Offenbar war die Einrichtung von Klöstern mit Klausur, welche den Asceten ein für allemal von den Versuchungen des Stadtlebens abschied, damals ein wahres Bedürfnis. Denn die Ascese lag unabwendbar in der Zeit, weil die Zahl derer gar zu gross war, welche durch das Zusammentreffen der alten und neuen Religion und Sitte an sich selber irre geworden waren und in einem extremen Entschluss ihr Heil suchten, ohne sich doch gegen Rückfälle schützen zu können. Hieronymus setzt alle Kräfte daran, wenigstens in dem andächtigen Kreise, der ihm gehorcht, die völlige Entsagung zum Lebensprinzip zu erheben. Möglich, dass Vorbild und Ermahnung des einseitigen, aber gewaltigen Mannes den Gesichtskreis und die Gedanken seiner Paula, Marcella, Eustochium lebenslang beherrscht und sie gegen alles Erdenglück unempfindlich gemacht haben. Die Ehelosigkeit (S. 449) erscheint ihm als die unumgängliche Bedingung jedes höhern Lebens, um ihretwillen seien schon dem jungfräulichen Apostel, Iohannes, höhere Geheimnisse offenbar geworden als den übrigen, welche verheiratet gewesen868. Der Einbruch der Völkerwanderung und das drohende Zusammenbrechen aller Verhältnisse – orbis ruit!869 – schärften ohne Zweifel die Stimmung des Entsagens in ihm und andern ausserordentlich. Es gab schon in Rom und im ganzen Westen (S. 487) viele Männer und Weiber, welchen es mit der Ascese ein tiefer, bleibender Ernst war; bereits bevölkerten sich die Felsklippen des Mittelmeeres und die einsamem Uferstellen Italiens mit Anachoreten870 und bald mit Klöstern; einzelne Inseln wurden auch als Todesstätten von Märtyrern besucht, wie zum Beispiel eine der Ponza-Inseln871. Mitten in Rom selber war es möglich, in wahrer Abgeschiedenheit zu existieren, wie zum Beispiel die reiche Asella, die ihr Geschmeide verkaufte, mit Brot, Salz und Wasser in einer engen Zelle lebte, keinen Mann mehr anredete und nur ausging, um die Apostelgräber zu besuchen872; von ihrer Familie war sie gänzlich getrennt und freute sich, dass überhaupt niemand mehr sie kannte. Hieronymus traute sich die seltene Fähigkeit zu, diese wahren Stadtnonnen ganz genau von den unechten unterscheiden zu können.
Was gewiss nicht in der Wirklichkeit fehlte, wohl aber in den Schilderungen des eifrigen Kirchenvaters, ist das Bild einfacher, wohldenkender Christenfamilien ohne Ascese und ohne Ausschweifung. Er gibt am liebsten das Ausserordentliche und Extreme.
Zwischen diese christliche Gesellschaft und die gebildetern, edlern Heiden des vierten Jahrhunderts hinein setzen wir die Schilderung der grossen Masse in Rom, wie sie uns, freilich auch nicht ohne künstliche Beleuchtung, Ammianus Marcellinus überliefert hat873.
Er beginnt bei Anlass eines Aufruhrs wegen Mangels an Wein und lehrt uns das römische Volk als sehr trinksüchtig kennen, wie denn auch noch heute in Rom wenigstens etwas mehr gezecht wird als in Florenz und Neapel. Die seit Constantin eingeführten Weinverteilungen genügten nicht; wer es irgend aufzuwenden hatte, lag ganze Nächte in den Tavernen. Als dem Stadtpräfekten Symmachus nachgesagt wurde, er wolle lieber mit dem Wein Kalk löschen, als den Preis herabsetzen, zündete man ihm das Haus an. Wenn irgendwo von Rom die Rede war, hörte man auch gleich von »Krawall und Weinhäusern« sprechen. Wie jetzt die Morra, so war das Würfelspiel in und ausser der Wirtschaft der Zeitvertreib, der alle Lücken ausfüllte; dabei ertönte ein schnarrendes Geschrei, welches dem Hörer durch Mark und Bein ging. Wenn das Spiel mit den tesserae für vornehmer galt als das mit den aleae, so meint doch Ammian, der Unterschied sei nicht grösser als der zwischen einem Dieb und einem Strassenräuber; leider seien die Spielfreundschaften die einzigen, welche noch die Leute fest zusammenhielten. – Die gemeinen Römer waren übrigens noch immer ein trotziges Volk, voller Selbstgefühl; es gab, ungeachtet des Zustroms aus allen Ländern seit einem halben Jahrtausend, noch viele uralte Bürgersgeschlechter, die sich auf ihre Namen Cimessor, Statarius, Cicimbricus, Pordaca, Salsula usw. etwas zugutetaten, auch wenn sie barfuss liefen. Bisweilen erging, wenigstens im Theater, der wilde und bedenkliche Ruf: »Hinaus mit den Fremden!« – diese Fremden, sagt Ammian, die doch ihre einzige Stütze und Hilfe sind! – Der Hauptruf Roms aber war noch immer panem et circenses! – Was das Brot betraf, so gab es keine angstvollern Augenblicke, als wenn die Kornflotten aus Afrika durch Krieg oder widrige Winde aufgehalten wurden; ein Stadtpräfekt Tertullus (359) stellte bei einem solchen Anlass dem wütenden Pöbel seine Kinder als ein Pfand vor und besänftigte ihn damit so weit, dass man nach der immergrünen, rosenduftenden Tiberinsel mit dem Dioskurentempel bei Ostia ziehen konnte, wo sich sonst jährlich das römische Volk einen heitern Festtag zu machen pflegte; dort opferte Tertullus dem Castor und Pollux, und das Meer wurde ruhig und ein sanfter Südwind brachte die vollen Flotten herbei874. – Wer von dem müssigen Volk mit dem ausgeteilten Brot, Wein, Öl und Schweinefleisch nicht zufrieden war, stellte sich an die Luke einer Garküche und genoss wenigstens den Duft der Braten und anderer Speisen.
Ganz unersättlich war der Römer aber in all dem, was Schauspiel hiess. Im vierten Jahrhundert waren es bei weitem nicht mehr die von Staats wegen bewilligten Geldmittel875, welche hier für den Hauptbedarf sorgten, sondern die Munifizenz der neuernannten höhern Beamten, auch der Senatoren. Es lastete damit eine sehr schwere Abgabe auf diesen nicht immer reichen Leuten, indem jeder nicht bloss aus Ehrgeiz, sondern noch mehr wegen der Ungenügsamkeit des Volkes seine