Sie bogen in ein ruhiges Wohngebiet, in dem sich Einfamilienhäuser und Reihenhäuser tummelten. Sophie hatte vor zwei Jahren ein kleines Reihenhaus gekauft, nachdem sie zuvor einige Jahre in einer Wohnung gelebt, sich aber nach ein wenig Grün gesehnt hatte. Hinter dem Haus befanden sich eine kleine Terrasse und ein kleiner Garten. Dort verbrachte Sophie die dienstfreien Wochenenden und versteckte sich hinter Büchern. Sie verschlang Fachliteratur ebenso wie Romane, vor allem historische Erzählungen und Krimis. Liebesgeschichten mied sie hingegen wie die Pest.
Das Haus, in dem sie mit Paul und Emma gelebt hatte, hatte sie ihrem Mann bei der Scheidung überlassen. Der Schmerz, sich dort täglich ohne Emma aufhalten zu müssen, war für sie unerträglich gewesen. Trotzdem hatte sie ein Zimmer für Emma in dem Reihenhaus eingerichtet, in dem Emmas Sachen Platz gefunden hatten und in dem sie oft stundenlang in Erinnerungen schwelgte.
„Maria wird es schon wissen. Die Tageszeitung gehört bei ihr auf den Frühstückstisch.“
Der blaue Wagen rollte vor Sophies Häuschen. Stefanie stellte den Motor aus. „Brauche ich mir wirklich keine Sorgen zu machen?“
Sophie schüttelte sich wie eine nasse Katze. „Danke fürs Heimfahren.“
„Gern!“ Stefanie schürzte die Lippen. „Aber ich muss auf die Toilette, und ich habe Durst. Anschließend fahre ich dich zu Maria.“
„Du bist ein echter Quälgeist.“ Sophie zwang sich zu einem Lächeln. „Danke.“
Kapitel 11
„Hallo, Sophie.“ Maria sperrte die Tür auf, kurz nachdem die Glocke ihr Dingdong hatte ertönen lassen.
„Hallo, Mama.“ Sophie küsste die Wange ihrer Mutter und betrat ihr Elternhaus. Sie schlüpfte aus der leichten Jacke und verstaute sie in dem antiken Schrank, der als Garderobe diente. Aus alter Gewohnheit quietschten die Scharniere zur Begrüßung. Sophie rüttelte an dem Schloss, bis es klackte und die Holztüren zusammenhielt.
Im Wohnzimmer roch es wie üblich nach Rosen und Vanille – eine Duftmischung, die sie mit einer glücklichen Kindheit verband. Auf einem Beistelltisch entdeckte sie eine Vase mit einem üppigen Strauß der Blumen, die Maria mit etwas Grün arrangiert hatte. Duftstäbchen, die in verschiedenen Flaschen steckten, parfümierten die Luft zusätzlich mit einem Hauch Vanille.
„Ich habe einen großen Salat für uns vorbereitet und brate gleich den Lachs dazu.“ Maria lächelte entschuldigend.
„Danke. Das ist gut.“ Sophie blieb vor der Anrichte stehen, auf der zahlreiche Familienfotos ihren Platz gefunden hatten. Ihr Vater, ein promovierter Biologe, der bereits vor zwanzig Jahren frühzeitig gestorben war, lachte ihr von vielen Fotografien entgegen. Daneben erinnerten Fotos an verschiedene Familienurlaube und Ereignisse.
„Kannst du das Foto nicht endlich einmal wegtun?“ Sophie legte das Hochzeitfoto, auf dem sie Paul überglücklich anstrahlte, auf das Glas. Der Bilderrahmen hob die rückwärtige Stütze mahnend wie einen erhobenen Zeigefinger in die Luft.
Maria verneinte kopfschüttelnd. „Man kann nicht vor dem Leben davonrennen, weder vor der Zukunft noch vor der Vergangenheit. Das Einzige, was man versuchen kann, ist, alles so gut wie möglich zu verarbeiten.“
Sophie nahm einen Rahmen auf, der einigen Bildern von Emma ein Zuhause gab. Zärtlich glitten ihre Finger über die glatte Fläche über dem Fotopapier.
„Du hast es also gelesen.“ Maria blickte sie besorgt an.
Sophie nickte und wischte sich mit dem Handrücken einige Tränen aus den Augenwinkeln.
„Eigentlich ist es doch keine Überraschung“, Maria legte einen Arm um die Schultern ihrer Tochter, „sondern eins der möglichen Szenarien, die wir durchgespielt haben.“
„Das stimmt. Trotzdem kommt es etwas plötzlich.“ Der Fotorahmen in Sophies Händen vibrierte.
