Haltet Euere Augen offen, Herr Graf! Hütet Euch! Hütet Euch!
Simone Spada aus Bologna.«
Der Graf ließ den Brief des italienischen Arztes sinken und starrte einige Minuten lang seinen Reiter an, welcher noch immer an der Tür auf weitere Fragen und Befehle harrte. Dann winkte er ihm stumm, sich zu entfernen, und sank, nachdem die Tür sich hinter dem Klaus geschlossen hatte, in seinen Lehnsessel und blieb ganz gegen seine sonstige Gewohnheit ruhig und allein sitzen bis tief in die Nacht. Selbst den geleerten Becher ließ er nicht wieder füllen – ein bedeutendes, klares Zeichen, daß mancherlei in seinem Innern nicht in Ordnung sein mußte.
Bis tief in die Nacht, ja, bis in die Morgendämmerung hinein saß auch Klaus Eckenbrecher, aber nicht bewegungslos, nicht vor leerem Becher zu Oestorf in der Schenke zum letzten Heller. Wohl sagt man, daß der Pfennig hundert Wege habe; warum sollten zwei spanische Kronen nicht auch ein Wegelein finden, welches aus der Tasche ihres Besitzers herausführte und in die Tasche des Schenkenwirtes hinein?
Führte nicht der Wirt zum letzten Heller, Martin Rosenhagen, einen Wein, nach welchem ein Erzengel alle zehn Finger lecken konnte?
Wußte etwa der Klaus noch nicht, was eine Reiterkehle und ein Reiterdurst sei?
Die beiden Goldstücke mit dem Bildnisse des Königs Philipp des Zweiten von Hispanien gingen vollständig drauf zwischen dem ersten Wächterruf und dem dritten Hahnenschrei zur unendlichen Qual und allergrößestem Mißmut des Rektors Hermannus Huddäus, welchen der Gesang, Lärm und Streit der Reisigen und der Landstreicher die ganze liebe, lange Nacht hindurch zu keinem ruhigen Schlaf kommen ließ.
Die ganze Nacht hindurch trank Klaus Eckenbrecher samt dem Fiedelkaspar und der andern wüsten Kompanei auf das Wohl der holden Monika Fichtner zu Holzminden, auf das Wohl des ganzen hochgräflichen Hauses von Spiegelberg und Pyrmont, auf das Wohl des welschen Arztes Simone Spada aus Bologna – kurz auf jedes beliebige Wohl, welches mit irgendeinem Schein von Berechtigung getrunken werden konnte.
Und jegliches Gläserklirren und Hochgeschrei ging dem Rektor Huddäus schrill durch die Seele. Er wand sich auf seinem heißen Lager gleich einer armen Seele im Höllenfeuer, wenn eben neues Öl in die Bratpfannen gegossen wird.
»O gerechter Gott, und jetzt fängt der gräßliche Gesang auch wieder an!« stöhnte der Rektor, und – Kaspar Wicht begann ein neues Lied, in dessen Schlußreim der ganze Chorus sämtlicher Nachtschwärmer einstimmte.
Gegen drei Uhr morgens ließ das Getöse ein wenig nach; zwei Drittel der Gesellschaft im »letzten Heller« schliefen unter dem Tische ihren Rausch aus, und das letzte Drittel strengte die heiseren Kehlen vergeblich an, um den Ausfall solcher Kräfte durch verdoppelte Anstrengung zu ersetzen.
»Gottlob, bald müssen sie sich die Seele aus dem Halse gebrüllt haben!« ächzte der Rektor, die Nachtmütze über die klingenden Ohren ziehend.
Wie schön hätte der Arme von den Ehren des gestrigen Tages träumen können, wenn das Schicksal es gewollt hätte!
Gegen vier Uhr morgens erst kehrte Klaus Eckenbrecher Arm in Arm mit dem Falkenierer des Grafen ein wenig schwankend und stolpernd heim in das Schloß, und beide wackere Gesellen sangen mit unsicherer Stimme ein Lied, dessen Endreime, soweit sie zwischen Stolpern, Fluchen, Seufzen und Schluchzen verständlich waren, lauteten:
»Ein Reiter hat dies Lied gemacht
Seiner Herzallerliebsten zur guten Nacht
Bei Pyremunt am Borne!
