Es träumte aber der Ursel von Spiegelberg von einer leeren Speisekammer und einer großen Hungersnot, von einem leeren Keller voll ausgelaufener Weinfässer und von einem großen Durste und Wehklagen im Schloß Pyrmont.
Dagegen umfing die kleine Walburg ein viel hübscherer Traum. Von einem schönen Schloß weit hinten im Lande träumte ihr, einem Schloß, allwo ein junger, stattlicher, liebenswürdiger Ritter hauste, genannt Herr Georg von Gleichen, ein Urururenkel jenes weltberühmten Grafen, welcher aus dem Morgenlande die wunderschöne sarazenische Königstochter Melechsala seiner gutmütigen Gattin Ottilie als Reisegeschenk mitbrachte, um – ihr eine Freude zu machen. Der Walburg träumte, der junge Ritter tanze mit ihr auf grünem, sonnigem Wiesenplan den Reihen beim Klange der Pfeifen und Schalmeien und blicke zärtlich und flüstere süße Worte, und der Walburg träumte, sie sei dem Ritter Georg sehr gut und habe nichts dagegen, Gräfin von Gleichen zu werden, doch dürfe der Graf niemalen nach dem Morgenlande ziehen. Und von einer dreischläfernen Bettstelle wollte sie auch nichts wissen – selbst im Traume nicht.
Herr Philipp von Spiegelberg träumte nach langem Hin-und Herwälzen auch – einen unsagbar ängstlichen Traum, einen jener Träume, aus welchen man in Schweiß gebadet, stumpfsinnig, fiebernd erwacht ohne die geringste Erinnerung an das, was während der nächtlichen Stunden sein wildes Spiel mit einem getrieben hat –
Es gab im ganzen Schloß Pyrmont um die dritte Morgenstunde nur ein Menschenwesen, welches nicht schlief, aber dessenungeachtet träumte; welches wach, klaräugig wach war und welches Bilder aneinanderreihete, Geschehenes, wirklich Geschehenes – schrecklicher, phantastischer, als der tollste Traum schaffen konnte.
Fausta La Tedesca wachte und grübelte über Vergangenem und Kommendem!
Es war ein kleines, rundes Gemach in einem der aus den Eckmauern des Schlosses vorspringenden Türmchen, welches man auf Geheiß des Grafen dem jungen Weibe angewiesen hatte, kein Gefängnis, sondern ein hübsches Zimmerchen einer mittelalterlichen Burg. Durch zwei enge Spitzbogenfenster sah man weit in das Land und die Berge hinein. Die Ausstattung des Gemaches war freilich sehr einfach; sie bestand nur aus einem niedrigen Lager, einem Tisch und zwei Stühlen von rotbemaltem Tannenholz.
Das Tal – die Halden, Felder, Wälder und Wiesen erglänzten im Mondlicht, und rotglühenden Meteoren glichen die Feuer des Volkes, welche überall weit und breit glimmten, zusammengedrängt auf dem heiligen Anger, zerstreuter und vereinzelter gegen die Berge hin.
Wohl war endlich die wüste Orgie verstummt, aber nie ganz erlosch das Summen der Menge. Die Hunde bellten und antworteten einander aus der Nähe und Ferne, leise klangen die Glocken des Liborius-Klosters von Lügde herüber; in Holzhausen, Oestorf und Löwenhausen krähten die Hähne.
Es war wohl eine Nacht, um an einem dieser engen Fenster im südöstlichen Ecktürmchen des Schlosses Pyrmont zu stehen und hinauszuschauen – tief und immer tiefer in die Mondscheinnacht hinein.
Und am Fenster stand auch Fausta La Tedesca, die der Arzt Simone Spada verflucht hatte, in den Strahlen, welche der hinter die Berge sinkende Mond in das Gemach sandte.
Die Fremde hatte die Arme über dem Busen zusammengelegt, und in schwarzen Fluten rollte ihr das gelöste Haar über die Schultern. Sie lehnte in der Fensternische in einer Stellung, wie sie niemals ein Künstler ausdrucksvoller einer Bildsäule des Verderbens hätte geben können. Weiß wie Marmor leuchteten Gesicht, Arme und Busen im weißen Mondlicht: eine marmorkalte Ruhe herrschte in den feinen, regelmäßigen Zügen des schönen Gesichts. Nur das dunkle Auge lebte und leuchtete: Triumph!
Eine Viertelstunde hatte sie geschlafen, dann hatte sie sich von ihrem Lager erhoben und war an das Fenster getreten und hatte die Nacht durchwacht und überlegt. In diesem Augenblick lächelte sie, und der Graf zu Pyrmont drückte die geballte Hand fest auf die Brust und stöhnte im Schlaf: ein Vampyr umflatterte ihn, er fühlte den häßlichen Flügelschlag desselben, er wollte ihn von sich abwehren, aber die Hände waren ihm gefesselt. Enger und enger zog das Nachtgespenst seine Kreise um den Träumenden! –
Und Fausta La Tedesca träumte.
