Diese Stars hatten das bekommen, von dem sie das große Glück erhofft hatten – und es hatte sie nicht glücklich gemacht. Und Heimel fährt fort mit einem Satz, der mir den Atem nahm, als ich ihn las: „Ich glaube, wenn Gott uns einen richtig bösen Streich spielen will, erfüllt er uns unseren größten Wunsch.“22 Wissen Sie, was Jesus dem Gelähmten sagte? Ich werde dir diesen Streich nicht spielen. Ich werde nicht bloß deinen Körper heilen und dich glauben machen, dass dein größter Wunsch sich erfüllt hat.
In die Tiefe
Die Bibel sagt, dass unser eigentliches Problem darin besteht, dass wir unsere Identität auf etwas anderes aufbauen als auf Jesus. Ob es um beruflichen Erfolg geht, um eine bestimmte Beziehung – oder eben auch darum, aufstehen und laufen zu können –, wir sagen: „Wenn ich das kriege, wenn ich meinen tiefsten Wunsch erfüllt bekomme, dann wird alles gut.“ Doch wenn wir das tun, erwarten wir, dass das, was wir uns da wünschen, uns aus dem Loch der Bedeutungslosigkeit, der Enttäuschung, der Mittelmäßigkeit herausziehen wird. Wir machen unseren Wunsch zu unserem Erlöser. Wir würden das natürlich nie so ausdrücken, aber so ist es. Erfüllt der Wunsch sich dann nie richtig, sind wir wütend, unglücklich, leer. Und wenn er sich erfüllt? Fühlen wir uns noch leerer, noch unglücklicher. Wir haben unseren tiefsten Wunsch pervertiert, indem wir ihn zu unserem Heiland gemacht haben, und jetzt, wo er endlich erfüllt ist, springt er uns an wie ein Raubtier.
Jesus sagt: „Wenn du mich hast, werde ich dir Erfüllung schenken, und wenn du mich enttäuschst, werde ich dir immer vergeben. Ich bin der einzige Erlöser, der das kann.“ Aber es ist so schwer, das wirklich zu begreifen. Viele von uns wenden sich ja deswegen Gott oder der Kirche zu, weil sie gerade Probleme haben; wir bitten Gott, uns durch unsere Krise hindurchzuhelfen, damit wir anschließend weitermachen können mit unserer Selbsterlösung und unserem: „Wenn ich nur das kriege, dann ... “ Wir kommen gar nicht auf die Idee, dass unser Problem ja darin besteht, dass wir das Heil von etwas anderem als Jesus erwarten. Wenn wir zu Jesus gehen und ihm sagen: „Das ist mein tiefster Wunsch“, antwortet er fast immer, dass wir noch viel tiefer gehen müssen.
C. S. Lewis hat dies in seiner Reise auf der Morgenröte sehr anschaulich gemacht. In dem Buch gibt es einen Jungen namens Eustachius, den alle hassen und der auch alle hasst. Er ist egoistisch und bösartig und niemand kommt mit ihm klar. Dann kommt er plötzlich auf wunderbare Weise auf ein Schiff, die Morgenröte, das auf großer Fahrt ist. Als das Schiff an einer Insel anlegt, macht Eustachius einen Erkundungsgang und findet eine Höhle, die voll von Gold, Edelsteinen und Diamanten ist. Er denkt: „Jetzt bin ich reich!“ Und weil er so ist, wie er ist, ist sein nächster Gedanke, dass er es jetzt allen heimzahlen kann. Alle, die ihn ausgelacht, ihm auf die Füße getreten, ihn beleidigt haben, werden jetzt ihr Fett wegkriegen. Er schläft schließlich auf diesem Schatz ein, der (aber das weiß er noch nicht) der Schatz eines Drachen ist. Und weil er mit Drachengedanken in seinem Herzen einschläft, ist er, als er aufwacht, selber ein Drache geworden – groß, hässlich, furchterregend. Er erkennt alsbald, dass es keinen Ausweg aus seiner Lage gibt. Er kann nicht zurück auf das Schiff, er wird allein auf dieser Insel bleiben müssen, für den Rest seines Lebens ein scheußlicher Drache. Er sinkt in eine tiefe Verzweiflung.