„Es hat auch sein Gutes.“ Maria schürzte die Lippen. „Es ist besser, einer unangenehmen Tatsache oder Aufgabe ins Auge zu schauen, sie hinter sich zu bringen und abzuhaken, als sie jahrelang vor sich herzuschieben. Das wirkt im Nachhinein wie ein Befreiungsschlag. Darauf sollten wir anstoßen. Wie wäre es also mit einem Glas Wein? Ich habe extra einen Chablis für dich gekühlt. Für mich gibt’s leider nur Gänsewein – dafür aber einen erlesenen Pellegrino.“
Sophie zuckte mit den Achseln und folgte ihrer Mutter in die Küche.
Maria wählte zwei Weingläser, die sie von ihrer Mutter geerbt hatte, aus dem Schrank aus. Die geschliffenen Römer schimmerten in Blau und Rot und erinnerten durch ihren opulenten Barock-Stil an berauschende Festtage längst vergangener Zeiten.
Sie konsultierte den Kühlschrank, entnahm ihm den Weißwein sowie das Mineralwasser und entkorkte den Wein gekonnt mit einem Flaschenöffner. Sie verzichtete darauf, am Korken zu riechen, und gab einen Schluck in das Glas.
Sophie schwenkte den Wein, schnüffelte mit ihrer zierlichen Nase an dem Alkohol und probierte das Getränk. Sie nickte beifällig, woraufhin ihre Mutter das Glas füllte und sich selbst Mineralwasser einschenkte.
Maria hob ihr Glas. „Was gibt es Neues in der Klinik?“, versuchte sie Sophie auf andere Gedanken zu bringen.
„Ich habe Frau Ziegler versprochen, mich um ihren Hund Bella zu kümmern.“ Sie genehmigte sich etwas Chablis, während Maria das Öl erhitzte, um die Lachsfilets zu braten.
„Das ist eine ausgezeichnete Idee. Frische Luft und Bewegung werden dir guttun. Was ist es für eine Rasse?“ Sie gab den Fisch in die Pfanne.
„Eine Promenadenmischung – das reinste Energiebündel, aber kuschelig und einfühlsam.“ Sie beobachtete die Filetstücke, die schnell einen hellen Rosaton annahmen.
Maria warf ihr einen Blick aus den Augenwinkeln zu.
„Spar dir bloß die Bemerkung!“, warnte Sophie. „Den Hinweis hat Stefanie bereits angebracht. An mehr als einem Hund bin ich nicht interessiert. Erzähl mir lieber von deinem ehrenamtlichen Einsatz im Tschad.“
„Oh.“ Maria deckte den Fisch mit einem Glasdeckel ab und stellte zwei Teller bereit. „Ich habe mich seit Langem wieder richtig nützlich gefühlt. Da ein Chirurg kurzfristig abgesagt hatte, habe ich sogar seit Jahren erstmals wieder operiert“, jubilierte sie. „Ohne zittrige Hände.“
„Das freut mich für dich.“ Sophies Augen spiegelten die Worte wider.
„Ich habe einige Bilder gemacht. Nicht nur von den Kollegen und Patienten, sondern auch bei meiner Ankunft in N’Djamena und in der Region Tschadsee. Ich hatte noch keine Zeit, sie auszusortieren, aber sie sind bereits auf meinem Laptop. Wenn du Lust hast, kann ich sie dir nach dem Abendessen zeigen.“ Sie wendete den Lachs, schnitt eine Limone in Spalten und arrangierte sie auf dem Teller.
„Das würde mich sicherlich inspirieren. Eigentlich habe ich auch vor, mich bei Ärzte ohne Grenzen oder German Doctors zu bewerben, um möglichst weit wegzukommen.“ Sophie fuchtelte mit dem Glas und ertränkte ihre Überlegungen in der wirbelnden Flüssigkeit.
„Alles zu seiner Zeit.“ Maria salzte den Lachs. Dann peilte sie ihre Tochter an. „Außerdem gibt es noch andere Alternativen. Eine frühere Arbeitskollegin spielt zum Beispiel mit dem Gedanken, eine Wohltätigkeitsorganisation in einem uruguayischen Armenviertel zu gründen. Das könnte für dich unter verschiedenen Gesichtspunkten interessant sein.“ Sophies Aufmerksamkeit huschte vom Weinglas zu ihrer Mutter.
„Ich werde es beim Essen mit dir diskutieren.“ Maria schnitt ein Fischfilet an und prüfte den Garprozess. „Das sieht doch gut aus“, murmelte sie, beförderte je ein Stück auf die bereitstehenden Teller und marschierte Richtung Esszimmer.
Der Tisch war mit einer weißen Tischdecke bekleidet. Auf zwei gegenüberliegenden Plätzen in der Mitte der drei Meter langen Platte funkelten Silberbestecke. In einer Glasschüssel faulenzten