Die Einsamkeit des Bösen. Herbert Dutzler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Herbert Dutzler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783709937617
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nicht, mit mir über Sexualität zu sprechen. Obwohl sie es ja beim Umziehen oder beim Waschen manchmal sehen muss, dass ich erwachsen werde. Aber über komische Blicke und ein paar Seufzer ist sie noch nicht hinausgekommen. Ich bin gespannt, wie sie reagiert, wenn ich ihr sagen muss, dass ich meine Periode bekommen habe. Denn dann muss sie was tun. Ich kann mir die Binden oder die Tampons schließlich nicht von dem Taschengeld kaufen, das ich viel zu selten bekomme.

      Tobi springt auf und hält sich die Hand vor den Mund. Das Übliche. Oft isst er nur ein paar Löffel voll und rennt aufs Klo, um es wieder herauszukotzen. Mama war schon ein-, zweimal beim Arzt mit ihm, nicht nur deswegen, vor allem auch wegen dem Bettnässen. Aber was der Doktor sagt, das erfahre ich nicht. „Kann sich der Bub nicht benehmen?“, schreit Papa. „Der hat bei Tisch zu sitzen, solange ich esse!“

      „Wär’s dir lieber, wenn er auf den Tisch kotzt?“ Ich habe mich nicht beherrschen können. Papa springt auf, kommt um den Tisch herum und packt mich fest am Oberarm. Es tut weh. „Nicht!“, schreit Mama. „Nicht schlagen!“ Papa aber weiß, wo die Grenzen sind, so betrunken ist er noch nicht. Er zerrt mich grob von meinem Sessel hoch. Es geht aber nicht Richtung Speisekammer, sondern zum Mostkeller. Er stößt die Tür auf. „Dir werd ich auch noch Respekt beibringen, du Gfrast!“, schreit er. Gott sei Dank gibt er mir keinen Schubs, sonst würde ich die Treppe hinunterfallen. „Runter!“, schreit er. Ich weiß, dass Widerspruch zwecklos ist. Ich steige ein paar Stufen hinunter, die Tür kracht zu, und der Schlüssel knirscht im Schloss. Respekt werde ich vor ihm nie haben, nur Angst. Papa kennt anscheinend den Unterschied nicht.

      Im Keller ist es kühl, ganz unten sogar richtig kalt. Trotz des warmen Sommertags draußen. Wenig Licht dringt in das Treppenhaus, feucht und modrig riecht die Luft. Farbe und Putz blättern von den Wänden. Ich bohre mit dem Finger in einem Spalt zwischen Ziegelmauer und Verputz. Ein Brocken bricht ab, klatscht zu Boden, zerbirst in kleine Stücke. Ich steige die Treppe ganz hinunter, in den Raum, wo die Mostfässer in zwei Reihen entlang den Wänden stehen. Nur ein oder zwei Fässer sind noch voll, der Rest wartet auf die neue Ernte. Das meiste hat Papa getrunken, den kleineren Anteil hat Mama sich bemüht zu verkaufen. Unser Mostobst ist gut, der Most auch. Mama klebt selbst entworfene Etiketten auf die Flaschen. Es ist nicht so leicht, sagt sie, aus einer Landwirtschaft auch genug Geld herauszuholen für drei Kinder. Ein guter Most kommt da gerade recht. Papa ist es egal, wie der Most schmeckt. Und einen Computer zum Etiketten-Drucken kann sich die Mama abschminken, das findet er lächerlich und viel zu teuer. Papa soll nicht so viel trinken, finde ich.

      Ich öffne den Hahn an einem der Fässer. Wenn der Most ausläuft, kann er ihn nicht trinken. Ich weiß nicht, warum ich in dem Moment nicht daran denke, dass Mama den Most ja auch verkaufen könnte. Ich hasse den Most einfach. Dunkel ist es hier, und Spinnweben streichen über mein Gesicht. Aber wenigstens ist es ruhig. Hoffentlich kommen nicht Walter oder Papa, um mir wieder aufzusperren. Der Most plätschert auf den Boden und rinnt in die hintere Ecke des Kellers, es geht leicht bergab dorthin. Ich halte die offenen Hände unter den Hahn und schlürfe ein wenig von dem Getränk, ich habe Durst. Es ist sauer wie Essig. Damit kann man keinen Durst löschen, denke ich.

      Ich richte mich wieder auf. Hinten an der Mauer staut sich der Most und steht bereits mehrere Zentimeter hoch. In einer Ecke liegen ein paar Holzscheite. Damit kann man den Mostfluss umleiten, sodass er Kurven auf dem Kellerboden macht. Ich reiße dünne Fasern von einem Holzscheit ab und lege sie direkt unter dem Hahn in den Mostfluss. Dann sehe ich zu, wie sie die Kurven hinunterschwimmen, bis sie im Mostsee ganz hinten in der Ecke des Kellers landen.

      Ich weiß nicht, was Papa mit mir machen wird, wenn er merkt, was ich getan habe. Mama hat versprochen, wenn er mich schlägt, dann geht sie mit uns weg. Hoffentlich schlägt er mich endlich einmal, und Mama hält ihr Versprechen. Dann können wir hier weg. Aber ich traue ihr nicht ganz. Der Most rinnt und rinnt. Ich steige ein paar Stufen die Treppe hinauf, um nicht nass zu werden.

