden.
Was die bildende Kunst in diesen Zeiten nicht vermochte, das sollte auch die Poesie nicht leisten. Vom lebendigen Zusammenhang mit dem Drama abgeschnitten, der epischen Behandlung mythischer Stoffe im ganzen aus Ermüdung abhold (S. 187 und 188), die historische Dichtung wie alles Modern-Geschichtliche (S. 310) verschmähend, konnte sie sich nur auf die Lyrik und auf den Roman zurückziehen. Man dichtete zwar in den meisten Gattungen schulgemäss weiter und war sich dessen bewusst, allein von mehr und mehr verblassenden Reminiszenzen einer bessern Zeit, wie zum Beispiel die Bukoliker und Lehrdichter des dritten Jahrhunderts, ein Calpurnius Siculus, Nemesianus, Serenus Sammoniacus u. a. sie darbieten, kann eine Literatur nicht leben, soviel Talent auch im einzelnen Fall zum Vorschein kommen mag. Die Lyrik dagegen kann sich ewig verjüngen wie das menschliche Herz und selbst in Zeiten des allgemeinsten Jammers einzelne herrliche Blüten treiben, sei es auch in unvollkommener Form; sodann ist der Roman die eigentliche Form des Ersatzes, wenn es mit der volkstümlichen Lebenskraft des Epos und des Dramas525 vorüber ist.
Leider ist diese ganze Literatur der letzten Heiden nur sehr bruchstückweise und das Vorhandene ohne den rechten Zusammenhang auf unsere Zeit gekommen, doch sind wenigstens ansehnliche Denkmäler vorhanden im Roman526. Erhalten sind zum Beispiel »Hirtengeschichten« in griechischer Sprache, welche man einem Longus zuschreibt, dessen blosser Name schon das Resultat eines Missverständnisses sein könnte und den man überdies in keine bestimmte Zeit zu verlegen weiss. Diese reizend erzählten Schicksale von Daphnis und Chloe würden aber das ganze ästhetische Urteil über dasjenige Jahrhundert – am ehesten doch noch das dritte! – wesentlich mitbestimmen, welchem der fragliche Verfasser angehört. Über den von Theokrit ererbten bukolischen Gesichtskreis gehen diese Schilderungen mit ihrem sehr durchgeführten Naturalismus der Szenerie, mit ihrer verfeinerten Seelenbeobachtung weit hinaus; eine Zeit, die dieses Buch schaffen konnte, war – so scheint es – auch von einer ausgebildeten Genre- und Landschaftsmalerei nicht mehr weit entfernt. Allein die Leistung steht für uns völlig vereinzelt, und wenn man sie mit andern spätgriechischen Romanen vergleichen will, so entziehen sich zum Teil auch diese samt ihren Verfassern der festen Zeitbestimmung. Von dem öfter erwähnten Heliodor, dem Verfasser der Aethiopica, bleibt es zweifelhaft, ob er wirklich der Bischof dieses Namens von Tricca in Thessalien um das Jahr 400 gewesen ist, oder ob man nicht viel eher dem mehr als ein Jahrhundert ältern emesenischen Heiden (als welchen sich der Verfasser zu erkennen gibt) den bischöflichen Titel beilegte, um sein Buch in christlichen Bibliotheken behalten zu dürfen. Das Ziel des Autors ist übrigens wieder wie bei Xenophon dem Ephesier eine möglichst bunte Reihe von Abenteuern, worin dann Spätere nach Kräften mit ihm gewetteifert haben; von der folgerechten, wahrhaft künstlerischen Charakterschilderung des Longus, von seiner weisen Beschränkung in Kostüm und Örtlichkeit findet sich keine Spur; es ist Lektüre der Zerstreuung und wahrlich oft keiner angenehmen.
Heliodor verweilt hin und wieder (zum Beispiel am Anfang des Werkes) mit einiger Absicht auf landschaftlichen Schilderungen, und auch bei Longus kommen Versuche dieser Art vor. Ich wage es nicht, die von Humboldt entworfene Geschichte des landschaftlichen Schönheitsgefühles527 hier in dürftigen Umrissen nachzuzeichnen, und verweise nur bei diesem Anlass pflichtgemäss auf jene unvergleichliche Darstellung, welche die Sache selbst und ihr Verhältnis zu den sonstigen geistigen Richtungen der spätantiken Zeit so meisterhaft erörtert528.
Die wahre Lyrik dieser Zeit, wenn es eine solche gab, besitzen wir nicht mehr; Klänge wie das »Pervigilium Veneris« (um 252?), wie das »Gelübde an den Oceanus«529 reichen schwerlich über die Mitte des dritten Jahrhunderts herab. Einige leidliche Aufschwünge in der elegischen und