Asklepios. Charlotte Charonne. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Charlotte Charonne
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783946734703
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      Charlotte Charonne

      Asklepios

      Thriller

      Charonne, Charlotte: Asklepios. Thriller. Hamburg, edition krimi 2020

      Originalausgabe 2020

      Buch-ISBN: 978-3-946734-69-7

      ePub-eBook-ISBN: 978-3-946734-70-3

      Lektorat: Diana Itterheim

      Umschlaggestaltung: © Anastasia Braun, BOD

      Umschlagmotiv: © photocases.com/ Anja-S

      Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.d-nb.de abrufbar.

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      Hermannstal 119k, 22119 Hamburg.

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      © edition krimi, Hamburg 2020

      Alle Rechte vorbehalten.

      https://www.edition-krimi.de

      Prolog

      „Willkommen!“ Ihre Stimme war cremig und süß wie ein Karamellbonbon. Sie observierte den vollständig ent­kleideten Mann, der auf dem Seziertisch festgeschnallt war: Körper und Kopf waren mit Lederriemen an das Metall fixiert, Hand- und Fußgelenke an das Gestell gefesselt.

      Ihre Hände zierten hellgrüne Operationshandschuhe, die sich frühlingshaft gegen die weiße Einrichtung und die käsige Haut des Patienten abhoben. Fast zärtlich tätschelte sie seine Wange.

      Langsam und leise, mit einem kaum merklichen Zucken der Augenlider, erwachte er aus der Anästhesie. Seine fettigen Wangen glänzten. Die ergrauten Haarsträhnen, die er sonst sorgfältig über die Halbglatze drapierte, hatten sich gelöst und flossen wie Kerzenwachs über seine Ohren.

      Sie belauerte sein Erwachen und umkreiste ihn einige Male. Obwohl sie einen Operationskittel und klobige Hygiene­schuhe trug, bewegte sie sich selbstsicher und anmutig wie Asklepios, der Gott der Heilkunst, in seinem fließenden Gewand.

      „Erinnern Sie sich an die Mädchen?“ Sie führte ihren Mundschutz an sein Ohr und hauchte ihm die Worte wie kleine Rauchwölkchen ein.

      Seine Lider öffneten sich. Seine Augen wurden vom Neonlicht, das aus einer Röhre an der Kellerdecke strömte, geblendet und schlossen sich wieder. Ein Stöhnen kroch aus seiner Kehle. Es knirschte wie Schritte auf Glasscherben. Sein rechter Arm zuckte.

      „Machen Sie sich nicht die Mühe, sich zu bewegen. Es wird Ihnen nicht gelingen.“ Der Mundschutz bedeckte ihr frostiges Lächeln. Ihre Stimmlage verlor mehr und mehr der anfänglichen Süße. „Hatten Sie Spaß mit den Kindern?“ Sie zog sein linkes Augenlid hoch und leuchtete mit einer Lampe in das Auge. Geübt wiederholte sie die Prozedur mit der anderen Pupille. „Mit Nicki? Mit Lisa?“ Die Fragen schnitten durch die Luft – scharf und biegsam wie ein Florett. „Mit Emma?“

      Die Muskeln an seinem Kiefer zuckten.

      Er röchelte.

      „Entschuldigen Sie bitte. Mit dem Kieferspreizer können Sie mir natürlich nicht antworten.“ Sie griff an die Metallbügel und ruckelte sie sachte hin und her.

      Er stöhnte.

      „Aber das wissen Sie ja, stimmt’s? Schließlich haben Sie ein derartiges medizinisches Gerät ebenfalls verwendet.“ Ihr Tonfall war wieder kontrolliert; ihre Wut köchelte unterhalb der Haut.

      Seine Augen quollen hervor. Sein nackter Körper schwängerte die Luft mit einem süß-säuerlichen Geruch. Instinktiv versuchte er, das Instrument mit der geschwollenen Zunge aus dem Mund zu schieben.

      „Ich werde Sie von dem Mundspreizer befreien, damit wir uns in Ruhe unterhalten und die zu Ihrer Heilung notwendigen Eingriffe besprechen können. Sie sollten sich ruhig und vernünftig verhalten, damit wir eine Lösung in gegenseitigem Einvernehmen finden können. Falls Sie schreien, werde ich Sie zurück ins Traumland schicken.“ Sie löste die Feststellschrauben und entfernte das Metallgestell.