      Papa hat mich nicht geschlagen. Ich habe aber so lange im Mostkeller bleiben müssen, bis ich alles, was ausgelaufen war, in Kübel geschöpft, hinaufgetragen und ausgeleert hatte. Dann hat er mich aufwischen lassen. „Muss ich dich in deinem Zimmer anhängen?“, hat er geschrien. Ich habe einmal einen Artikel gelesen, über einen Buben, den sie zu Hause angehängt haben, weil er so schlimm war. Bin ich auch so schlimm, dass man mich anhängen muss? Bin ich ein so schlechter Mensch?

      Ich weiß, das tut man einfach nicht, dass man der Mutter den Obstsaft wegtrinkt und den Most auslaufen lässt. Ich glaube, das ist sogar eine Sünde. Vielleicht werde ich es beichten. Aber wenn ich eingesperrt werde, dann bin ich anders, da denke ich anders, da habe ich so viel Zeit, und da fällt mir so vieles ein, und da packen mich Wünsche und Gier und Verlangen. Zum Beispiel das Verlangen, dass Papa weg ist, einfach weg. Manchmal wünsche ich mir dann, dass er tot ist. Gleichzeitig weiß ich, dass man sich das nicht wünschen darf, aber es wäre so schön ohne ihn, es wäre ein richtiges Leben. Nicht jede Minute müsste man sich überlegen, was man tun muss, damit er nicht über einen herfällt.

      He smelled some expensive, sweet perfume on the servant’s fingers. She giggled, while she put the blindfold over his eyes. He wondered if she was naked like him. She had appeared behind him out of nowhere. He could not help but feel that his sword was rising. Suddenly the servant stopped giggling. He could hear a dark voice in front of him. „I am here, Lancelot. Right before you. I do not wear any clothes, like you.” It was, he now registered, the voice of his queen.

      Schon kühn, dachte sie, aus den Artus-Epen einen Softporno zu stricken. Aber nicht ganz ohne Charme. Heute allerdings verfehlten die Geschichten der englischen Autorin ihren Zweck, sie erregten sie kein bisschen, denn es kostete sie fast übermenschliche Anstrengung, sich auf den Text zu konzentrieren. Noch dazu, wo Anton immer wieder herüberkam und sie störte. Sonst respektierte er, dass sie während der Übersetzungsarbeit nicht gestört werden durfte. Aber heute anscheinend war ihm das Herz so voll, dass sein Mund ständig überging. Ihr dagegen lag der Gewinn wie ein Stein im Magen. Sie hatten mit den Kindern noch nicht gesprochen, nicht einmal geklärt, was sie ihnen sagen würden. Ihre Mutter, der Verleger, die Kolleginnen – mit allen waren Gespräche zu führen, vor denen ihr graute.

      „Schatz, ich schau gerade nach Grundstücken! Da hätte ich was!“ Er hielt ihr sein Tablet vor die Nase. „Stadtrandlage“, las sie. „Unverbaubarer Gebirgsblick.“ Sie suchte nach einem Preis. „Was soll es denn kosten?“, fragte sie, weil sie keinen finden konnte. „400.000 Euro!“, rief Anton. „Ein Klacks!“ „Damit könnten wir aber auch das Haus hier ganz toll renovieren!“, warf sie ein. „Wo ist das denn eigentlich?“ „Nur fünfzehn Autominuten vom Stadtzentrum entfernt!“ Anton war geradezu euphorisch. „Aber, ich fahr doch gerne mit dem Rad in den Verlag …“ „Unsinn!“, unterbrach Anton sie. „Du kannst dir ein Cabrio kaufen oder von mir aus ein E-Bike, was du willst!“ Alexandra schüttelte den Kopf. „Und die Kinder, wegen der Schule …“ Doch kein Einwand schien bei Anton zu verfangen. Mit einer wegwerfenden Handbewegung verschwand er aus dem Arbeitszimmer. „Du kannst einem aber auch alles vermiesen!“, murmelte er noch vor sich hin.

      Tat sie das tatsächlich? Ihm alles vermiesen? Was sprach eigentlich gegen ein neues Haus? Man konnte einen Pool einbauen, dafür hatten sie jetzt genug Geld. Sogar einen mit Überdachung, eigentlich hatte sie immer von so etwas geschwärmt. Oft hatte sie sehnsüchtig Traumhäuser in Fernsehmagazinen und Katalogen betrachtet und sich über den alten Kasten geärgert, den ihnen Antons Eltern hinterlassen hatten. Die lebten jetzt in einer feinen Dachwohnung mit Rundblick, die ihnen Anton ausgebaut hatte. Warum eigentlich war sie so negativ eingestellt? Wahrscheinlich hatte Anton recht, sie musste erst lernen, mit der neuen Situation zurechtzukommen. Es dauerte bei ihr halt länger als bei ihm. Sie blickte aus dem Fenster. Für einen Pool war eigentlich auch hier genug Platz. Sogar mit einem Whirlpool dazu …

      Am Samstag wachte Alexandra ungewöhnlich früh auf. Die Sonne schien durch die Ritzen der Jalousie, und sie horchte in sich hinein. Fühlte sie sich schon wohler bei dem Gedanken, um 24 Millionen Euro reicher zu sein? Ihr Bauch gab ihr keine Antwort. Gestern Nacht war Anton beim wöchentlichen Sex ebenso euphorisch gewesen wie beim Suchen nach Grundstücken, er hatte an ihr herumgezerrt und -geleckt, wie er es schon seit Jahren