Jesus. Timothy Keller. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Timothy Keller
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Религиозные тексты
Год издания: 0
isbn: 9783765570889
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Es ist inspirierend, ohne Frage. Aber fühlen Sie sich genauso wie damals die Menschen in Griechenland, die die Herolde hörten, die ihnen den Sieg verkündeten? Fühlen Sie sich wie jemand, von dem eine Last abfällt, für den etwas Großes geschehen ist, sodass er kein Sklave mehr ist? Natürlich nicht. Die moralischen Regeln drücken Sie nieder: So musst du leben. Dies ist kein Evangelium. Das Evangelium ist, dass Gott seine Beziehung zu Ihnen nicht auf die Grundlage dessen stellt, was Sie getan haben (oder nicht getan haben), sondern auf die Grundlage dessen, was Jesus historisch für Sie getan hat. Und damit ist es fundamental anders als jede andere Religion oder Philosophie.

      Jesus sagt: „Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist herbeigekommen. Tut Buße und glaubt an das Evangelium!“ Was ist das Evangelium vom Reich Gottes? In 1. Mose 1 und 2 sehen wir, dass wir dazu erschaffen wurden, in einer vollkommenen Welt zu leben, in der alle Beziehungen heil sind (also seelisch und sozial perfekt), weil Gott der König ist. Aber 1. Mose 3 erzählt uns, wie es weiter ging: dass wir alle lieber unser eigener König sein wollten. Wir sind den Weg in die Ichbezogenheit gegangen, und Ichbezogenheit zerstört Beziehungen. Nichts macht einen elender (oder langweiliger) als das Kreisen um das eigene Ich: Wie fühle ich mich gerade? Wie geht es mir? Wie behandeln die Menschen mich? Habe ich Erfolg? Beweise ich mich gerade selber? Versage ich? Werde ich ungerecht behandelt? Die Selbstbezogenheit lässt uns stillstehen, lässt uns um uns selber kreisen. Es gibt nichts, was destruktiver wäre. Warum haben wir Kriege, Klassenkämpfe, kaputte Familien und zerrüttete Beziehungen? Es ist die Finsternis der Ichbezogenheit. Wenn ich beschließe, mein eigenes Zentrum, mein eigener König zu sein, bricht alles auseinander – physisch, sozial, geistlich und seelisch. Wir haben den Tanz verlassen. Aber wir alle sehnen uns danach, ihn wieder aufzunehmen. Diese Sehnsucht speist die Mythen und Legenden fast jeder Kultur, und so verschieden die Geschichten sind, sie haben alle ein ähnliches Thema: Ein wahrer König wird zurückkommen, den Drachen töten, uns küssen und aus dem Todesschlaf aufwecken, uns aus dem Turm, in dem wir gefangen saßen, befreien, uns zurückführen in den Tanz. Ein wahrer König wird kommen, um alles wiedergutzumachen und die ganze Welt zu erneuern. Und die gute Nachricht vom Reich Gottes ist diese: Dieser wahre König ist Jesus.

      Ich muss hier an eine Szene in Tolkiens Herr der Ringe denken, wo eine alte Frau sagt: „Die Hände des Königs sind Hände eines Heilers. Und so konnte der rechtmäßige König immer erkannt werden.“14 Wie ein Kind unter der Autorität eines weisen und guten Vaters aufblüht oder ein Fußballteam in den Händen eines tüchtigen, begabten Trainers, so fängt dann, wenn Sie sich unter die heilenden Hände des Königs begeben, unter die Herrschaft Jesu, alles in Ihrem Leben an, heil zu werden. Wenn er einst wiederkommt, wird alles Traurige nicht mehr sein. Seine Wiederkunft wird das Ende von Angst, Leid und Tod bringen.

      Auch hier unterscheidet sich das Christentum von allen anderen Religionen. Einige Religionen sagen, dass diese materielle Welt untergehen wird und dass die Gerechten oder Erleuchteten aus ihr heraus gerettet werden in eine Art überirdisches, rein geistiges Paradies. Andere Religionen sagen, dass diese physische Welt eine Illusion ist. Oder vielleicht glaubt mancher ja auch, dass die Erde eines Tages zusammen mit der Sonne verbrennen und alles auf ihr untergehen wird, als habe es sie nie gegeben. Die gute Nachricht vom Reich Gottes ist, dass die materielle Welt, die Gott erschaffen hat, erneuert werden wird, sodass sie für immer besteht. Wenn das geschieht, werden wir, wie das Einhorn am Ende von C.S. Lewis’ Chroniken von Narnia, sagen: „Nun bin ich ... nach Hause gekommen! Dies ist meine wahre Heimat. Hierher gehöre ich. Nach diesem Land habe ich mich mein ganzes Leben lang gesehnt.“15

      Dem König folgen

      Als Jesus seine öffentliche Predigt des Reiches Gottes beginnt, wählt er zwölf Männer aus, die seine Jünger sein sollen – seine engsten Freunde und Anhänger. Markus berichtet die ersten Berufungen:

      Als er aber am Galiläischen Meer entlangging, sah er Simon und Andreas, Simons Bruder, wie sie ihre Netze ins Meer warfen; denn sie waren Fischer. Und Jesus sprach zu ihnen: Folgt mir nach; ich will euch zu Menschenfischern machen! Sogleich verließen sie ihre Netze und folgten ihm nach.

