Die Einsamkeit des Bösen. Herbert Dutzler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Herbert Dutzler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783709937617
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bis sie mit solchen neuen Anforderungen seelisch zurechtkam, bis sie sich einen Plan zurechtgeschustert hatte, wie doch alles unter Dach und Fach gebracht werden konnte.

      „Darüber lässt sich reden. Magst du einen Kaffee?“ „Schon“, antwortete Alexandra. „Aber ich trink ihn lieber vor meinem PC. Damit ich weiterkomme. Das Manuskript, übrigens, wird heute fertig. Soll ich es selber an den Autor zurückschicken, oder willst du …?“ Martin seufzte. „Wird es was?“ „Meiner Meinung nach – eher nicht. Und wenn du es dir anschaust, der Autor hat auf alter Rechtschreibung bestanden. Eher unüblich für Krimis, aber er kommt sich halt vor wie Heinrich Böll.“ „Schick es mir, wenn du fertig bist. Ich kümmere mich darum. Und um ihn.“ Alexandra nahm es als Entlassung und kehrte an ihren PC zurück.

      Alexandra stand in der Küche, mit einem Espresso vor sich, und blickte versonnen durch das Küchenfenster, das Aussicht auf die ganze Stadt bot. Na ja, die halbe. In einer Hand hielt sie ihr Mobiltelefon. Anton war dran. „Ich muss noch mit einem wichtigen Kunden essen gehen. Rechne also nicht zu früh mit mir.“ Alexandra seufzte. Ihr Mann bot ihr zwar wenig Anlass zum Misstrauen, dennoch hoffte sie, dass der Kunde keine attraktive Kundin war. Man konnte Männern doch nie gänzlich trauen.

      „Mami, was gibt’s heute?“ Max versetzte der Küchentür einen Stoß, dass sie mit Schwung gegen den Küchenschrank knallte. „Du hast doch in der Schule schon eine warme Mahlzeit bekommen“, erinnerte ihn Alexandra. Er klammerte sich schon wieder an ihr Bein. „Lass los, Max!“ So gern sie mit ihm kuschelte, das ständige Festhalten, während sie mit etwas anderem beschäftigt war, ging ihr auf die Nerven. Sie hob Max hoch. Schwer war er geworden. Ihre Wirbelsäule würde ihr das nicht verzeihen. „Runter!“ Gott sei Dank. „Was hättest du denn gern?“ „Spaghetti!“ „Max, du kannst nicht jeden Tag Spaghetti essen. Vor allem, wenn du schon in der Schule zu Mittag ein komplettes Menü verdrückt hast. Was hat’s denn gegeben?“ „Was Grünes, das hat man nicht essen können, das war eklig! Und Suppe mit nix drinnen!“ Max zog einen Schmollmund, und Alexandra holte den Nudeltopf aus dem Schrank, denn für lange Diskussionen hatte sie heute keine Nerven mehr. Es musste eine Spaghettisoße aus dem Glas reichen, nur durfte Max das nicht sehen. Blubberte sie im Kochtopf vor sich hin, gab es mit der Soße kein Problem. Bekam er aber mit, wie Alexandra sie aus dem Glas in den Topf schüttete, war es vorbei mit seinem Appetit, dann verweigerte er die Nudeln. Sie hatte sich früher niemals vorstellen können, wie heikel Kinder sein konnten. Soweit sie sich erinnerte, hatte sie alles gern gemocht, was ihre Mutter gekocht hatte.

      „Hallo!“ Annika stürmte zur Tür herein und ließ ihre Schultasche auf den Boden plumpsen. Alexandra hörte sie darin herumkramen. „Gibt’s was Neues?“ „Gleich!“, rief Annika. Sie kam in die Küche und hielt ihr ein Heft unter die Nase. „Nicht! Das kriegt Tomatenflecken!“ Sie legte den Kochlöffel beiseite, wischte sich die Finger an den Jeans ab und nahm das Heft zur Hand. „Wow! Schon wieder ein Einser!“ Sie wuschelte Annika durch die Haare. „Ich bin stolz auf mein kleines Genie!“ „Sogar mit voller Punktezahl! Darf ich mir jetzt ein Schminkset kaufen?“ Alexandra seufzte. „Darüber reden wir später. Jetzt essen wir erst mal!“

      „Aua!“ Sie setzte den Nudeltopf auf dem Tisch ab und drehte sich um. Annika versuchte gerade, Max eine Ohrfeige zu verpassen, doch der duckte sich weg. „Er hat mich an den Haaren gerissen!“ „Schluss jetzt! Sonst geht ihr ohne Essen ins Bett! Dann gibt’s nur mehr eine Banane mit Joghurt!“ Sie wusste, es war keine gute Idee, mit gesundem Essen zu drohen – doch wahrscheinlich war sie selbst schuld. Max musste gehört haben, dass sie Annika ein Genie genannt hatte – und da er sich selbst mit dem Lernen etwas schwerer tat …

      Während des Essens wenigstens herrschte Ruhe. Irgendwie war das ungerecht. Anton saß wahrscheinlich in einem Haubenlokal in der Stadt, und sie musste sich mit Spaghetti mit Fertigsoße begnügen. Der einzige Vorteil des Gerichts war, dass beide Kinder es mochten und so wenigstens über das Essen nicht Krieg geführt werden musste.

