Dies galt schon äusserlich, in architektonischer Beziehung. Es brauchte später eine lange Zerstörung und einen beharrlichen Umbau, bis aus dem Rom der Kaiserzeit das christliche Rom mit seinen Basiliken, Patriarchien und Klöstern emporstieg. Noch die Bauten des dritten Jahrhunderts hatten der Verherrlichung des Heidentumes, seiner Kultur und seiner Genüsse im grössten Maßstabe gedient. Die Thermen des Caracalla, des Alexander Severus, des Decius und Philippus, später die des Diocletian und des Constantin, die Ausschmückung des Trajansforums, die herrliche Villa der Gordiane, der Sonnentempel Aurelians, die Basilika und der Zirkus des Maxentius, endlich jenes vom jüngern Gordian gehegte, von Gallienus vergrösserte, aber nicht ausgeführte Projekt einer reichen Säulenhalle mit Terrassen, welche das ganze Marsfeld durchziehen und dann die Via Flaminia bis zur milvischen Brücke einfassen sollte – dies alles charakterisiert den Baugeist jener Epoche. Aus der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts besitzen wir noch die Regionenbücher, die allerdings in ihrer echten Gestalt851 dürftiger lauten als in der früher geltenden Interpolation852, welche u. a. über anderthalbhundert Tempel mit Namen aufzählte. Allein durch einen wohlberechtigten Rückschluss gelangt man doch zu ungeheuern Resultaten. Die Regionenbücher (sowohl das sogenannte Curiosum urbis als die Notitia) schildern nämlich nicht den baulichen Inhalt der vierzehn Stadtquartiere, sondern bloss die Grenzen derselben und nennen doch schon bei diesem Anlass eine ausserordentliche Menge von Tempeln, Foren, Basiliken, Thermen, Gärten, Hallen, Gebäuden für Spiele, Statuen usw. – daneben freilich keine einzige Kirche. Dies letztere wohl absichtlich853; denn zur Zeit des Constantius und des Theodosius mussten schon viele sehr bedeutende Kirchen vorhanden sein, die nur der Heide ignorierte. Man mag sich aber dieselben gemäss dem Reichtum und der Macht der christlichen Gemeinde Roms so prächtig und ausgedehnt vorstellen als man will – sie konnten doch jedenfalls nicht aufkommen gegenüber der alten heidnischen Herrlichkeit. Die Zusammenstellung des Wichtigsten am Ende der beiden Bücher ist gerade in den Zahlenangaben unzuverlässig, doch wird man vielleicht noch unter der Wahrheit bleiben, wenn man zu den achtundzwanzig Bibliotheken, den eilf Foren, den zehn grossen Basiliken, den eilf riesenhaften Thermenbauten nur zwei Amphitheater, drei Theater, zwei Zirken usw. hinzurechnet, denn diese letztern Annahmen sind schon den vorhandenen Resten nach zu niedrig. Zu diesen und andern kolossal und würdig ausgestatteten Bauten muss sich die Phantasie – die nur mit Mühe folgen kann – noch eine unendliche Fülle des herrlichsten plastischen Schmuckes hinzudenken, nämlich die vierunddreissig (oder 36) marmornen Triumphbogen und zahllose öffentlich aufgestellte Statuen und Gruppen. Und dies alles malerisch verteilt auf Tal und Hügel, belebt und unterbrochen durch Gärten und Baumgruppen (luci), hell durchrauscht von springenden Wassern, welche auf neunzehn hochgewölbten Leitungen aus den Gebirgen herniederkamen, um Menschen und Tiere, Luft und Grün in der gewaltigen Stadt frisch zu halten854. Kolossal zu bauen haben viele alte und neue Völker verstanden; die Gestalt des damaligen Roms aber wird in der Geschichte einzig bleiben, weil nie mehr die durch griechische Kunst geweckte Lust an der Schönheit mit solchen Mitteln der äussern Ausführung und mit einem solchen Bedürfnis nach prachtvoller Umgebung des Lebens zusammentreffen wird. Wer in jener Zeit etwa mit den Eindrücken Konstantinopels nach Rom kam, wie zum Beispiel Constantius, als er im Jahr 356 seinen Triumph über den besiegten Magnentius hielt, der konnte nur staunen und verstummen und meinte jedesmal, wenn er etwas Neues sah, das Allerschönste zu sehen; als der Gipfel des Wunderbaren aber galt, wie wir bei diesem Anlass vernehmen855, das Forum Trajans mit der Basilica Ulpia.
