Diese vornehme Gesellschaft gibt sich noch als eine heidnische zu erkennen, zunächst durch ihren Aberglauben; sobald es sich zum Beispiel um Testamente und Erbschaften handelt, werden die Haruspices gerufen, um in den Eingeweiden der Tiere Bescheid zu suchen; ja, ganz Ungläubige mögen doch weder über die Strasse, noch zu Tische, noch ins Bad gehen, ohne sich in der Ephemeris, dem astrologischen Kalender, nach dem Stand der Gestirne umzusehen887. Wir wissen aus andern Quellen, dass namentlich die grosse Mehrzahl des Senates bis auf die Zeiten des Theodosius heidnisch war888. Man tat alles mögliche, um die Priestertümer und Zeremonien vollständig zu erhalten; wie viel Mühe und Kummer hat es sich zum Beispiel Symmachus kosten lassen889! Allein neben den öffentlichen Sacra wurden auch die Geheimdienste von den angesehensten Römern des vierten Jahrhunderts mit dem grössten Eifer betrieben, und zwar, wie oben (S. 256 f.) bemerkt, in einer eigentümlichen Verschmelzung. Indem der einzelne womöglich alle üblichen Geheimweihen auf sich nahm, wollte er sich stärken und zusammennehmen gegen das überall vordringende Christentum890.
Alles erwogen, möchte dieser heidnische Senat von Rom noch immer die achtungswerteste Versammlung und Gesellschaft des Reiches gewesen sein. Trotz den Übelreden Ammians müssen sich hier noch sehr viele Männer – Provinzialen wie Stadtrömer – von tüchtiger, altrömischer Gesinnung gefunden haben, in deren Familien gewisse Überlieferungen herrschend waren, welche man in Alexandrien und Antiochien oder gar in Konstantinopel vergebens gesucht hätte. Vor allem achteten die Senatoren selber den Senat – asylum mundi totius891. Sie verlangten noch einen eigenen, einfach ernsten Redestil892, der nichts Theatralisches haben durfte; überall sucht man wenigstens die Fiktion aufrechtzuhalten, als ob Rom noch das alte und der Römer noch Bürger wäre893. Es sind wohl nur grosse Worte, wenn man will, aber einige treten doch auf, deren Schuld es nicht ist, wenn keine grossen Dinge mehr daraus entstehen894. Bei Symmachus selber erscheint der Mut der Fürsprache für Bedrängte895 höchst achtungswert und wiegt, ähnlich wie der Patriotismus des Eumenius (S. 103 ff.), die unvermeidlichen Schmeichelformen wohl auf, denen er sich anderwärts unterzieht. Als grosser, unabhängiger Herr war er persönlich über die Titulaturen hinaus896, welche so manchen glücklich machten.
Die höhere Bildung, die in diesen Kreisen waltete, darf man so wenig als das übrige buchstäblich nach den Aussagen Ammians beurteilen, der den Römern keine andere Lektüre zugesteht, als den Juvenal und die Kaisergeschichte des Marius Maximus, wovon bekanntlich die erste Hälfte der Historia Augusta eine dürftige Bearbeitung ist. Auf das literarische Stelldichein beim Friedenstempel (wo sich auch eine der achtundzwanzig öffentlichen Bibliotheken befand) ist nicht viel zu geben, indem dort sogar ein Trebellius Pollio mit seiner Ware auftreten durfte897. Wohl aber zeigt der Freundeskreis, den Macrobius um sich versammelt, die Umgebung, in der sich Symmachus bewegt, wie viel wahre Bildung in den höhern Ständen noch vorhanden war. Man darf sich durch die (für uns sehr nützliche) Pedanterie des erstern, durch die gesuchte plinianische Schreibart des letztern nicht irre machen lassen. Es handelt sich allerdings um eine sinkende, mehr zum Sammeln und Betrachten als zum Schaffen geeignete Literaturepoche; der Epigone verrät sich durch sein Schwanken zwischen plautinischen Archaismen und den allermodernsten abstrakten Substantiven898; schon glaubt man die Einseitigkeit der romanischen Völker zu erkennen, welche mit einem Wörterbuch eine Literatur aufrecht halten möchten; in den niedlich gedrechselten Briefen und Billets des Symmachus ist unleugbar lauter bewusste Kunst899. Allein die Verehrung der ältern Literatur, welcher allein wir vielleicht deren Erhaltung verdanken, war für das damalige geistige Leben so viel wert, als der Kultus Ariosts und Tassos für das jetzige Italien. Das höchste Geschenk, welches Symmachus einem Freunde machen kann, ist eine Abschrift des Livius900; eine wahre Anbetung genoss vollends Virgil, der unaufhörlich analysiert, erklärt, auswendig gelernt, zu Centonen verarbeitet und sogar als Schicksalsbuch (S. 294) aufgeschlagen wurde. In dieser Zeit schon mochte die Sage das Leben des grossen Dichters in das Wunderbare und Zauberhafte zu verkehren begonnen haben.