      „Was ist jetzt wegen dem Schminkset?“, fragte Annika, als sie das Geschirr zum Spüler trugen und einräumten. Das Kind konnte hartnäckig sein. Alexandra seufzte. „Du kennst meinen Standpunkt. Ich finde es nicht in Ordnung, wenn sich Elfjährige schminken. Ich selbst habe erst mit sechzehn …“ „Du hast keine Ahnung!“ Annikas Ton wurde vorwurfsvoll und patzig. „Alle schminken sich! Und ich bin schon fast zwölf!“ Alexandra schloss die Klappe des Geschirrspülers und stützte die Fäuste in die Hüften. „Ich bin für dich verantwortlich, und solche Fragen werden unter uns ausgehandelt. Es spielt keine Rolle, was andere angeblich dürfen oder auch nicht.“

      Wie oft hatten sie diese Debatten schon durch! Wie sollte man einer Elfjährigen erklären, dass sie in den Augen von Männern als sexuell aktiv erscheinen konnte, wenn sie sich schminkte? Dass sie zusätzlich zu ihren zumindest bereits sichtbaren Brüsten ein weiteres Merkmal zeigte, das sie älter und somit als potentielle Beute erscheinen ließ? Aber wenn sie sich weiterhin stur stellte, würde Annika wohl beginnen, sich hinter ihrem Rücken zu schminken, auf der Schultoilette wahrscheinlich. Jeder Widerstand trug auch seine Risiken in sich. Annika floh mit einem Wutschrei aus der Küche und stürmte die Stiege hinauf. Oben hörte Alexandra nur mehr die Tür ihres Zimmers knallen.

      Zeit für Max, sich in den Vordergrund zu spielen. „Ist die Annika böse? Was hat sie gemacht?“ „Nix!“ Alexandra strich ihm mit dem Finger über die Wange. „Erwachsen wird sie halt!“ „Die blöde Gans wird nicht erwachsen!“, widersprach er.

      Alexandra wollte das Thema mit ihm nicht weiter vertiefen. „Was habt ihr denn heute in der Schule gemacht?“ Max ließ sich leicht ablenken. „Ich hab einen Eishockeyspieler gezeichnet!“ „Aber die Saison ist doch schon vorbei?“ Max hatte ein erstes Jahr beim Eishockeyverein hinter sich gebracht und war Feuer und Flamme für den Sport. „Nächstes Jahr spiele ich bei den Großen!“ Alexandra hatte wohl oder übel bei sechs Spielen auf der Zuschauertribüne frieren müssen. Es saßen ohnehin nur die Eltern der Spielerinnen und Spieler auf den Rängen, und manche feuerten ihre Kinder wie besessen an. Nicht einmal vor Beschimpfungen gegnerischer Spieler schreckten manche Väter zurück. Aber auch eine Mutter gab es, die über ein ansehnliches Repertoire an ordinären Ausdrücken verfügte. Alexandra war der Sport nicht nur deswegen zu derb, sie hatte dazu noch ständig Angst, dass Max sich verletzen würde, und sah gar nicht gern hin. Anton machte sich oft ein wenig lustig über sie, wenn sie die Hände vor die Augen schlug, sobald ein Zusammenstoß drohte. „Das macht einen richtigen Mann aus ihm!“, sagte Anton dann. Sie war sich da nicht so sicher.

      Now, naked, the knight stood in the dark. Only a few candles behind a column offered some dim, flickering light to the hall. The servant made him sit down, asked him to put his hands behind his back and bound him. The sweet perfume of the servant began to seep through his nostrils, and her hair brushed lightly over his shoulders. His sword began to rise.

      Dass das Zeug kreativ wäre, das sie hier zu übersetzen hatte, konnte man nicht behaupten. Andererseits, einfache und klischeehafte Darstellungen waren leichter ins Deutsche zu bringen. Manchmal allerdings konnte sie der Versuchung nicht widerstehen, holprig dargestellte Sexszenen wenigstens um die billigsten Bilder und schwülstigsten Adjektive zu erleichtern. Und was noch erstaunlicher war – manchmal versetzten sie die Texte sogar in Stimmung. Ein paarmal hatte sie Anton schon nach nächtlicher Übersetzungsarbeit verführt. Die ewig gleichen Fesselungsspiele und flotten Dreier allerdings, die in den Büchern die Hauptrolle zu spielen schienen, hingen ihr allmählich zum Hals heraus. Ein Wunder, dass es den Leserinnen nicht ebenso ging – denn wenn man der Marktforschung glauben durfte, wurden diese Werke vornehmlich von Frauen gelesen. Ein wenig Stolz empfand sie dann doch bei dem Wissen, dass Hunderttausende das lesen würden, was sie geschrieben hatte, zumindest in ihrer Sprache. Erfahren würden das die Leserinnen allerdings nicht – als Übersetzerin dieser Werke gebrauchte sie ein Pseudonym.

      Mehr als drei Seiten waren aber nicht mehr drinnen, ihr drohten schon die Augen zuzufallen. Manchmal dachte sie, es wäre Zeit, ein erotisches Wörterbuch zu schreiben – wenn es auch dünn ausfallen würde, der Wortschatz, den Autoren zur Beschreibung aller nur denkbaren sexuellen Vorgänge benutzten, schien äußerst begrenzt zu sein, egal, ob die Szenen im Mittelalter oder in einem Raumschiff angesiedelt waren.

      Es