Dann kommt eines Tages der große Löwe Aslan, führt Eustachius zu einem klaren Quellteich und befiehlt ihm, sich auszuziehen und hineinzusteigen. Eustachius begreift, was er da „ausziehen“ soll: die Drachenhaut. Er fängt an, an den Schuppen zu kratzen und zu nagen, und siehe da, sie gehen ab. Nach einer Weile hat er die ganze Haut abgepellt – nur um zu entdecken, dass unter ihr eine zweite Drachenhaut ist. Er versucht es ein zweites und drittes Mal, doch das Ergebnis ist immer das gleiche. Schließlich sagt der Löwe: „Ich werde dich ausziehen müssen.“ Aber lassen wir Eustachius selber erzählen:
Ich hatte ziemliche Angst vor seinen Tatzen, das kann ich dir sagen, aber ich war inzwischen völlig verzweifelt. ... Der erste Riss war so tief, dass ich dachte, er ginge bis ins Herz. Und als er begann, mir die Haut abzuziehen, da schmerzte es schlimmer als alles, was ich jemals gespürt habe. ... Also er zog das schreckliche Zeug einfach ab – so, wie ich dachte, ich hätte es die drei Mal vorher getan, bloß hatte es da nicht wehgetan –, und da lag es auf dem Gras; nur war diese Haut sehr viel dicker und dunkler und warziger als die vorherigen. ... Dann packte er mich ... und warf mich ins Wasser. Es brannte wie die Hölle, aber nur für einen Augenblick. ... Und dann sah ich ... Ich hatte mich wieder in einen Jungen verwandelt.23
Für viele von uns wird es schwierig sein, diesen Abschnitt zu lesen, ohne dass uns die Tränen kommen. Denn wie der Gelähmte und wie Eustachius hatten auch wir gedacht, dass wir uns mit ein wenig Hilfe schon selber erlösen könnten. Aber dann erkannten wir, dass diese Hilfe nicht tief genug ging. Jesus musste uns „ausziehen“. Wir erlebten es, wie seine „Tatzen“ bis hinein in unser Herz griffen und dessen große Sehnsucht vom Kopf auf die Füße stellten. Das Problem war ja nicht unser tiefster Wunsch als solcher; es war völlig in Ordnung, dass der Gelähmte wieder laufen können wollte, die Schauspieler Erfolg haben und Eustachius endlich geliebt und geachtet werden wollte. Nein, das Problem war, dass wir dachten, dass die Erfüllung unseres tiefsten Wunsches uns erlösen würde. Wir mussten lernen, Jesus unseren Erlöser sein zu lassen.
Noch tiefer
Als Jesus zu dem Gelähmten sagte: „Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben“, tat er etwas Unerwartetes – so unerwartet, dass es zu seinem ersten Zusammenstoß mit den führenden Frommen seiner Zeit führte:
Als Jesus ihren festen Glauben sah, sagte er zu dem Gelähmten: „Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben!“ Aber einige der anwesenden Schriftgelehrten dachten: „Das ist Gotteslästerung! Was bildet der sich ein! Nur Gott allein kann Sünden vergeben.“Jesus durchschaute sie und fragte: „Wie könnt ihr nur so etwas denken! ..." (Markus 2,5-8)
Jesus kann die Gedanken und Motive der Herzen der Menschen lesen – hier die der Schriftgelehrten. Als er zu dem Gelähmten sagt: „Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben“, sind sie empört und halten ihn für einen Gotteslästerer, weil er sich etwas anmaßt, das nur Gott tun kann. Sünden vergeben, das kann doch nur Gott selber! Und sie haben völlig recht.
Stellen wir uns die folgende Szene vor. Drei Jungen – Tom, Dick und Harry – streiten sich. Plötzlich verpasst Tom Dick einen Kinnhaken, überall fließt Blut. Darauf tritt Harry vor Tom und sagt: „Tom, ich vergebe dir, dass du Dick eins aufs Maul gegeben hast. Schwamm drüber.“ Was wird Dick antworten, wenn er sich abgeregt hat? Er wird sagen: „Harry, du kannst Tom nicht vergeben, das kann nur ich. Er hat mich geschlagen und nicht dich.“ Wir können nur Sünden vergeben, die sich gegen uns gerichtet haben. Wenn also Jesus dem Gelähmten sagt: „Deine Sünden sind dir vergeben“, sagt er damit auch: „Du hast dich gegen mich versündigt.“ Der Einzige, der das zu einem Menschen sagen kann, ist sein Schöpfer. Indem Jesus diesem Mann vergab, erhob er also den Anspruch, selber der allmächtige Gott zu sein. Die Schriftgelehrten begriffen: Dieser Mann behauptet nicht nur, ein Wundertäter zu sein, er hält sich für den Herrn des Universums. Kein Wunder, dass sie wütend waren. Was antwortet Jesus auf ihre Gedanken?
Jesus durchschaute sie und fragte: „Wie könnt ihr nur so etwas denken! Ist es leichter zu sagen: ,Dir sind deine Sünden vergeben ‘ oder diesen Gelähmten zu heilen? Aber ich will euch zeigen, dass der Menschensohn die Macht hat, hier auf der Erde Sünden zu vergeben.“ Und er forderte den Gelähmten auf: „Steh auf, nimm deine Trage, und geh nach Hause!“
Da stand der Mann auf, nahm seine Trage und ging vor aller Augen hinaus. Fassungslos sahen ihm die Menschen nach und riefen: „So etwas haben wir noch nie erlebt!“ Und alle lobten Gott. (Markus 2,8-12)
Die Frage, die Jesus, den Schriftgelehrten stellt – „Was ist leichter, zu dem Gelähmten zu sagen: ,Dir sind deine Sünden‘ vergeben, oder diesen Gelähmten zu heilen?“ –, beschäftigt die Bibelausleger seit fast zwanzig Jahrhunderten. Als ich einmal eine Predigt über diesen Text vorbereitete, holte ich einen Kommentar zum Markusevangelium aus einer der besten, gründlichsten und angesehensten kritischen Kommentarreihen aus dem Regal.24 Zu dieser Stelle steht dort sinngemäß Folgendes: „Nachdem nun zahllose Seiten darüber geschrieben sind, lautet die Frage immer noch: Was ist leichter?