Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe. Wilhelm Raabe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wilhelm Raabe
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027207619
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ich atme noch – wer fesselt und hält die Fausta, die Glückliche? – Siegen will ich und die Sonne sehen, ich, Fausta, Fausta die Glückliche, und mein Stern möge über mir leuchten!« – – –

      Im Osten leuchtete es rot über den Bergen, und als die sengende Sonne des Jahres fünfzehnhundertsechsundfünfzig ihre ersten Strahlen über das Tal von Pyrmont sandte und das Lager des Volkes am heiligen Born zu neuem Leben erwachte, als alle Träume des Schlosses Pyrmont zu einem Ende gekommen waren, als Turmwärtel und Kellermeister sich den Schlaf aus den Augen gerieben hatten, als Frau Hedwig von Brandenburg, geborene Prinzessin von Polackien, Gott gedankt hatte, daß ihr allergnädigster Traum nur Traum gewesen sei, als Fräulein Ursula mit beiden Füßen aus dem Bett und in ihr saueres Tagewerk hineingesprungen war, als Fräulein Walburg, rot wie ein Röslein, erwacht war mit einem kleinen Schrei über einen hübschen Schluß ihres Traumes, als Philipp von Spiegelberg seufzend sich wiedergefunden hatte im Licht des neuen Tages: schlummerte Fausta La Tedesca tief und fest und träumte nun selbst einen wirklichen Traum.

      In die Zukunft führte sie dieser Traum, und ein Lächeln spielte um die Lippen der Schläferin. Sie träumte, daß sie frei sei, trotzdem daß sie eine Gefangene war auf dem Schloß Pyrmont.

      Achtes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      handelt von Zauberern, Zauberinnen und Verzauberten.

      Es war ein gläubiges, ungläubiges, abergläubiges Jahrhundert, dieses sechzehnte nach Christi Geburt! Selbst in den aufgeklärtesten, hellsten Köpfen schlangen sich Licht und Finsternis zu so seltsamem Knäuel zusammen, daß man nie wissen konnte, welche tollen, phantastischen, verrückten oder – erhabenen Gedanken, Meinungen, Taten im nächsten Augenblick daraus emporschlagen würden.

      Das siedete, kochte, brodelte, warf Blasen, sprühte Funken und flammte hier in leuchtenden, phantasmagorischen Farbenspielen auf, um dort in tiefster Finsternis zu versinken! Das Banner der religiösen Freiheit wird aufgeworfen, die Gewalt und Autorität des Papstes und seine Macht, »zu binden und zu lösen im Himmel und auf Erden«, wird siegreich angegriffen, die Rechtfertigung soll nicht mehr an das Individuum von außen kommen; aus dem Staub und Schutt der Jahrtausende wühlt und gräbt man die Pracht der versunkenen antiken Welt ans Licht zurück und – errichtet Scheiterhaufen und verbrennt Hexen. Ewig schöne Bilder und Gedichte werden geschaffen und – Volksleben und Gesellschaft sind dabei fast in Tierheit durch roheste Genußsucht verfallen! – Es war die Zeit der großen Gärung, die Zeit des Zersetzungsprozesses, der später seine Krisis im Dreißigjährigen Kriege fand, in welchem der morsche Bau des Mittelalters krachend zusammenbrach, damit aus der Blut-und Schmutzpfütze, aus dem gebirghohen Trümmerhaufen eine andere Welt mit andern Anschauungen sich erheben könne. – –

      Das Treiben und Wesen um den heiligen Born zu Pyrmont war im kleinen ein treues Bild jener Zeit, Alle Elemente der geistigen und körperlichen Lebensbedingungen des Jahrhunderts wirbelten in dem abgelegenen Waldtal durcheinander und flossen zusammen in einem Hexensabbat sondergleichen.

      Hinein in das bunte Gewirr und Gewimmel!

      Müde und abgespannt erwachte Graf Philipp von Pyrmont aus seinem kurzen Schlummer und seinen bösen Träumen. Schnell kleidete er sich an und stieg, nachdem er seine Lieblingsbüchse von der Wand genommen und sie über die Schulter geworfen hatte, hinab in den Hof, um vor Sonnenaufgang die Kühle zu genießen. Alles schlief noch innerhalb der Ringmauer bis auf Klaus Eckenbrecher, welchem die beiden spanischen Kronen des italienischen Arztes das Blut noch viel zu unruhig in den Adern herumtrieben, als daß er es hätte aushalten können auf seinem Lager, Mißmutig war er vor einer halben Stunde aufgesprungen und hatte abermals, der Erfrischung wegen, den schwindelnden, wirren Kopf unter das sprudelnde Löwenmaul des Schloßbrunnens gesteckt. Das hatte etwas geholfen, aber nicht ganz. Jetzt war der Reiter beschäftigt, seinen Schecken zu striegeln und zu putzen, während die Kameraden, die Wände entlang, ruhig fortschnarchten.

