Jesus. Timothy Keller. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Timothy Keller
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Религиозные тексты
Год издания: 0
isbn: 9783765570889
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sind deine Sünden vergeben‘, aber nicht jeder kann heilen. Damit du also weißt, dass ich der Herr bin, der die Vollmacht hat, Sünden zu vergeben, sage ich dir: ,Steh auf, nimm deine Trage, und geh nach Hause!‘“ Es ist um einiges schwerer, jemanden zu heilen, als ihm zu vergeben, und indem Jesus Ersteres tut, demonstriert er seine Macht, dass er (erst recht) auch das Zweite kann. Aber die Frage von Jesus bringt uns deswegen so ins Grübeln, weil sie mehr als eine Antwort hat. Jesus sagt hier nämlich auch: „Meine Freunde, die Vergebung der Sünden zu bewirken, ist unendlich schwerer, als ihr euch das vorstellt. Ich bin nicht ein einfacher Wundertäter, ich bin der Erlöser. Jeder Wundertäter kann sagen: ,Steh auf, nimm dein Bett und geh umher‘, aber nur der Erlöser der Welt kann einem Menschen sagen: ,Alle deine Sünden sind dir vergeben.“

      Viele Bibelausleger sagen, dass hier, im 2. Kapitel des Markusevangeliums, bereits der Schatten des Kreuzes auf Jesu Weg fällt. Jesus weiß, was die religiösen Führer denken – und dass sie ihn dann, wenn er durchblicken lässt, dass er nicht nur ein Wundertäter, sondern der Heiland der Welt ist, früher oder später töten werden. Indem er diesen Mann nicht nur körperlich heilt, sondern auch seine Sünden vergibt, betritt er die Bahn, die ihn unweigerlich in seinen Tod führen wird. Er leistet gleichsam eine Anzahlung auf unsere Vergebung.

      Natürlich: Jesus hatte damals die Macht, den Körper des Gelähmten zu heilen, so wie er heute die Macht hat, uns die Beförderung, die große Liebe oder die Anerkennung zu geben, nach der wir uns so sehnen. Keine Frage: Er hat die Vollmacht, jedem von uns das zu geben, worum wir ihn bitten, und das sofort.

      Aber Jesus weiß, dass das nicht tief genug ginge. Er weiß genau: Ob wir ein Gelähmter im Rollstuhl sind oder ein Schauspieler, der auf den großen Durchbruch hofft, oder ein Schauspieler, dem der Durchbruch gelungen und der berühmt geworden ist – wir brauchen nicht jemanden, der uns alle unsere Wünsche erfüllt. Wir brauchen jemanden, der mehr tut, jemanden, der gründlich und liebevoll die Drachenhaut der Ichbezogenheit von uns abschält und die Sünde wegnimmt, die uns versklavt hält und selbst unsere besten Sehnsüchte pervertiert. Kurz: Wir brauchen Vergebung. Nur so kann unsere Unzufriedenheit geheilt werden. Und dazu braucht es mehr als einen Wunderheiler oder einen Geist aus der Flasche. Es braucht einen Retter. Und Jesus weiß, dass er in den Tod gehen muss, wenn er unser Retter werden will.

      Wenn sie das, was Sie für Ihre tiefsten Wünsche und Sehnsüchte halten, in diesem Sinne hinterfragen, wird Jesus Ihnen zeigen, dass unter diesen Wünschen ein noch tieferes, echteres Sehnen verborgen liegt – die Sehnsucht nach ihm selber. Und Sie werden erleben, dass er Ihnen diesen tiefsten Wunsch nicht nur gewährt, sondern dass er seine Erfüllung ist. Er wird Ihnen nicht den bösen Streich spielen, Ihnen Ihre tiefsten Wünsche zu erfüllen; er wird Ihnen zeigen, dass Sie sich die ganze Zeit nach ihm gesehnt haben.

      Jesus erhebt den Anspruch, Sünden vergeben zu können, und die religiösen Führer seiner Zeit nennen das Gotteslästerung. Doch Jesus geht noch weiter und erhebt einen Anspruch, der so ungeheuerlich ist, dass seinen Gegnern die Worte fehlen: Er erklärt, dass er nicht gekommen ist, um die Religion zu reformieren, sondern um sie zu beenden und durch sich selbst zu ersetzen.

      Und es begab sich, dass er am Sabbat durch ein Kornfeld ging, und seine Jünger fingen an, während sie gingen, Ähren auszuraufen. Und die Pharisäer sprachen zu ihm: Sieh doch! Warum tun deine Jünger am Sabbat, was nicht erlaubt ist? Und er sprach zu ihnen: Habt ihr nie gelesen, was David tat, als er in Not war und ihn hungerte, ihn und die bei ihm waren: wie er ging in das Haus Gottes zur Zeit Abjatars, des Hohenpriesters, und aß die Schaubrote, die niemand essen darf als die Priester, und gab sie auch denen, die bei ihm waren? Und er sprach zu ihnen: Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen. So ist der Menschensohn ein Herr auch des Sabbats (Markus 2,23-28, LÜ/V. 28 ELB25; „Menschensohn“ ist der Begriff, mit dem Jesus sich am häufigsten selbst bezeichnet)

