Zufrieden darüber, dass die vier Männer sich nicht vom Fleck gerührt hatten, griff er nach einem dicken schwarzen Seesack und rannte dann an der Steinwand entlang zu einer Stelle, die von der Hütte aus, aufgrund der sich auf dem Gelände befindenden Garage, nicht einzusehen war. Von zwei früheren Aufklärungstouren wusste er, dass Radovan nicht länger als zehn Minuten in der Hütte verweilen würde, was bedeutete, dass das Zeitfenster äußerst knapp bemessen war.
Von seinem neuen Beobachtungsposten aus spähte er vorsichtig über die Mauer und sah einen der zwei dunkelblauen Range Rover, die vor wenigen Minuten zu Pavles Versteck gekommen waren, und aus dem sich Radovan und seine schwer bewaffnete Security abgesetzt hatten. Der andere Rover war einige Meter hinter dem Ersten geparkt worden, konnte aber nicht von ihm gesehen werden, da die Garage davor stand.
Er kniete sich nieder, zog ein leichtes Maschinengewehr serbischen Fabrikats aus der inzwischen mit Regenwasser vollgesogenen Tasche und klappte die Schulterstütze der Waffe auf. Er lehnte das Gewehr an die Wand und griff noch einmal in die Tasche, um eine von zwei abnehmbaren Munitionstrommeln herauszunehmen. Zügig steckte er eine der 75-Schuss-Munitionstrommeln auf die Waffe, während er die zweite in einer Hüfttasche verstaute.
Zusätzlich zu den zwei Hochkapazitätsmagazinen war er noch mit vier Standard 30-Schuss-Munitionsclips ausgestattet, die des schnelleren Zugriffs wegen mit Klettverschlüssen an die Kampfweste angebracht worden waren, eingebettet zwischen vier Blendgranaten. Er schraubte einen großen Schalldämpfer auf den Lauf der Waffe, zog den Ladehebel und beförderte auf diese Weise eine Kugel in die Kammer. Der letzte Gegenstand, den er aus der Tasche entnahm, war ein grauer Eispickel aus Aluminium, den er tief an der Seite seiner Weste einhakte. Jetzt war er bereit.
Mit seiner linken Hand packte er das kurze Sturmgewehr und sprang über die Mauer, wobei er sich mit der rechten Hand abstützte. Nachdem er sofort in knöchelhohen Matsch eingesunken war, kämpfte er sich durch den sturzbachartigen Regenguss, um die rückwärtige, linke Ecke der Garage zu erreichen. Von dort aus war er in der Lage, die vier Männer beim Verlassen der Hütte zu sehen, was eminent wichtig war für das Gelingen seines Planes.
Marko gelangte nun zu der Ecke, immer darauf achtend, weiterhin unbemerkt zu bleiben. Er überprüfte ein weiteres Mal seine Ausrüstung, wünschte sich, er könne auch den Computer und das Satellitentelefon im wasserdichten Rucksack durchchecken, verwarf diesen Gedanken aber sogleich wieder als Last Minute Paranoia. Er wusste, dass die Elektronik tadellos funktionierte, und ihm eine sichere Verbindung sowohl zum Satellitentelefon als auch zu seinem Computer gewährleisten würde. Er selbst hatte sie während der letzten vierundzwanzig Stunden beinahe ein dutzend Mal getestet. Vermutlich würde er sie überhaupt nicht brauchen, aber er wollte nichts dem Zufall überlassen, genauso wenig wie General Sanderson.
In der nächsten Minute wurde der Regenguss stärker, und kleine Sturzbäche aus Wasser rauschten an den Seiten der Garage hinunter. Obwohl er seit fast zwei Stunden dem kalten Frühjahrsregen ausgesetzt war, fror er nicht. Unter seiner Tarnmontur trug er einen wasserfesten, isolierten Schutzanzug für Fallschirmspringer … bestimmt nicht die übliche Kampftracht serbischer Kommandos, und schon gar nicht die von Hadzics verhätschelten Paramilitärs.
Nichts an Markos Ausrüstung entsprach serbischen Standards, was ihn irgendwie störte. Als US-amerikanischer Geheimagent hatte er seit seiner Ankunft in Serbien vor zwei Jahren keinen Umgang mehr mit Waffen gehabt, die weniger als zwanzig Jahre alt gewesen waren. Doch das Modell, das er momentan in den Händen hielt, kam frisch vom Fließband der Zastava Arms Assembly Line, mit besten Grüßen von General Sanderson. Trotzdem fühlte es sich seltsam und fremd an. Instinktiv wusste er um die Überlegenheit des von ihm mitgeführten Equipments gegenüber der veralteten Hardware, die ihm von den Seniormitgliedern der Panthers überreicht worden war, welche stets ihre ausgemusterten Spielsachen weitergaben, um so Raum für neue zu schaffen.
Er riskierte einen vorsichtigen Blick um die Ecke der Garage und sah, wie einer der Männer eine Zigarette vor die Hütte warf. Ein anderer sprach gerade aufgeregt in ein kleines Handheld Radio und nickte wiederholt. Showtime.
