Der Menschenschlag im Römischen Reiche war von vorneherein ausserordentlich verschieden je nach den einzelnen Gegenden und je nach den Schicksalen derselben; manche Bevölkerungen darf man sich blühend, andere verkümmert vorstellen. Allein die Durchschnittsform, welche in der bildenden Kunst auftritt, ist in dieser Zeit doch wohl im ganzen diejenige Italiens. Wann und durch welches Ereignis hat sich nun hier und vielleicht im ganzen Reiche der äussere Mensch zu seinem Nachteil verändert?
Die Antwort liegt nahe. Zwei sehr furchtbare Pestilenzen, unter Marc Aurel (167) und dann wieder seit Gallus (252) hatten die Bevölkerung des Reiches unheilbar erschüttert; die letztgenannte Pest481 soll sogar fünfzehn Jahre gedauert, keine Gegend des Reiches verschont und manche Städte völlig verödet haben. Rechnet man hinzu die unaufhörlichen Kriege, sowohl um den Thron im Innern als gegen die Barbaren nach aussen, so ergibt sich als notwendige Folge das Brachliegen aller Pflanzungen und somit eine Hungersnot, welche der Krankheit unaufhörlich neue Gewalt verleihen musste. Von den höhern Ständen aber mag Sorge und Gram nicht mehr gewichen sein. Die Ansiedelungen von Barbaren taten dann noch das übrige, um den Typus des Menschengeschlechtes im Reiche gänzlich umzugestalten, und dies dann wohl eher in günstigem Sinne.
Nun stirbt in Unglückszeiten jener Art nicht bloss physisch ein altes Geschlecht aus; alte Sitten und Bräuche, nationale Anschauungen, geistige Bestrebungen aller Art gehen mit demselben unter. Dies ist nicht so zu verstehen, als müsste auch die Moralität gesunken sein; eher liesse sich ein Steigen derselben in der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts beweisen. Von dem Kaiserthron (siehe den ersten Abschnitt) wird man es kaum leugnen können; die Zeit der Caracalla und Maximine ist vorbei; Carinus geht unter, weil er eine verspätete Anomalie in seinem Jahrzehnt ist. Bei den spätern sogenannten Scheusalen, wie Maxentius, hat Ausschweifung und Missetat etwas Kleinbürgerliches im Vergleich mit den früheren. Die Sittenpolizei erscheint im Zunehmen482, und mit ihr wohl auch die äussere Sitte; noch Diocletian ist emsig bemüht, die verwilderten Matrimonialverhältnisse zu säubern483 und dem wirren Durcheinanderheiraten in demselben Hause und in den nächsten Graden zu begegnen. Des grossen und massenhaften Skandals wird auffallend weniger. Dass Constantins Privatleben insbesondere von dergleichen so gut wie völlig frei gewesen, hat man mit Recht aus dem Schweigen der ihm abgeneigten Schriftsteller geschlossen. Die Regierung lässt sich mehr und mehr auf Massregeln der allgemeinen Humanität ein und erkennt die Pflicht einer durchgehenden Sorge für die Untertanen an, während sie freilich zu derselben Zeit einen gewaltigen Druck ausüben muss und sich auch in den Mitteln zum Bessern, wie zum Beispiel in dem Maximum der Lebensmittel, und in den ganz barbarischen Kriminalstrafen mannigfach vergreift. – Analogien dieser gesteigerten Moralität in der spätheidnischen Religion, in dem ascetischen Idealismus der Philosophen wurden bereits nachgewiesen, es musste aber hier der ganzen Sache noch einmal gedacht werden. Denn vielleicht war diese Umkehr zur Besonnenheit und Mässigung gerade auch ein Symptom der Alterung, von welcher hier die Rede ist; um so weniger konnte sie die abgelebte alte Welt noch einmal verjüngen.
Nachdem wir die Abnahme des physisch schönen Menschen konstatiert, schreiten wir weiter zur Betrachtung seiner äussern Umgebung, und zwar zunächst der Kleidung. Hier spricht die bildende Kunst nicht den damaligen Tatbestand aus, weil sie in der Regel die Gewandung der blühenden, längstvergangenen Kunstepochen festhält, diese aber von allem Anfang an eine ideale gewesen ist; so stellt zum Beispiel selbst der Panathenäenzug am Parthenon nicht die wirkliche Tracht der Athener zur Zeit des Phidias dar, sondern nur die ins Schöne vereinfachten Elemente derselben. Wenn nun in den römischen Bildwerken der constantinischen Zeit noch immer Toga und Tunica, nebst der Chlamys bei nackten Figuren, vorherrschen, so darf man daraus vollends nicht auf eine Durchschnittstracht schliessen. Viel richtiger führen uns hier die schriftlichen Aussagen, und diese geben Kunde von einer überladenen, ausgearteten Tracht, welche wohl ein römischer Rococo heissen könnte, wenn man uns diesen profanen Ausdruck gestatten will.
Statt einen Abschnitt aus den vorhandenen Geschichten des Kostüms herzusetzen, begnügen wir uns mit einigen Andeutungen. Es gibt ein Gedicht484 aus der ersten Hälfte des vierten Jahrhunderts, von Arborius, dem Oheim Ausons, »An eine allzusehr geputzte Nymphe«, worin ein gallisches Mädchen beschrieben wird. Ihr Haar ist mit Bändern durchflochten und in eine grosse Spirale (in multiplicem orbem) toupiert; oben darauf sitzt noch eine Haube von Goldstoff; das Halsband scheint rot, etwa von Korallen, gewesen zu sein; das Kleid reicht hoch bis an den Hals herauf und ist mit Binden wie mit einer Schnürbrust umgeben. Überhaupt hatten die anliegenden Kleider, zumal die Ärmel485, sehr überhand genommen. Die genannten Haartouren waren schon seit Jahrhunderten in der Regel aufgesetzt und sind selbst an einzelnen Marmorbüsten zum Abnehmen beim Wechsel der Mode eingerichtet. Früher als Arborius klagt Arnobius über die Binden, wahrscheinlich von Goldstoff, womit viele Damen sich die Stirn verdeckten, sowie über ihre nach Mannesart gebrannten Haare. Ganz widerwärtig ist vollends die Art des Schminkens, welche dem Gesicht nicht bloss eine andere Farbe, sondern selbst eine andere Form gab. Die rote wie die weisse Schminke nämlich wurden so stark aufgetragen, dass die Frauen aussahen »wie Götzenbilder«, und dass jede Träne, welche über die Wange floss, eine Furche zurückliess. So spottet wenigstens Sanct Hieronymus, welcher aus seiner frühern Zeit hierüber Bescheid wissen musste. Eine Hauptveränderung, die vielleicht gerade in diese Zeit fällt, ist das Aufkommen gemodelter und geblümter