      Das Gesetz Gottes legte fest, dass man jeden siebten Tag von seiner Arbeit zu ruhen hatte. Das war wunderbar, aber die religiösen Führer jener Zeit hatten dieses Gebot mit einem Dickicht von Ausführungsbestimmungen umgeben. Es gab 39 Arten von Tätigkeiten, die am Sabbat verboten waren, darunter auch das, was die Pharisäer hier den Jüngern vorwerfen: das Raufen von Ähren. Und Markus berichtet noch von einem zweiten Vorfall an einem Sabbat:

      Als Jesus wie gewohnt zur Synagoge ging, war dort ein Mann mit einer verkrüppelten Hand. Seine Gegner warteten gespannt darauf, wie Jesus sich verhalten würde. Sollte er es nämlich wagen, auch am Sabbat zu heilen, so könnten sie Anklage gegen ihn erheben. Jesus rief den Mann mit der verkrüppelten Hand zu sich: „Steh auf und komm hierher, damit alle dich sehen können!“ Dann fragte er die Anwesenden: „Soll man am Sabbat Gutes tun oder Böses? Soll man das Leben eines Menschen retten, oder soll man ihn zugrunde gehen lassen?“ Doch er bekam keine Antwort. Zornig sah Jesus einen nach dem anderen an, traurig über ihre Hartherzigkeit. Zu dem Mann aber sagte er: „Streck deine Hand aus!“ Er streckte sie aus, und die Hand war gesund. Da verließen die Pharisäer die Synagoge und trafen sich mit den Freunden und Anhängern des Königs Herodes. Sie berieten miteinander, wie sie Jesus töten könnten. (Markus 3,1-6)

      Jesus wird zornig auf die religiösen Führer. Warum das? Weil es beim Sabbat darum geht, dass Leeres wieder voll wird, dass die Ausgebrannten wieder neue Kraft bekommen, die Erschöpften gestärkt und die Zerbrochenen geheilt werden. Wenn Jesus die Hand dieses Mannes heilt, tut er genau das, was der Sabbat meint. Aber die Pharisäer sind so auf die Einhaltung ihrer Sabbatparagrafen fixiert, dass sie nicht wollen, dass Jesus diesen Mann heilt. Sie sind ein schier unglaubliches Beispiel für Menschen, die vor lauter Bäumen den Wald nicht sehen. Ihre Herzen sind gerade so verdorrt wie die Hand dieses Mannes. Sie sind verunsichert, weil sie ihre Regeln in Gefahr sehen. Anstatt barmherzig zu sein, sind sie borniert, verurteilend und egozentrisch. Warum sind sie das? Weil sie religiös sind.

      Religion kontra Evangelium

      Jesus zeigt in diesen Szenen, dass es zwei radikal unterschiedliche geistliche Paradigmen, Grundmodelle, gibt. Stellen Sie sich zwei Menschen vor, die beide das Gesetz Gottes befolgen wollen, aber beide eben von verschiedenen Standpunkten aus. Für den ersten ist dieser Gehorsam eine Last und ein Gefängnis, für den zweiten ist er eine Freude und ein Geschenk. Wie kann das sein? Das erste Paradigma ist das der Religion, die, wie wir schon sahen, im Wesentlichen ein System von Regeln und Anweisungen ist. Das zweite Paradigma ist das Evangelium von Jesus Christus, das mit einer Nachricht anfängt und endet. Das sind zwei völlig verschiedene Dinge.

      Die meisten Menschen glauben, dass dann, wenn es einen Gott gibt, man durch Wohlverhalten Zugang zu ihm erlangt. Die meisten Religionen basieren auf diesem Prinzip, obwohl dies ein Thema mit tausend Variationen ist. Manche Religionen sind sozusagen nationalistisch: Wenn du zu Gott kommen willst, musst du zu unserer Gemeinschaft gehören und dich an unsere gesellschaftlichen Spielregeln halten. Andere sind spiritualistisch: Man kommt zu Gott, indem man bestimmte Transformationen seines Bewusstseins durchläuft. Wieder andere Religionen sind legalistisch, gesetzlich: Wenn ich einen bestimmten Verhaltenskodex einhalte, wird Gott mir wohlgesinnt sein. Doch alle diese Varianten folgen der gleichen Grundlogik: Wenn ich etwas leiste und gehorche, nimmt Gott mich an. Das Evangelium von Jesus Christus ist hier nicht nur anders, sondern das genaue Gegenteil: In Jesus Christus hat Gott mich ohne Wenn und Aber angenommen, und deswegen gehorche ich ihm.

      Während meiner neunjährigen Pastorentätigkeit in Hopewell, einer kleinen Stadt in Virginia, kam mir dieser Unterschied zum ersten Mal zu Bewusstsein. Um das Jahr 1977 herum hielt ich eine Predigt zu dem Thema „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“. Ich erklärte diese Liebe damals so: „Ich glaube, Gott will uns sagen: ,Ich möchte, dass du die Bedürfnisse deiner Mitmenschen mit derselben Freude, demselben Eifer, derselben Entschlossenheit, derselben Fantasie und Kreativität und demselben Fleiß stillst, mit denen du deine eigenen stillst. Das ist mein Standard; so möchte ich, dass du dein Leben führst.‘“ Nach dem Gottesdienst sprach mich eine Teenagerin an. Sie erzählte mir, dass sie gerade auf einem Schulfest bei einem Wettbewerb an letzter Stelle gelandet war, während die Freundin gewonnen hatte. Sie sagte: „Wollen Sie mir sagen, dass die Bibel von mir verlangt, dass ich mich jetzt genauso für