      Er stieß einen Laut aus – irgendwo zwischen Angst, Erleichterung und Hoffnung.

      „Beruhigen Sie sich. Es wird Sie ohnehin niemand hören. Ich denke, auch mit Schallisolation kennen Sie sich aus.“

      Die Augen über dem Mundschutz betrachteten ihn fachmännisch.

      Er schwitzte.

      Dabei war der Raum auf zweiundzwanzig Grad, wie für Operationen vorgeschrieben, temperiert. Er erfüllte die speziellen Hygienevorschriften nach dem Infektionsschutz­gesetz und verfügte über eine raumlufttechnische Anlage. Er sollte sich während der chirurgischen Eingriffe keine Infektionen zuziehen. Schließlich wollte sie seine Gesundheit nicht gefährden.

      Sie tupfte ihm den Schweiß von der Stirn und gönnte ihm den Luxus eines sterilen Lakens, um seine Nacktheit zu bedecken.

      „Sie haben den Mädchen unsägliche Schmerzen zugefügt“, attestierte sie ihm, „und nun werde ich dafür sorgen, dass sich dies niemals wiederholt.“

      Seine Panik war greifbar. Ein Schrei flog aus seiner trockenen Kehle und klatschte gegen die Fliesen. In dem Geräusch lag etwas Wildes, Verschlagenes wie in dem Lachen einer Hyäne.

      „Sie brauchen keine Angst zu haben.“ Sie checkte seinen Blutdruck und seine Herzfrequenz. „Ich werde Sie nicht töten. Vertrauen Sie mir. Ich verstehe dieses Spiel besser als Sie.“

Teil 1

      Kapitel 1

      Samstag

      „Tschüss, Emma!“ Paul warf seine Tochter hoch in die Luft, fing sie mit Leichtigkeit auf und stempelte ihre Wange mit einem Kuss. „Pass gut auf Oma auf!“

      „Mache ich!“ Emma quietschte vergnügt und rannte in die offenen Arme ihrer Mutter.

      „Bis Montag, Emma.“ Sophie strich ihrer Tochter eine hellblonde Strähne aus dem Gesicht. „Ich werde dich ganz doll vermissen. Ich habe dich lieb.“ Sie ging in die Knie und umarmte ihre Tochter.

      „Ich hab’ dich auch lieb.“ Die Fünfjährige schlang die Arme um den Hals ihrer Mutter und presste ihr ein Küsschen auf die Backe. Sophie schnupperte ein letztes Mal an dem weichen Haar ihrer Tochter. Es roch nach Sonne und Frühling, nach Vertrautheit und Geborgenheit – einfach unbeschreiblich gut nach dem Emma-Eigengeruch. Sie bedachte den Scheitel mit einem Kuss.

      „Macht, dass ihr fortkommt.“ Maria spornte sie mit einer wedelnden Hand zur Eile an. „Sonst verpasst ihr noch den Flieger. Wir kommen prima ohne euch klar.“

      „Deine Mutter hat vollkommen recht.“ Paul ergatterte die Hand seiner Frau und zerrte sie zum Taxi. „Zwei Tage sind keine Ewigkeit. Im Gegenteil – viel zu kurz.“

      „Genießt die Zeit!“ Maria hielt Emma an der einen Hand und winkte mit der anderen.

      „Ganz bestimmt!“ Paul küsste Sophie auf den Mund und öffnete ihr die hintere Beifahrertür. „Wir fangen gleich hier auf der Rückbank an.“ Er zwinkerte ihr zu. „Seit fünf Jahren unser erstes zweisames Wochenende, und ich werde jede Sekunde auskosten.“

      Sophie lachte. Er schlug die Tür zu, eilte auf die andere Seite des Wagens und verschwand im Innenraum.

      „Tschüss, Emma. Danke, Mama!“ Sophie hatte die Scheibe heruntergekurbelt, lehnte sich aus dem Fenster und katapultierte ihren dichten Pferdeschwanz auf den Rücken. Eine lauwarme Brise wehte den Duft der Hyazinthen, die sie gemeinsam mit Emma im vergangenen Oktober gepflanzt hatte, in ihre Nase. In Blau, Weiß und Rosé grüßten sie jeden Besucher auf seinem Weg zum Eingang des Einfamilienhauses.

      „Guck mal!“ Emma hatte den Haarschopf in den Nacken gelegt. „Da!“ Ihr Zeigefinger schoss in die Luft und zeigte auf einen Vogelschwarm.