Einen flüchtigen Blick verdient endlich auch das Landleben dieser vornehmen Römer. Derselbe Mann, der seiner Tochter vor allem das emsige Wollespinnen, wenigstens die Aufsicht über die spinnenden Mägde zum Ruhme anrechnet901, besass Dutzende von Villen, deren ungeheuer ausgedehnte Bewirtschaftung allein schon an Aufsehern, Notarien, Zinseintreibern, Bauleuten, Fuhrleuten und Boten eine ganze Schar erforderte, der Tausende von landbauenden Sklaven und Kolonen zu geschweigen. Durch das Aussterben so vieler grosser Familien müssen die Latifundien, welche schon längst »Italien zugrundegerichtet«, sich in immer wenigem Händen konzentriert haben. Niemand leugnet, dass dies im ganzen ein Unheil war, und die Abhängigkeit Italiens von den afrikanischen Kornflotten beweist es zur Genüge. Auch die Besitzer selbst waren nicht immer glücklich; von der Regierung mit Verdacht angesehen, mit Ehrenpflichten überlastet, mit Einquartierungen heimgesucht902, vielleicht auch oft durch eine verwickelte Geldwirtschaft gedrückt, erfreuten sie sich doch nur in beschränktem Mass ihrer beinahe fürstlichen Stellung. Wer aber noch geniessen konnte, den musste die nach Jahreszeiten abwechselnde Residenz auf diesen Landhäusern beglücken, von welchen wenigstens die ältern noch an die Schönheit plinianischer Villen erinnern mochten. Symmachus besass, um in der Nähe von Rom zu beginnen, Landhäuser an der Via Appia und am Vatikan, bei Ostia, Praeneste, Lavinium und dem kühlen Tibur, dann einen Landsitz bei Formiae, ein Haus in Capua, sowie Güter in Samnium, Apulien und selbst in Mauretanien. In einer solchen Reihe durften auch Besitzungen an der paradiesischen Küste von Neapel nicht fehlen. Die Römer gaben hier von jeher dem Golf von Baiae einen für uns nicht wohl begreiflichen Vorzug vor dem neapolitanischen; vom Avernischen See auf buntbemalter Barke hinauszufahren in das Meer nach Puteoli, galt noch immer als wonnevolle Lustpartie; über die ruhige Flut tönte von allen Schiffen Gesang, aus den ins Meer gebauten Villen das Geräusch froher Gelage; und weit draussen das Plätschern mutwilliger Schwimmer903. Wenn nun hier Lucull mit seiner Üppigkeit das höchste Vorbild war, und die Einsamkeit904, die man zu suchen vorgab, in dieser mehrere Meilen langen Reihe von Villen und Palästen kaum gedeihen konnte, so wird das echte römische Landleben viel eher auf den zur eigentlichen Ökonomie bestimmten Gütern geblüht haben. Hier feierte der Römer vorzüglich gern seine Herbstfreude: »Der neue Wein ist gekeltert und den Fässern anvertraut; Leitern führen bis in