Und all diese Herrlichkeit war für eine Bevölkerung vorhanden, deren Zahl von mehrern unserer jetzigen Hauptstädte erreicht und übertroffen wird. Die Herrscherin des Weltreiches, welches unter Vespasian auf hundertzwanzig Millionen Seelen angeschlagen werden konnte, hatte wahrscheinlich kaum je über anderthalb Millionen Einwohner856. Die neuere Forschung ist von den frühern, zum Teil ganz töricht übertriebenen Annahmen zurückgekommen, seitdem die Bodenfläche Roms und seiner Vorstädte, die grosse Ausdehnung des unbewohnten, bloss dem Verkehr und der Pracht dienenden Raumes und die Dichtigkeit der Bevölkerung neuerer Hauptstädte im Verhältnis zum Flächenraum bei der Berechnung zugrunde gelegt werden857. Man kann sich in der Tat fragen, woher nur die Menschen kamen, welche all die Tempel, Theater, Zirken, Thermen und Haine benützen und geniessen sollten. Das Kolosseum allein konnte vielleicht den fünfzehnten Teil der ganzen Einwohnerschaft fassen, der Circus maximus über ein Zehnteil858. Um solche Räume zu füllen, bedurfte es allerdings eines Volkes, welches seit Jahrhunderten von seinen Herrschern dazu erzogen war, welches von Spenden lebte und nichts als einen unaufhörlichen, stets gesteigerten Genuss kannte und verlangte. Die bedeutende Menge eheloser, wenig oder gar nicht beschäftigter Menschen, die Einwanderung reicher Provinzialen, die Konzentrierung des Luxus und des Verderbens, endlich das Zusammenlaufen der grössten Regierungs- und Geldangelegenheiten müssen der Bewohnerschaft Roms einen Typus mitgeteilt haben, dem sich nichts Ähnliches an die Seite stellen liess.
In dieser bunten Mischung, durch alle ihre Schichten hindurch, gab es zwei verschiedene Gesellschaften, eine heidnische und eine christliche. Wie die letztere sich in den ersten drei Jahrhunderten des Glaubens, zur Zeit der Verfolgungen, ausgebildet und benommen hatte, gehört nicht hieher; aus der kritischen Zeit Constantins, da sie gewiss zunahm und sich innerlich änderte, haben wir keine genügende Kunde; die Schilderungen aus der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts aber, namentlich bei S. Hieronymus, zeigen sie bereits sehr ausgeartet. Die Welt mit ihren Lüsten hatte sich in die obern wie in die untern Klassen der Gemeinde von Rom eingedrängt; man konnte eifrig andächtig und dabei sehr sittenlos sein. Fürchterliche Krisen bewegten zu Zeiten die ganze Gemeinde; aus Ammianus wissen wir, dass beim Streit des Damasus und Ursinus um das Bistum (366) eines Tages hundertsiebenunddreissig Erschlagene in der sicinischen Basilika lagen. Hieronymus, welcher der Sekretär des siegreichen Bischofs Damasus wurde, lernte in dieser Stellung Gross und Klein kennen; er wusste, wie allgemein die Tötung der noch ungeborenen Kinder war859; er sah zwei Leute aus dem Pöbel sich heiraten, wovon der Mann schon zwanzig Weiber, das Weib schon zweiundzwanzig Männer begraben hatte860; nirgends macht er ein Hehl aus der allgemeinen Verderbnis. Aber am genausten schildert er die vornehmen Stände und gewisse Geistliche, und zwar in ihrer Wechselwirkung. Fürstlich zieht die grosse Dame, die reiche Witwe einher, mit vollen, rotgeschminkten Wangen861; ihre Sänfte ist umgeben von Verschnittenen. Mit dem nämlichen Gefolge erscheint sie fleissig in den Kirchen und schreitet, Almosen spendend, majestätisch durch ein Spalier von Bettlern. Zu Hause hat sie Bibeln auf Purpurpergament mit Gold geschrieben und mit Edelsteinen besetzt, kann aber dabei die Armen hungern lassen, wenn ihrer Eitelkeit nicht gedient wird. Ein Ausrufer geht in der Stadt herum, wenn die Dame zu einer Agape, einem Liebesmahl, einladen will. Auch sonst ist bei ihr offene Tafel; unter andern Schmeichlern treten Kleriker heran, küssen die Frau vom Hause und machen eine Handbewegung – zum Segnen, sollte man glauben: nein, um eine Gabe in Empfang zu nehmen; nichts aber macht die Damen so stolz als die Abhängigkeit der Priester. Diese Witwenfreiheit schmeckt viel süsser als die Mannsherrschaft und gibt überdies einen Schein von Enthaltsamkeit862, wobei doch manche sich durch Wein und Leckerei entschädigen. Andere freilich, die in härenen Kutten gleich Nachteulen einhergehen, beständig seufzen und doch insgeheim dem gemeinsten Wohlleben frönen, sind um nichts besser. Die gesuchten Verhältnisse geistlicher Verwandtschaft, welche dem naturgemässen Familienleben Eintrag taten,