In Liebespein und Sorgen
Ist er gewest versunken;
Er hat sein Leid vertrunken
Bis an den hellen Morgen,
Ha, Morgen!«
Im magischen, bleichen Mondenschein tanzte jeglich Ding rund um die beiden guten Gesellen, und beide waren vollständig in jener seligen Stimmung befangen, in welcher man die ganze Welt mit Sonne, Mond und Sternen, allen hübschen Mädchen und allen tapfern Knaben liebevoll an sein Herz drücken möchte. Es konnte dem Klaus aber nur lieb sein, daß ihn Ehrn Valentin Fichtnerus, der Pastor von Holzminden, nicht in solchem höchst lobenswerten Zustande belauschte und daß der alte Magister nicht Zeuge davon war, wie er – der Eckenbrecher – in allerlei Fährlichkeiten und Kämpfe mit Hunden, erbosten Weibern und aufgestörten Schläfern von jedem Alter und jedem Geschlecht geriet. Der ehrwürdige Herr würde jedenfalls bedeutend den Kopf geschüttelt und der armen, kleinen Monika eine lange, wohlgesetzte Strafrede gehalten haben ob der leichtsinnigen und unbedachten Verschleuderung ihres Herzchens an einen solchen bodenlosen Hans Hasenfuß, Hans Dampf, Hans Wurst, Hans Liederlich und Hans in allen Gassen. Aber das ist ja das alte, ewig von vorn anfangende Lied, daß die Alten nie mehr wissen, wie den Jungen zumute ist, wenn sie einem allzu vernünftigen und widerspenstigen Nachtwächter begegnen, nachdem sie einen allzu großen Durst allzu eifrig gelöscht haben!
Gegen fünf Uhr schlief Klaus Eckenbrecher im Stall auf dem Stroh neben seinem Schecken den Schlaf der Gerechten, nachdem er als ein kluger Jüngling vorher noch durch eine Sturmhaube voll kühlen Wassers aus dem Schloßbrunnen die innerliche Hitze seines Leibes gesänftigt hatte.
Siebentes Kapitel
Wie das Schloß Pyrmont träumte.
Im weißen, magischen Mondlicht lag diese ganze Nacht hindurch das Schloß von Pyrmont und beschaute träumerisch seine märchenhafte Gestalt in den breiten, stillen, glänzenden Wasserflächen, welche es umgaben. Gleich einem echten Zauberschloß lag es in der holden Nacht da mit seinen alten Türmen und Türmchen, seinen grauen, moosigen Mauern, seinen Spitzbogenfenstern und Rundbogenfenstern.
Tiefer Schlaf hielt das Schloß umfangen – Menschen und Tiere bis auf wenige. In der Küche unter dem Herde zirpte ein Heimchen fort und fort seine eintönige Weise, um den Taubenschlag strich lautlos ein schlankes Wieselchen, Katzen schlüpften über die Dächer – es wachte Fausta La Tedesca!
Der Wärtel, welcher »auf dem Turm die Wacht beschlief«, lehnte auf seinem Lugaus an der Brüstung und nickte mit dem Kopfe. Ihm träumte: vom Iberg herab reite mit großem, stattlichem Heergefolge ein Mann mit langem, grauem Bart, ein Mann im wallenden Purpurmantel, eine güldene Krone auf dem Haupte tragend, ein mächtiges Schlachtschwert in der Rechten, gegen das Schloß Pyrmont heran; – alles Volk auf dem heiligen Anger aber neige sich und rufe: Heil, Heil, Heil dem Kaiser Carolo Magno! und er – der Wärtel – stoße in das gewundene Horn und blase den Willkommen dem alten Kaiser zur Ehre und Freude, und viel Gold regne es aus der Hand Karls!
Auf seinem Lager regte sich der Kellermeister. Ihm träumte: er stehe am heiligen Born im heftigen Durst und müsse Gesichter schneiden über den allzu gesunden Trank, von welchem so viel Lob gesungen wurde; – plötzlich aber ändere sich die Sache und die Quelle fange an, einen Strahl emporzusenden, funkelnd wie Gold, himmelhoch, eitel Milch Unserer Lieben Frauen, und alles Volk jauchze dem Wunder zu, und alles Volk trinke, bis Himmel und Erde sich drehten, und er – der Kellermeister des Herrn von Spiegelberg – werde von nun an Kellermeister am heiligen Born zu Pyrmont und zwar mit Freuden!
Es träumten im Schloß Pyrmont Jagdhunde, Reisige, Knechte, Mägde, Küchenjungen, Stalljungen; – es träumte der Schloßkaplan Bellin samt seinem Küster Boldewein.
Der Kobold im morschen Gebälk des ältesten Mauerturmes träumte auch. Sein Traum war unruhig und schwer, wie die Träume der Kobolde immer sind, wenn den ihrer Obhut anvertrauten Häusern Gefahr droht. Dem Kobold des Hauses Spiegelberg träumte, daß das gute, alte Schloß Pyrmont nicht lange mehr stehen werde. Einen bösen, bösen Traum träumte der Kobold, einen Traum von Maurern und Zimmerleuten, einen Traum von Wandeinschlagen, Balkeneinreißen, Grundaufwühlen, einen Traum von Staub, Schutt, regellosen wüsten Steinhaufen – einen bösen, bösen Koboldstraum.
Es träumte aber der Frau Kurfürstin