      Wir haben schon angedeutet, daß mit unserm Freund Klaus, seit ihn der Graf zu Pyrmont unter seine Reisigen aufgenommen hatte, eine günstige Veränderung vorgegangen war. Die hohen Hacken der Reitstiefeln erhöhten seinen Wuchs wenigstens um zwei Zoll; der eiserne Halskragen, das Schwert, der spitze Hut, das Spiegelbergsche Wappen auf dem Bruststück des Kollers erhöhten sein Selbstgefühl mindestens um das Doppelte, und daß Klaus Eckenbrecher ein nicht geringes Selbstgefühl auch vor seiner Standesveränderung hatte, wissen wir aus jenem Gespräch mit dem Pastor Fichtner im Pfarrgarten zu Holzminden. Sein größter Kummer nach dem Trennungsleid von seinem Schatz war, daß er es bis zu einem »türkischen Knebelbart« noch nicht hatte bringen können. Übrigens mußte man es dem Burschen lassen: er war ein tüchtiger, schmucker Reiter, und die Damen des Schlosses waren vollständig in ihrem Rechte, wenn sie ihn wohl leiden mochten. Aber zu seiner Ehre können wir hiermit verkündigen, daß der Gedanke an die Monika ihn freilich von keiner Tollheit, wohl aber von jeder Schlechtigkeit fernhielt, und das wollte viel sagen in jener Zeit. Auch die Gunst des jungen Grafen, seines Herrn, hatte sich Klaus bald errungen als ein wohlbefahrener Schütz und Jäger. Bald hatte er sich heimisch gemacht in den Wäldern von Pyrmont wie früher im Solling; bald genug wußte er wohl Bescheid zu Lügde, Holzhausen, Oestorf, Löwenhausen und Thal; bald genug kannte er Weg und Steg weit und breit umher, jeden Winkel und Eck im Wald und Feld. Daß er aber Weg und Steg in der Grafschaft und darüber hinaus so gut kannte, das hatte er nicht ganz allein den oft sehr kuriosen Aufträgen Herrn Philipps von Spiegelberg und der Jagd zu verdanken, sondern auch zum großen Teil einem unabweisbaren Bedürfnis nach Einsamkeit. Eine Art von Heimweh und Trübsinn überfiel ihn dann und wann; manchmal aus heiterm Himmel, manchmal begründeter wie jetzt, wo sie ihn nach dieser lustigen Nacht, in welcher er die Goldkronen Simons von Bologna auf so höchst vortreffliche und nützliche Weise losgeworden war, überkommen hatte.

      Zwischen den Zähnen brummend, sich selbst und die Welt mit den absonderlichsten Beiwörtern belegend, war er eben beschäftigt, seinem Gaul die Hufen zu putzen, als sich die Türöffnung des Stalles durch den Eintritt des Grafen verdunkelte und der Schatten desselben über den niedergebeugten Reiter fiel.

      Ärgerlich blickte dieser auf, doch sänftigten sich seine Gefühle, als er seinen Herrn erkannte.

      Auf ziemlich formlose Weise begrüßten sich Herr und Diener; dann sagte der erstere:

      »Laß den Gaul, Klaus, nimm deine Büchse und löse den Waldmann und den Dachshund von der Kette; wir wollen in den Wald, uns ein Maul voll frischer Luft zu holen, ehe die Sonne kommt; ‘s wird wieder eine schöne Hitze werden auf den Tag.«

      »Zu Befehl, Herr Graf!« sagte Eckenbrecher, den Hut aufstülpend. Im nächsten Augenblick war er samt dem höchst erfreuten Waldmann und Dachshund bereit.

      Der Graf schritt voran; aus seiner Höhle hervor fuhr der schlaftrunkene Torwärter, das Burgtor zu öffnen. Herr Philipp trat mit seinem Knappen hinaus auf den heiligen Anger.

      »O du heiliger Gott«, rief der Graf, beim Beginne seiner Wanderung sogleich stehenbleibend. »Ist’s mir nicht jedesmal, wenn ich die Nase aus dem Loch stecke, als liefe mir eine Spinne darüber oder ein altes Weib oder ein Mönch mir über den Weg? Halb zu Tode ärgere ich mich jedesmal, wenn ich den Fuß über die Zugbrücke setze. Da schau nur, Bursch, wie das Volk unsern Grund und Boden zurichtet! Der böse Feind hat uns die Plage über den Hals gesandt, und wenn ich für gewiß wüßte, daß ich sie loswürde, wenn ich mich ihm verschriebe, so tät ich’s, bei Gott, ich tät’s!«

      Klaus Eckenbrecher zuckte die Achseln:

      »Ja, ‘s ist wahr, Herr Graf zu Pyrmont, sie tun viel Schaden und zertrampeln alles wie das Vieh; aber – aber, ‘s ist doch eigentlich eine gute Gabe und eine große Berühmtheit.«

      »Ich pfeife auf die Berühmtheit! Prosit!« schrie der Graf in Wut. »Von Land und Leuten muß ich, wenn das also fortgeht. Kahl fressen sie mich wie die Ratten, und die hier draußen sind noch lange nicht die Allerschlimmsten.«

      Klaus Eckenbrecher lächelte schlau und zuckte abermals die Achseln:

      »Weiß,