Marko löste die Sicherung der Waffe und zog sich eine regennasse, schwarze Skimaske über den Kopf. Er sah noch einmal um die Ecke und beobachtete, wie die Männer die Veranda verließen. Als sie aus seinem Sichtfeld verschwunden waren, begab er sich rasch zu der unbeobachteten Frontseite der Garage und riskierte einen weiteren Blick um die Ecke. Alles sah so aus, wie er es sich bereits ausgemalt hatte. Radovan und die drei Männer, die ihn ins Innere der Hütte begleitet hatten, saßen bereits wieder im Leit-SUV. Die vier Kommandos von der Veranda joggten auf den hinteren SUV zu.
Er hatte dieselbe Szene schon etliche Male zuvor erlebt. Und jedes Mal hielt Radovan die Männer, die dem hinteren Wagen zugeteilt waren, dazu an, erst dann einzusteigen, wenn die Passagiere des vorderen Fahrzeugs wohlbehütet auf ihren Sitzen Platz genommen hatten. Als er das zum ersten Mal beobachten konnte, hatte er zunächst angenommen, es handle sich dabei um eine Verhaltensweise, die auf sicherheitstechnischen Überlegungen basierte, musste dann aber aus erster Hand erfahren, dass es nichts weiter war als eine weitere von Radovans psychotischen Marotten. Er wusste auch, dass alle vier Männer, die dem hinteren Wagen zugeteilt waren, ihre volle Aufmerksamkeit auf den vorderen SUV richten würden, weil sie ungeduldig waren, da sie endlich aus dem strömenden Regen kommen wollten und er deshalb komplett unentdeckt angreifen konnte.
Er wischte diese Überlegungen beiseite und glitt augenblicklich in einen fast schon tranceähnlichen Geisteszustand. Er trat ins Freie, machte sich so klein, dass er eine kauernde Position einnahm, und zielte dann auf den hintersten Mann in der Gruppe. Mithilfe des Leuchtpunktvisiers platzierte er den roten Punkt auf dem oberen Rücken des Mannes, etwas unterhalb seines Nackens und zog dann den Abzug für einen kurzen Feuerstoß durch. Das Gewehr hatte wirklich einen beachtlichen Rückschlag, aber er behielt trotzdem die Kontrolle darüber und wiederholte den Vorgang bei den verbliebenen drei Wachen. Er rannte nun zur Rückseite des leeren SUVs und erreichte diesen, noch ehe der letzte Mann tot auf dem Boden aufgeschlagen war. Keiner von ihnen hatte die geringste Chance zum Reagieren gehabt. Wenn überhaupt, hatten vielleicht einige einen warmen Sprühnebel gespürt. Weniger als fünf Sekunden waren bisher vergangen. Ein letzter, rascher Blick nach hinten bestätigte den Tod aller vier Männer von Radovans Sicherheitspersonal im zweiten SUV, und Marko bewegte sich hastig an der Seite des Rovers auf das Fahrzeug mit Radovan zu.
***
Radovan saß ungeduldig auf dem Beifahrersitz seines Range Rovers und hörte das enervierende Hämmern des Regens auf dem dicken, metallenen Dach des Trucks. Er hasste diese Ausflüge und verabscheute es geradezu, ihr hart verdientes Geld Hadzics Bruder Pavle übergeben zu müssen, der leidenschaftlich, den in Raptexten so gern beschönigtem Gangleben huldigte. Radovan war ein bekennender Ultra-Nationalist und hatte kein Verständnis für die in seiner Heimat neu aufgekommene, amerikanische Gangstermusik, die die Klubszene in Belgrad im Sturm erobert hatte. Sobald sich Radovan in der Stadt aufhielt, was regelmäßig vorkam, war Belgrad sofort frei von jeglichem Hip-Hop und Rap. Denn niemand war so töricht, den Zorn des Sicherheitschefs heraufzubeschwören.
»Warum zur Hölle sind wir noch nicht weg?«, schrie er gegen die vom Regen verschwommene Windschutzscheibe.
Ein direkt hinter ihm sitzendes Teammitglied wiegte sich sichtlich nervös auf der Rückbank hin und her. Geht das schon wieder los? Er sah über seine rechte Schulter nach hinten und war gleichermaßen verärgert über die Unfähigkeit des Bosses und über die Idioten im anderen Range Rover. Durch die breite Heckscheibe des Rovers nahm er auf einmal eine geduckte Gestalt wahr, die sich an der Seite des SUVs vorwärtsschob, doch zu mehr als einer ersten Bestandsaufnahme der Situation sollte es für ihn nicht mehr reichen, denn zahlreiche Stahlmantelgeschosse jagten jetzt durch seinen Schädel und sorgten für ein heilloses Chaos im Inneren des SUVs.
Radovan wurde von zwei Kugeln getroffen, die ungehindert durch den Hals