Eine schöne Nacht war’s, um zu träumen – auch mit offenen Augen!
Der Mondnebel wogt, hebt und senkt sich – das ist das Meer des Lebens, welches so viele Geheimnisse in seiner Tiefe birgt.
Der Mondnebel wogt, hebt und senkt sich – das ist das Meer, das wirkliche Meer! Es heben sich Türme und Kuppeln aus dem Meer, es klingen ferne, feierliche Glocken über die Wogen, große schwarze Schiffe schlagen gleich riesenhaften Ungeheuern die Flut mit hundert Ruderfüßen. Vom Hauptmast weht die Flagge mit dem geflügelten Löwen, die Flagge von Venedig.
»Venezia! Venezia!« jubelt die Mannschaft; mit dem Donner ihrer Geschütze grüßen die aus dem Archipelagus heimkehrenden siegreichen Galeeren die Herrscherin der Meere, und die Stadt antwortet dem Gruße:
»Es lebe die Republik! Es lebe San Marco!«
Langsam gleiten die schwarzen Kolosse einher; aber leicht schaukeln sich auf den Wellen der Adria die schwarzen Gondeln, die sich mehren, je höher die Türme und Kuppeln in der Ferne emporsteigen aus den Wassern.
Fackelnglanz, Lautenklang, Gesang, Gelächter und heller Jubel! Schau dort jenen geschmückten Kahn, im Schein bunter Lampen strahlend. Schöne Damen in reichen Gewändern ruhen auf türkischen Polstern und kosen mit den zu ihren Füßen gelagerten feinen Kavalieren. Blumenkränze umschlingen den Bord der Gondel, und Weinpokale und Fruchtschalen gehen in der fröhlichen Gesellschaft von Hand zu Hand. Sieh dort den hohen, ehrfurchtgebietenden Mann mit der breiten Stirn, dem grauen, wohlgepflegten Bart, dessen Adlerauge lächelnd und sinnend auf der lieblichen Gestalt eines jungen Mädchens ruht, welches eben die gelbe Kapuze, um sich vor dem kühlen Nachtwinde zu schützen, über den Locken zusammenzieht.
Tiziano Vecelli da Cadore wird jener hohe Mann mit der Künstlerstirn genannt; jenes junge Mädchen mit den dunklen Locken ist Fausta – Fausta La Tedesca – der Wunderstern, der vor kurzem emporstieg über der Meeresstadt – Fausta La Tedesca, die Kurtisane!
Der große Meister erhebt sich halb von seinem Sitze im Hinterteil des Schiffes und berührt leise die Schulter eines jungen Mannes, welcher in tiefe Gedanken versunken hinter ihm lehnt. Girolamo Savoldo fährt empor, sein Auge folgt der deutenden Hand, ein Blitz des Genius durchzuckt ihn – das Mädchen wendet sich – der junge Maler schließt die Augen, er hat genug gesehen: gewonnen ist das Bild der Schleierhebenden, welches die Jahrhunderte fesseln und mit süßem Entzücken fesseln soll, wenn diese lebendige Welt von Schönheit, Jugend, Witz und Geist, welche sich auf den Wogen des Adriatischen Meeres schaukelt, längst versunken ist.
An der Piazetta landet das Zauberschiff. Die Menge drängt sich um die Aussteigenden. Der alte Tizian bietet der schönen Fausta die Hand und führt sie über die Marmorplatten des Kais, die andern Herren und Damen der Gesellschaft folgen; aber das Volk hat nur Augen für seinen greisen Maler und für das junge Mädchen an der Seite desselben.
»La Maga! La Maga!« flüstert’s ringsumher. »O la bella donna!«
»La bella, la falsa Maga!« rufen junge Patrizier, und ältliche Nobili und Senatoren küssen lächelnd die Fingerspitzen der ambraduftenden Handschuhe gegen die Schöne und winken und nicken und verbeugen sich, und auf und ab den Markusplatz wandelt der alte Meister, entzückt über das Beifallsgemurmel, welches um ihn her laut wird. – – –
Von hundert Lampen erglänzt der Palast Barbarigo am Großen Kanal, die schwarzen Gondeln drängen sich haufenweise vor den Stufen der Eingänge, und immer neue schießen blitzschnell heran und setzen ihre Ladungen geputzter Gäste unter den Portalen ab. Was die Königin der Meere an Adel, Reichtum, Schönheit und Talent aufzuweisen hat, durchwogt in Glanz und Pracht die festlich