      Und als er ein wenig weiterging, sah er Jakobus, den Sohn des Zebedäus, und Johannes, seinen Bruder, wie sie im Boot die Netze flickten. Und alsbald rief er sie, und sie ließen ihren Vater Zebedäus im Boot mit den Tagelöhnern und folgten ihm nach. (Markus 1,16-20, LÜ)

      Jesus geht sofort daran, Menschen in seine Nachfolge zu rufen. Dies ist in der jüdischen Tradition etwas Einzigartiges. Die Schüler wählten sich ihren Rabbi, und nicht der Rabbi die Schüler. Der Lernwillige suchte einen Rabbi auf und sagte ihm: „Ich möchte dein Schüler werden.“ Markus zeigt uns, dass Jesus eine andere Autorität hat als ein normaler Rabbi. Eine Beziehung mit Jesus können wir nur haben, wenn er selber uns ruft.

      Als Jesus Simon und Andreas sagt: „Folgt mir nach“, steigen sie sogleich aus ihrem Beruf als Fischer aus und folgen ihm. Als er Jakobus und Johannes ruft, lassen die ihren Vater und ihre Freunde buchstäblich sitzen und verlassen das Boot. Aus dem Rest der Evangelien wissen wir, dass diese Männer später durchaus wieder fischten und weiter eine Beziehung zu ihren Eltern hatten. Aber was Jesus hier sagt, ist trotzdem unerhört. In traditionellen Kulturen ist es die Familie, die einem Menschen seine Identität gibt, und wenn Jesus sagt: „Ich möchte, dass ich euch wichtiger bin als eure nächsten Verwandten“ – das ist eine Zumutung. In unserer individualistischen westlichen Kultur ist es keine große Sache, von seinen Eltern wegzuziehen; hier ist es eine Zumutung, wenn Jesus uns sagt: „Ich möchte, dass ich dir wichtiger bin als deine Karriere.“ Jesus sagt: „Mich kennenlernen, mich lieben, mir ähnlicher werden und mir dienen – das muss die große Leidenschaft deines Lebens werden, gegen die alles andere zweitrangig ist.“

      Solche Worte riechen für viele von uns nach Fanatismus. In unserer Kultur haben wir Angst vor Fanatikern, und das aus guten Gründen. In der heutigen Welt wird viel Gewalt verübt von Menschen, die tief religiös sind. Und selbst wenn wir diese Extremisten beiseitelassen – fast jeder von uns kennt doch (persönlich oder vom Hörensagen) Menschen, die sehr religiös sind und gleichzeitig sehr verurteilend, selbstgerecht, ja sogar beleidigend. Die meisten unserer Zeitgenossen sehen die Religion als ein Spektrum, an dessen einem Ende die Menschen sind, die sich für religiös halten, aber eigentlich nicht an die Lehren ihrer Religion glauben, und am anderen Ende sind die Fanatiker, die Leute, die zu religiös sind und es mit ihrem Glauben übertreiben. Wie löst man dieses Problem? Viele würden sagen: „Warum treffen wir uns nicht in der Mitte? Alles mit Maß! Nicht zu eifrig und nicht zu lasch. Die goldene Mitte halt.“

      Funktioniert das Christentum so? Sagt Jesus: „Alles mit Maß“? Schauen wir uns eine andere Stelle an, wo es um die Nachfolge geht. Im Lukasevangelium sagt Jesus vor einer großen Menschenmenge: „Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, Schwestern und dazu sich selbst, der kann nicht mein Jünger sein“ (Lukas 14,26, LÜ). Klingt das nach goldener Mitte? Jesus sagt: „Wenn jemand zu mir kommt ...“ Er sagt seinen Zuhörern nicht: „Die meisten von euch dürfen gerne gemäßigt bleiben, aber ein paar bräuchte ich schon, die ganze Sache damit machen, mir nachzufolgen.“ Nein, er benutzt das allgemeine „jemand“, das jeden meint. Es gibt nicht zwei verschiedene Klassen von Christen. „Wenn irgendjemand etwas mit mir zu tun haben will, muss er seinen Vater und seine Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern, ja sogar sein eigenes Leben hassen, sonst kann er nicht mein Jünger sein.“ Das bedeutet es, Jesus nachzufolgen.

      Aber wie meint er das mit dem „Hassen“? An mehreren anderen Stellen sagt Jesus doch, dass man niemanden hassen darf, noch nicht einmal seine Feinde. Und jetzt sollen wir plötzlich unsere eigenen Eltern hassen? Aber Jesus ruft hier nicht zu einem aktiven Hassen auf, sondern zu einem „vergleichsweisen“ Hassen. Er sagt: „Ich möchte, dass ihr mir so völlig, so intensiv und dauerhaft nachfolgt, dass alle anderen Bindungen dagegen wie Hass aussehen.“ Wenn ich sage: „Ich will Jesus gehorchen, wenn es in meinem Beruf klappt, wenn ich gesund bin, wenn meine Familie nicht zerbricht“, dann ist das, was auf das Wenn folgt, mein eigentlicher Herr, mein wirkliches Ziel. Aber Jesus weigert sich, als Mittel zum Zweck missbraucht zu werden. Wenn er uns in die Nachfolge ruft, muss er selber der Zweck und das Ziel sein.

      Also doch Fanatismus? Nicht, wenn wir den Unterschied zwischen Religion und